Wer diesen Sommer in Tschechien verbringt, wird an einem Getränk kaum vorbeikommen: dem „Espresso-Tonic“. Was auf den ersten Blick wie eine merkwürdige Mischung erscheint, hat sich in den letzten Jahren zu einem regelrechten Trend entwickelt. Unsere LandesBloggerin Rosa hat ihn probiert.
Es ist nicht einfach zu sagen, wie der Sommer schmeckt. Für jeden ist es natürlich ein anderes Getränk, das den Sommer vergegenwärtigt. Für manche ist es die Holunderlimonade, für andere der spritzige Aperol. Für mich ist es der Espresso-Tonic. Dass ich jemals dieses Getränk zu meinem Lieblingssommergetränk erwählen würde, habe ich vor meiner Ankunft in Prag nicht für möglich gehalten. Vor allem, weil ich es noch gar nicht kannte.
Prager Abenteuerlust
Wäre ich in Deutschland, würde ich meinen gewohnten Cappuccino bestellen, im Sommer dann auch gerne mit Eis, und mich nicht weiter darum kümmern. Aber ich lebe nun seit zwei Monaten in Prag und das sommerliche Wetter und die berauschende Atmosphäre wecken meine Abenteuerlust. Ich entdecke an jeder Straßenecke etwas Neues: Da sind Boote mit jubelnden Menschen, die auf der Moldau vorbeifahren, Märkte, mit frischem Obst und Gemüse und lustige Sticker, die an Straßenlaternen kleben.
In diesem abenteuerlustigen Zustand begegnet mir der Espresso-Tonic. Bereits zum vierten Mal an diesem Tag lese ich von extravaganten Kaffee-Mixgetränken, die ich nicht kenne. Ich spüre Skepsis. Bin ich zu verklemmt? Muss man erst länger in Tschechien leben, um darin mehr zu sehen als eine willkürliche Mischung von Trend-Zutaten? Vielleicht bin ich eine kulinarische Konservative? Dabei probiere ich doch sonst auch gerne neue Geschmackskreationen aus. Letztendlich ist die Entdeckungsfreude dann doch größer und ich gebe dem „hippen“ Getränk eine Chance.
Espresso-Tonic: Ein unerwartetes Geschmackserlebnis
Die Zusammensetzung klingt zunächst ungewöhnlich: Auf ein bis zwei großen Eiswürfeln werden 180 ml Tonic-Wasser und ein doppelter Schuss frisch gebrühter Espresso gegossen und mit einer Zitronen- oder Orangenscheibe garniert. Doch das Geschmackserlebnis ist besser als erwartet: angenehm herb, belebend und prickelnd durch die Kohlensäure des Tonic-Wassers, mit einer leichten Bitternote. Die dezente Süße des Tonics und die leichte Säure des Kaffees ergänzen sich gut. Auch optisch überzeugt das Getränk: Das Braun des Kaffees scheint auf einer durchsichtigen Welle des Tonics zu reiten und das Gelb der Zitronenscheibe setzt einen farblichen Akzent. Und dann ist da noch diese Schaumkrone, die entsteht, wenn die Zubereitung verkehrt herum erfolgt und das Tonic-Wasser auf den Espresso geschüttet wird. Herrlich. Ein bisschen Extravaganz beim Konsum ist dann wohl doch nicht so schlimm, denke ich, nachdem ich das Glas überraschend schnell geleert habe.
Der morgendliche Katerkaffee mal anders
Der Espresso-Tonic ist keine neue Kreation. Anscheinend wurde er bereits 2007 in Oslo erwähnt. Im selben Jahr kam er auf die Speisekarte des Koppi Roasters Cafés im schwedischen Helsingborg, wo die Baristas Anny Lunell und Charles Nystrand arbeiteten. Wie konnte ich nur so lange nichts davon mitbekommen? Denn wir kennen sicher alle die Situation, dass nach einer langen Partynacht der Katerkaffee hermuss. Der Espresso-Tonic entstand genau da, am „Morgen danach“, ganz durch einen Zufall: Es war etwas Tonic-Wasser übrig, das für den Frischekick prompt in den morgendlichen Katerkaffee geschüttet wurde. Mit diesem Zufall kam der Stein ins Rollen. Die Popularität des Espresso-Tonics in Skandinavien wuchs und 2010 hatte sich das Getränk aufgrund internationaler Barista-Wettbewerbe in der nordamerikanischen Kaffeekultur verbreitet. Auch in Japan kam der Espresso-Tonic an. Sein Comeback in Europa fand jedoch erst gegen 2014 statt, dafür aber mit starker Präsenz.
Nur in Deutschland scheint der Trend kaum angekommen zu sein. Vielleicht bin ich nicht die Einzige, die sich dabei ertappt, lieber ihrem Cappuccino treu bleiben zu wollen. In Tschechien hingegen, besonders in Prag, ist der Espresso-Tonic seit mehreren Jahren ein Hit. Dies liegt womöglich an der frühen Adaption einiger Cafés und an der experimentierfreudigen tschechischen Kaffeekultur, die Touristen und Einheimische gleichermaßen begeistert. Mit Freude werden Variationen des Espresso-Tonics kreiert, ob mit einem Schuss Lavendelsirup, etwas Zucker oder Orangensaft – das Getränk scheint nie langweilig zu werden.
Raus aus dem Cappuccino-Trott
In den Augen meiner deutschen Freunde würde ich höchstwahrscheinlich ein großes Wundern sehen, wenn ich erzähle: Mein neues Lieblingssommergetränk ist der Espresso-Tonic. „Was soll das denn?“, würden die Blicke sagen. Ganz klar: Die Abwechslung ist entscheidend und ich werde wohl nicht das letzte Mal eine wilde Kaffeekreation ausprobieren. Habe ich doch tatsächlich vorhin im Café um die Ecke eine Mischung aus Rhabarbersaft, Tonic-Wasser und Espresso gesehen und eine weitere Variante mit Matcha (Grüntee) anstatt des Kaffees – auch wenn dabei wohl der Name Espresso-Tonic ins Wasser fällt. Ein langweiliger Sommer wird das jedenfalls nicht und ich empfehle jedem, sich selbst ein Bild von diesem spritzigen, alkoholfreien Sommergetränk in Tschechien zu machen. Ob mit Zitrone, Orange, Holunderblütensirup oder Rosmarinstängel – der Espresso-Tonic verspricht eine Geschmacksexplosion.
Liebe Leserinnen und Leser,
ich bin Rosa und meine Liebe zu Prag hat mich zum LandesEcho geführt, wo ich ein dreimonatiges Praktikum absolviere. Mit elf Jahren habe ich aus familiären Gründen einige Zeit in Prag gelebt und bin froh, nach meinem Bachelorabschluss in Medien- und Wirtschaftspsychologie in Köln wieder hier sein zu können und mehr über den Journalismus und die deutsche Minderheit in Tschechien zu erfahren. Meine Interessen umfassen vor allem Kultur, Politik und gesellschaftliche Themen. Neben meiner großen Leidenschaft fürs Tanzen, gehe ich gerne auf Entdeckungstour in Parks und Cafés und tausche mich mit Menschen aus, um zu erfahren, was sie bewegt. Diese Begegnungen bereichern nicht nur mein Leben, sondern auch meine journalistische Arbeit. Ich freue mich darauf, Euch auf meine Reise mitzunehmen und interessante Themen zu besprechen.
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