Stapel an Vokabelheften und Tabellen mit aufgelisteten Präsens- und Vergangenheitsformen der Verben – so stellt man sich das klassische Sprachenlernen vor. Aber geht das auch anders? Mit Witz und Spiel? Unsere LandesBloggerin Rosa wagt das Experiment und lernt Tschechisch auf eine neue Art und Weise – mit einer der beliebtesten digitalen Sprachlern-Apps der Welt: Duolingo.
Obwohl Tschechisch keine Weltsprache ist und nur von etwa 10,6 Millionen Menschen gesprochen wird, hat mich diese Sprache in den Bann gezogen. Sie eröffnet ein tieferes kulturelles Verständnis, das weit über touristische Oberflächlichkeit hinausgeht. Doch wie lernt man eine Sprache, die so fremd und kompliziert erscheint, dass sie fast abschreckend wirkt? Luis Miguel Rojas-Berscia, ein Sprachgenie, der 20 Sprachen fließend beherrscht, meint: „Wenn man sich in eine Sprache verlieben will, muss man sich zuerst in die Menschen verlieben, die sie sprechen.“ Begegnungen mit Menschen, die man schätzt und die die Zielsprache sprechen, sind also entscheidend. In Prag hatte ich bereits das Glück, solche Begegnungen zu erleben – eine gute Grundlage. Auch dass ich damals in der Schule neue Sprachen kennengelernt habe, kommt mir jetzt zugute. Mein Gehirn ist bereits darauf trainiert, seine neuronalen Ressourcen für das Lernen von Fremdsprachen zu nutzen.
Der Straßenbahn-Moment: Das Gefühl fehlender Zugehörigkeit
Erstaunlicherweise kam ich in Prag bisher gut ohne Tschechisch zurecht. Englisch ist allgegenwärtig und die wenigen tschechischen Wörter, die ich bereits kenne – „Děkuji“ (Danke) oder „Dobrý den“ (Guten Tag) – reichen oft aus. Doch dann kam dieser Moment in der Straßenbahn. Ich unterhielt mich auf Englisch mit einer Freundin, als uns eine Frau laut auf Tschechisch anfuhr. Ihre Botschaft: „In Tschechien spricht man Tschechisch.“ Meine tschechische Freundin verstand ihre Anschuldigungen und erklärte mir die Situation. Auch wenn die Aussagen der Frau unangemessen und ausländerfeindlich waren, fühlte ich mich schuldig. Zeit, die Sprache meines neuen Zuhauses zu lernen und das am liebsten flexibel und spielerisch.
Der Einstieg mit Duolingo
Aus dieser Motivation heraus erinnerte ich mich an „Duo“, den lustigen grünen Vogel der Online-Sprachlern-App Duolingo, von der alle sprechen. Die Meinungen darüber spalten sich: Manche strahlen beim Berichten von ihrem Lernerfolg, andere kehren der Plattform lieber den Rücken zu. Sie empfinden die Lerninhalte als wenig sinnvoll, kritisieren den monotonen Aufbau der Aufgaben und zweifeln am Erfolg. Duolingo selbst verspricht Spaß und Effektivität und ist allgemein zugänglich. Für mich also ohne Kosten und mit wenig Aufwand verbunden – und zack, habe ich meinen Account erstellt und das Lernen kann beginnen. Duo grinst mich verschmitzt an und ermahnt, dass ich meine Punkte verliere, wenn ich nicht regelmäßig meine Lernaufgaben mache. Da ist eine Menge Ausdauer gefragt.
Die Lernstufen
Die Lernstufen von Duolingo richten sich nach dem „Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen“ (GeR). Die Einheiten 1 bis 5 decken Niveau A2 ab, während die Einheiten 6 bis 9 dem Niveau B1 entsprechen. Die jeweiligen Fähigkeiten-Level bestehen aus Lektionen zu einem kommunikativ-funktionalen oder grammatikalischen Thema. Erst wenn alle Übungen eines Levels abgeschlossen sind, kann die nachfolgende Einheit begonnen werden. Ich werde also Fertigkeiten im Lesen, Schreiben, Hörverstehen und Sprechen erlernen und ganze 2000 Vokabeln kennen. Dabei werden mir unter anderem außergewöhnliche Phrasen mit unerwarteten Inhalten begegnen. Sie sind ein besonderer Bestandteil des Lernprogramms und regen dazu an, sorgfältig über die Sprache nachzudenken. „Dein Bär trinkt Bier.“ Ohne Sinn, aber bleibt im Gedächtnis. Klingt großartig, oder?
