Ein Spaziergang unseres Landesbloggers Tobias endete abrupt vor verschlossenen Toren am Moldauufer. Der abgeriegelte Wohnblock offenbarte auf den zweiten Blick jedoch eine unschöne Seite Prags, von der er vorher nichts ahnte.
Bei einem Sonntagsspaziergang kann man in Prag so einiges entdecken. Vor allem das Ufer der Moldau lädt zum ausgiebigen Flanieren ein. Bei meinem letzten Spaziergang war am Ufer des Flusses allerdings kein Weiterkommen mehr. Meine Freundin und ich kamen an einem kleinen Damm an und während wir diesen überquerten, offenbarte sich vor uns ein kleines Viertel direkt an mehreren Moldaubuchten. Die Bauten wirkten architektonisch zwar etwas kalt und wenig einladend, die idyllische Lage machte uns aber zumindest neugierig genug, um einmal diese kleine Ecke Prags erkunden zu wollen.
Wenigstens die Lage der Wohnungen ist idyllisch. Foto: Tobias Eisch
Wohnen hinter dem Zaun
Doch das war einfacher gesagt als getan, denn nicht nur die Gebäude wirkten wenig einladend. Ein Zaun aus massivem Metall versperrte den Durchgang zu der kleinen Promenade am Flussufer. Auf dem Gelände des eingezäunten Wohnblocks war zudem jeder Zentimeter videoüberwacht – nicht nur die Eingangstüren, die Einfahrt und das Tor am Zaun, auch die Wege innerhalb des abgeschotteten Bereichs.
Der Anblick warf uns ein wenig aus der Bahn. Wir haben Prag als eine Stadt kennengelernt, die voller weltoffener Menschen ist. An jeder Ecke entstehen neue und aufregende Orte, die versuchen, die Menschen in die Stadt und das Leben zu integrieren. Aber jetzt sahen wir vor uns das genaue Gegenteil dessen. Die Bauweise sparte an Ornamenten und hinterlässt so einen menschenverlassenen Eindruck. Allgemein erinnert der Anblick an eine Dystopie aus einem Kinofilm, in dem die Menschen keinerlei Freiheiten haben. Auf uns wirkte dieser Ort mit seinem Zaun und der allgegenwärtigen Überwachung wie eine Luxusvariante eines Gefängnisses, weshalb wir uns ernsthaft fragten, was für Menschen wohl so abgeschottet und eingesperrt leben wollen.
Eingesperrte Anwohner
Die Antwort auf diese Frage ist schnell zu finden, das Phänomen nennt sich „gated community“, also „eingezäunte Gemeinschaft“, und wird wissenschaftlich breit erforscht. Luxusimmobilien, eingesperrt zwischen Zäunen und Mauern, sind ein Anblick, den es in Prag immer häufiger gibt. Die „gated communities“ in der goldenen Stadt nehmen zu und werden von ganz unterschiedlichen Menschen bewohnt. Zum einen gibt es da diejenigen, die aus dem Ausland nach Prag kommen, um hier für einige Zeit zu arbeiten, sogenannte „Expats“. Sie verdienen gut, kommen allerdings auch oft aus weiter entfernten Ländern und können die Sicherheitslage in Tschechien nicht richtig einschätzen. Zum anderen wählen aber auch Tschechen diese Art des Wohnens. Dabei handelt es sich um den wohlhabendsten Teil der Gesellschaft, die „oberen Zehntausend“, wie sie oftmals genannt werden.
Die Immobilienfirmen selbst werben allerdings nur am Rande mit dem Sicherheitsaspekt. Sie preisen vor allem die Vorteile des geschlossenen infrastrukturellen Systems an. Wohnung, Fitnessstudio, Büro und Kneipe sind alle im selben Block und man muss seine Straße eigentlich gar nicht mehr verlassen. Die Elite des Landes schottet sich ab. Warum man dies möchte, ist uns schleierhaft. In Prag zu wohnen, um dann nicht aus seiner eigenen Parallelgesellschaft herauszukommen, ist für uns eher abschreckend. Aber wir gehören auch nicht zu der Zielgruppe, möglicherweise können wir das auch gar nicht verstehen.
