Im letzten Sonnenlicht flimmert der Magnesiumstaub, der Geruch von alten Sportmatten erfüllt die Luft, ab und zu dringt ein Fluchen ans Ohr. Was für Außenstehende womöglich nicht besonders einladend klingt, ist ein wahres Paradies für alle Boulderfans: der Prager Kletterclub „UltraAnt“.
Beim Bouldern handelt es sich um eine Disziplin des Sportkletterns, die ohne Gurte und Sicherung durch Seile durchgeführt wird. Das klingt jetzt erst einmal waghalsig, doch es geht dabei nur in Höhen von bis zu sechs Metern hinauf. Und wenn man doch einmal fällt, dann fällt man auf weiche Matten. Das Bouldern hat eine lange Tradition, die Bergsportler nutzten es schon im 19. Jahrhundert als Klettertraining in einer sicheren Distanz zum Boden.
Ich selbst habe aber erst vor einem Jahr begonnen, mehr oder weniger regelmäßig bouldern zu gehen. Auf den Sport bin ich durch meinen Freundeskreis in Regensburg aufmerksam geworden, wo er unter Studenten längst als Trendsport gilt. Vielleicht gerade deswegen, weil prinzipiell jeder bouldern kann, der Lust darauf hat und sich körperlich fit fühlt. Es gibt nämlich ganz einfache Routen, die auch für absolute Sportmuffel und Ungeübte zu schaffen sind. Damit sich aber niemand unterfordert fühlen muss, existieren selbstverständlich auch sehr knifflige „Boulderprobleme“, wie man die Routen im Fachjargon nennt.
Bei meinen ersten Versuchen an den schwierigeren Problemen fühlte ich mich nicht selten wie ein nasser Sack und ein Schluck Wasser zugleich. Diese Art des Kletterns erfordert nämlich nicht nur Armmuskeln, wie man vermuten könnte, sondern vor allem die Körpermitte muss man stabil an der Wand halten können. Und als wäre das nicht genug, entscheiden auch noch Technik und Körperbau über den Erfolg oder Nichterfolg an der Wand. Als relativ klein gewachsener Mensch rege ich mich dann regelmäßig über die Schrauber auf, die manche Griffe in einer für mich unerreichbaren Höhe anbringen und an sich lösbare Boulderrouten zu echten Problemen werden lassen.
Boulderparadies Tschechien
Ein- bis zweimal wöchentlich findet man mich nun in meiner Stammboulderhalle in einem Prager Keller, nur 200 Meter vom Altstädter Ring entfernt. Sie gehört zu den ältesten Kletterhallen Prags und strahlt auch genau diese Atmosphäre aus: ein bisschen muffelig, aber gemütlich. Und es verirrt sich garantiert niemand hinein, der nicht genau diese Atmosphäre sucht.
Deshalb kommen auch weniger Trend- als vielmehr Traditionskletterer hierher. Darin unterscheidet sich die Regensburger Halle von der in Prag: Weil in Deutschland das Bouldern als Trendsport gilt und viele Wettbewerbe auch für Amateure stattfinden, ist die Stimmung in der Regensburger Halle ab und zu angespannt und von Konkurrenzkampf geprägt. Meine tschechischen Mitsportler nehmen hingegen das ganze Bouldererlebnis aus meiner Sicht ein bisschen entspannter als die deutschen. Man kommt miteinander ins Gespräch und hilft einander, wenn es mal nicht weiter geht. Außerdem wird man oft spontan zu einem Kletterausflug ins Grüne eingeladen und lernt ganz nebenbei noch tschechische Klettervokabeln.
Im UltraAnt-Club finden auch Boulderkurse für Kinder statt. Schon oft haben ich und meine erwachsenen Kletterfreunde fasziniert beobachtet, wie unbeschwert sich die kleinen Menschen von Griff zu Griff hangeln. Im Gegensatz zu vielen Erwachsenen bremst sie an der Wand die Angst nicht aus. Erst vor Kurzem meinte eine junge Tschechin zu mir: „Wenn du die richtig schwierigen Probleme schaffen willst, musst du zeitig anfangen. Da musst du schon als kleiner Knirps mit den Großeltern und Eltern regelmäßig am Felsen gewesen sein.“
So hat es auch Adam Ondra gemacht, das tschechische Kletter- und Bouldertalent aus Brünn (Brno). Er hat schon mit zarten sechs Jahren mit dem Klettern begonnen und gehört nun zur Weltspitze in diesem Sport. Ondra klettert nicht wie ich nur in Hallen, sondern auch in der freien Natur am echten Felsen. Davon gibt es in Tschechien nämlich mehr als genug. Allein in den Sektoren rund um das westböhmische Petersburg (Petrohrad) handelt es sich um mehr als 3000 Boulderprobleme und es werden täglich neue entdeckt. Und wer weiß, vielleicht werde auch ich irgendwann einmal draußen am Felsen bouldern, womöglich sogar in Tschechien…
Für Außenstehende ist es oft unverständlich, warum um Himmels Willen man seine Füße in die engen Kletterschuhe steckt, um sich dann schwitzend und triefend ein Boulderproblem hochzukämpfen und anschließend vor Angst fast zu sterben. Für einige ist es das Adrenalin, welches sie immer wieder an die Kletterwand treibt. Für mich dagegen ist das Bouldern eine Tätigkeit, bei der ich sehr genau meine körperlichen Grenzen ausloten kann. Ich lerne nach und nach, was ich meinem Körper zutrauen kann und auch, dass es oft nur der eigene Kopf ist, der einen zurückhält. Beim Bouldern begegne ich mir gewissermaßen selbst, und das ist ein sehr schönes und faszinierendes Gefühl.
Bis bald und ahoj.
Das könnte Sie auch interessieren:
LandesBlog: Auf sanften Sohlen durch Pra
Ich bin ein Dorfkind, aufgewachsen in einer 400-Seelen-Gemeinde. Schon immerhabe ich meine Zeit gern in der Natur verbracht und es geliebt, im Sommer barfuß durch den Garten und das Dorf zu schlendern.Enge Schuhe mochte ich hingegen noch nie wirklich. Getragen habe ich sie dennoch – sie sehen schließlich schick aus.