Einst ragte im Letná-Park ein imposantes Stalin-Denkmal empor, heute steht dort eines der faszinierendsten Kunstwerke Prags – das Metronom. Das Herz unserer LandesBloggerin Rosa schlägt aufgeregt schneller, während sie die Geschichten rund um das stille Metronom entdeckt und von unterirdischen Räumen, Sprengstoff und den Rätseln der Zeit erfährt.
Mitten im Letná-Park stößt der aufmerksame Spaziergänger auf ein eigenwilliges Kunstwerk: ein überdimensionales Metronom, umgeben von Betonplatten, bunten Graffitis, Skateboardern, Getränkebuden, Touristen und einladenden Liegestühlen – die „Zeitmaschine“ (Stroj času). Aus der Ferne, etwa von der Čechuv-Most-Brücke, wirkt das Kunstwerk auf dem Hügel fast mystisch. Prager als auch Reisende nennen diesen monumentalen Zeitmesser umgangssprachlich liebevoll „Metronom“ und fühlen sich von ihm angezogen. Er trifft exakt den perspektivischen Fluchtpunkt der Pařížská-Straße, mit Fernblick vom Altstädter Ring und Sichtbarkeit vom Moldauufer. Die Anziehungskraft dieses 25 Meter hohen Objekts ist groß genug, um die vielen Stufen hinaufzusteigen und den Metronom in seiner ganzen Pracht zu bewundern. Es birgt eine Geschichte von Ehrgeiz, Wandel und Verfall.
Ein Denkmal voller Kontraste
Das Kunstwerk ist eine Installation von Vratislav Karel Novák. Ein Visionär der kinetischen Kunst. Novák verstand es, Bewegung, Licht und Klang zu einem lebendigen Erlebnis zu verschmelzen. Der 2014 verstorbene Professor an der Akademie für Kunst, Architektur und Design hinterließ nicht nur das ikonische Metronom, sondern eine ganze Reihe von Objekten mit komplexen Mechanismen, die fast immer Bewegung, Licht und Ton nutzen. Auch das Metronom wurde ursprünglich von einem Elektromotor angetrieben, wobei der Zeiger einen Kreisbogen von etwa 60° beschrieb.
Seit einigen Jahren steht es jedoch still, aber auch ohne die Dynamik scheint die Symbolik zu wirken. Ich fühle den unerbittlichen Lauf der Zeit, während ich an einem warmen Sommertag dem Metronom entgegenblicke, den die Abendsonne golden einrahmt. Noch vor ein paar Wochen tanzte ich zu seinen Füßen, umgeben von elektronischen Beats und einer ausgelassenen Menschenmenge. Ein Typ mit Cap sprach mich auf Niederländisch an, er sei gerade auf der Durchreise und in einer kleinen Gruppe weiter hinten teilte eine junge Frau auf Spanisch ihre neuesten Erlebnisse. Die Stimmung war fröhlich und frei – eine Freiheit, die diesen Ort nicht immer prägte. Als die Musik verstummte, verließ ich die Menge und reiste gedanklich in die Vergangenheit. Der Zeiger der Zeitmaschine reckte sich mahnend gen Himmel, als wolle er mich an die schwierigen Zeiten erinnern, die Prag durchleben musste, um die Freiheit zu erlangen, die ich heute so selbstverständlich genieße.
Von Granit zu Stahl: Die Metamorphose des Letná-Hügels
Noch vor guten 60 Jahren stand an dieser Stelle das größte Denkmal zu Ehren des sowjetischen Parteichefs Josef Stalin. Es war ein Mammutprojekt, das fünf Jahre Bauzeit in Anspruch nahm und den Schlaf von 600 Handwerkern kostete. Als es 1955 schließlich auf seinem granitverkleideten Sockel enthüllt wurde, belief sich der Wert auf stolze 140 Millionen tschechoslowakische Kronen. Das Denkmal, was von vielen spöttisch „Fleischschlange“ genannt wurde, stand da, wie etwas, das den richtigen Zeitpunkt verfehlt hatte und nun verzweifelt seinen Platz in der Welt suchte.
Kein Wunder, dass das Schicksal der Skulptur ebenso schwer wog wie ihre Errichtung. Nur sieben Jahre nach ihrer Einweihung wurde das Monument im Zuge der Entstalinisierung unter strengster Geheimhaltung der Kommunistischen Partei mit 800 Kilogramm Sprengstoff dem Erdboden gleichgemacht. Was blieb, war ein leerer Platz, der fast 30 Jahre wie eine offene Wunde auf dem Letná-Hügel lag. Doch die Leere hielt nicht für immer an.
Am 15. Mai 1991, anlässlich der allgemeinen Tschechoslowakischen Ausstellung, erlebte der übrig gebliebene Sockel eine Wiederbelebung. Mit einem leistungsstarken Hubschrauber setzte man die 7 Tonnen schwere Zeitmaschine darauf ab. Seitdem ziert sie den Sockel und wacht über eine kaum bekannte Welt: Ein Raum unter der Erde, gestützt von mächtigen Betonsäulen, der ursprünglich zur Stabilisierung des Hanges errichtet wurde. In diesem unterirdischen Labyrinth liegen noch heute Teile der Trümmer des alten Stalin-Denkmals, während der Rest angeblich in einem Seitenarm der Moldau versank.
Zwischen Radio und stiller Vergessenheit
Nach der Samtenen Revolution füllte sich dieser Raum vorübergehend mit neuem Leben: Ein Rockclub und der erste private Radiosender „Radio Stalin“ nutzten das unterirdische Labyrinth, ehe es wieder still wurde. Vor sechs Jahren öffnete sich der Bunker für kurze Zeit wieder der Öffentlichkeit. Eine multimediale Ausstellung anlässlich der Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der Gründung der Tschechischen Republik erinnerte an die Ereignisse des 20. Jahrhunderts aus der Sicht von Zeitzeugen. Seitdem die Türen wieder geschlossen sind, steht es ungewiss um die Zukunft des Bunkers. Denn die Kosten für eine Restaurierung sind enorm. Die Stadt Prag sucht händeringend nach einem Investor, der bereit ist, dieses historische Erbe zu bewahren. Die Idee, dort ein Museum zu errichten, stieß bisher vor allem auf Skepsis. Denn wer will schon, dass dieser friedliche Park durch Besucherströme und Bauarbeiten gestört wird? Doch für mich ist der Gedanke verlockend: Im Hochsommer in die kühle Dunkelheit des Berges eintauchen, zwischen massiven Säulen wandeln und dabei spüren, wie über mir das Metronom tickt, das unaufhörlich die Zeit misst. Schon bei der Vorstellung bekomme ich eine Gänsehaut.
Das Metronom als kultureller Treffpunkt
Heute ist das Areal um das Metronom ein beliebter Treffpunkt für Skater und Musikliebhaber, die den Blick über die Stadt genießen. An schönen Sommertagen wird der Platz von jungen Menschen regelrecht überrannt, die sich bei einem kühlen Bier entspannen. Unter dem Namen „Metronom“ steht in Prag auch ein jährliches Musikfestival, bei dem bekannte Künstler und Künstlerinnen aus aller Welt ihre Musik präsentieren und tausende Menschen zum Mitsingen ermutigen. Das Kunstwerk des Metronoms selbst, ein stiller Zeuge der Geschichte, schlägt weiter Jahr für Jahr den Takt, gibt aktuell zwar keinen hörbaren Takt mehr vor, doch das Leben um die Installation herum pulsiert weiter.
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