Moldauufer und Promenade sind mit den Wohnungen eingeschlossen. Foto: Tobias Eisch
Soziale und wirtschaftliche Probleme der Abschottung
Für Tschechien könnten diese Parallelgesellschaften allerdings noch zu einem ernsthaften Problem werden. Wenn sich ein Teil der Bevölkerung vollkommen abschottet und kaum Kontakt zu seinen Mitmenschen hat, geht der Bezug zur Realität und den Problemen der Gesellschaft flöten. Die Folgen sind Radikalisierungsprozesse und eine politische Lähmung in den zentralen Fragen der Zeit. Die Spaltung der tschechischen Gesellschaft lässt sich überall beobachten, nicht nur in dem sehr eindrücklichen Gegensatz von Plattenbau und Luxus-Siedlung oder bei der morgendlichen Fahrt mit der Tram. Wer das politische Geschehen hierzulande verfolgt, weiß, welch ein Bruch durch Tschechien geht, nicht nur zwischen den Anhängern von Andrej Babiš und denen der Piraten-Partei. Die Themen, entlang derer sich die tschechische Gesellschaft spaltet, die Gründe hierfür und die daraus entstehenden Probleme, zeigte erst kürzlich die Studie „Eine Gesellschaft – verschiedene Welten“ (Jedna společnost – různé světy) des Instituts für empirische Forschung (STEM – Ústav empirických výzkumů), in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und der demokratischen Masaryk-Akademie (Masarykova demokratická akademie).
Die Luxusimmobilien, die wir entdeckten, offenbaren auf den zweiten Blick weitere Probleme. Für den Staat sind diese wohl wirtschaftlich weniger rentabel, als es auf den ersten Blick scheint. Die Immobilienfirma gehört nämlich zu einer gleichnamigen Holding mit Firmensitz auf Malta. Damit teilt sie sich eine Adresse mit 460 weiteren Unternehmen und Personen. Die eingesetzte Geschäftsführerin hat diese oder ähnliche Positionen bei 525 weiteren Firmen. Dies ist den Daten der sogenannten „Paradise Papers“ zu entnehmen. Der Journalisten-Verbund „International Consortium of Investigative Journalists“ veröffentlichte diese Daten zu der legalen Steueroase in der EU auf ihrer Homepage. Die Immobilienfirma wirkt also, milde gesprochen, ein wenig dubios. Wie viele Steuern am Ende schließlich in Tschechien landen, ist fraglich, denn die Agentur der Geschäftsführerin wirbt auf ihrer Homepage offen mit Steuereinsparungen.
Dann doch lieber in die Kneipe
Alles in allem habe ich nach dem Spaziergang und meinen anschließenden Recherchen den Eindruck gewonnen, einen düsteren Teil der Stadt gesehen zu haben. In Prag ist wohl auch nicht alles Gold, was glänzt. Es ist nun doch erstaunlich, was man alles finden kann, wenn man einmal hinter die luxuriösen Fassaden blickt. Doch selbst wenn wir das alles nicht herausgefunden hätten, der Ort wirkte auch so schon sehr befremdlich und kalt auf uns.
Mittags ist die Kneipenoase der lebendigste Ort zwischen Büroräumen und Luxuswohnungen. Foto: Tobias Eisch
Eine kleine positive Entdeckung zum Schluss möchte ich allerdings nicht verheimlichen: Zwischen den ganzen Neubauten haben wir nämlich eine kleine Kneipe gefunden, in dem einzigen Haus des Blocks aus einer vorherigen Zeit. Dort saßen die Arbeiter des Viertels am Mittagstisch und genehmigten sich ihr wohlverdientes Pivo. Ein Anblick, der mir tausendmal sympathischer ist als der der sterilen und leeren Kneipe im Glashaus der Neubauten nebenan.
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Ahoj aus der goldenen Stadt
Mein Name ist Tobias Eisch und ich arbeite aktuell als Praktikant in der Redaktion des LandesEcho. Seit Anfang August bis Ende September schreibe, fotografiere, recherchiere und redigiere ich für das Magazin direkt aus dem Prager Büro. Normalerweise studiere ich in Regensburg den Master Ost-West Studien mit den Schwerpunkten Politikwissenschaft und Slavistik, daher kenne ich Tschechien hauptsächlich aus dem politischen Tagesgeschehen und aus Büchern. Ich bin allerdings auch nicht zum ersten Mal in der goldenen Stadt. Vor einigen Jahren durfte ich Prag im Zuge eines anderen Praktikums erleben und ich bin gespannt, wie sich die Metropole an der Moldau seitdem entwickelt hat. Aber auch das mache ich nicht ganz ohne Bücher, meine Ausgabe von Paul Leppins „Severins Gang in die Finsternis“ habe ich mir speziell für meinen Prag-Aufenthalt aufgehoben, um sie auch direkt in der passenden Umgebung zu lesen. Ich freue mich schon sehr darauf, Prag und Tschechien jetzt noch einmal aus einer ganz neuen Perspektive entdecken zu können und die deutsche Minderheit in Tschechien kennenzulernen.