Wettkampfdesign mit Hindernissen
Die App setzt stark auf „Gamification”, also auf die Anwendung von spielerischen Elementen in nicht-spielerischen Kontexten. Dazu zählen Herzen, Erfahrungspunkte und Tagesziele. Wer motiviert ist, kann in die höchste Liga aufsteigen – die Diamant-Liga. Aber Achtung, hier lauert auch Frust. Fünf Fehler und die Herzen sind weg, die man braucht, um das nächste Level anfangen zu können. Entweder kann man für eine gewisse Zeit pausieren oder Wiederholungsübungen machen, um weiterzulernen. Der Druck ist groß und das Lernen fühlt sich manchmal mehr nach Spiel als nach ernsthaftem Studium an. Zudem werden die Tschechisch-Lektionen nur auf Englisch statt auf Deutsch angeboten, was bedeutet, dass mein Gehirn auf Hochtouren arbeitet, um von Tschechisch auf Englisch und dann ins Deutsche zu übersetzen – ein echter Stolperstein, und das trotz der Tatsache, dass Tschechisch seit 2004 Teil des EU-Spracherbes ist.
Hält Duolingo der Komplexität des Tschechischen stand?
Am Anfang ist es noch einfach, die kurzen, knackigen Lektionen machen Spaß. Ich freue mich über die kleinen Erfolgserlebnisse, die mir schnell ein Gefühl des Fortschritts vermitteln. Wären da nur nicht die Werbeanzeigen, die mich in den Wahnsinn treiben. Ich habe schon einmal fast auf die kostenpflichtige Version umgestellt, weil meine Nerven blank lagen. Doch ich halte tapfer durch und blende die Werbung gekonnt aus. Je tiefer ich in die tschechische Sprache eintauche, desto deutlicher werden die Herausforderungen. Die Grammatik mit ihren sieben Fällen, die ungewohnten diakritischen Zeichen und die Eigenheiten der Aussprache – all dies stellt mich auf die Probe. Hier zeigt sich, ob die spielerische Oberfläche von Duolingo den Ernst des Lernprozesses überdecken oder tatsächlich unterstützen kann. Denn Sprachkenntnisse sind mehr als nur ein Spiel. Die wahre Meisterschaft zeigt sich im Alltag, in Gesprächen mit Muttersprachlern, in der Fähigkeit, komplexe Gedanken zu formulieren und zu verstehen. Reicht eine App, um eine Sprache zu beherrschen?
Fazit: Ein Werkzeug mit Grenzen
Für mich ist Duolingo sicher ein guter Einstieg, mein täglicher Begleiter und das ist gerade am Anfang ein großes Plus. Die Sprache fühlt sich mit der Zeit vertrauter an und die spielerische Herangehensweise stärkt meine Motivation, dranzubleiben. Doch es hat seine Grenzen. Ohne zusätzliche Ressourcen – wie Sprachkurse, Bücher oder Gespräche mit Muttersprachlern – bleibt mein Lernerfolg begrenzt. Der direkte Kontakt mit Sprechern der Sprache ist unerlässlich. Trotzdem richte ich einen großen Dank an Luis von Ahn und Severin Hacker aus, die 2012 Duolingo ins Leben gerufen haben. Ihr habt Millionen Menschen weltweit das Lernen von Sprachen erleichtert. Auch wenn mein Weg zur tschechischen Sprachbeherrschung noch weit ist, bin ich froh, dass ich Duo für den Anfang an meiner Seite habe. Und wer weiß, vielleicht führt mich dieser Weg irgendwann doch noch zu einem fließenden Gespräch in einer Prager Straßenbahn – auf Tschechisch, versteht sich.
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