In seinem letzten Beitrag begibt sich unser Landesblogger Robin auf die Spur von Tycho Brahe und Johannes Kepler. Die beiden begründeten gemeinsam in Prag die ersten Ansätze unseres heutigen Verständnisses des Universums.
Wer sich die Bewertungen der Astronomischen Uhr auf dem Prager Altstädter Ring im Internet anschaut, der wird trotz prinzipiell positiver Kommentare eine gewisse Enttäuschung mitschwingen hören. So beschreibt etwa der Nutzer Alexander G. seine Erfahrung mit der Uhr folgendermaßen: „Das Spektakel mit der Uhr zur vollen Stunde hat sich in Grenzen gehalten. Ich habe eigentlich viel mehr erwartet. Aber es war ok.“
Vielleicht liegt es an der Reizüberflutung unserer Tage, dass sich solche Beschreibungen für eines der bekanntesten Denkmäler menschlicher Kunstfertigkeit häufen. Angesichts der unzähligen Unterhaltungsangebote, die tagtäglich auf uns einströmen, ist das nicht verwunderlich. Was sollte schon Besonderes an einer einfachen Uhr aus dem 15. Jahrhundert sein?
Tatsächlich einiges. Sowohl unsere Fähigkeit, die Zeit zu messen, als auch unsere stetig fortschreitende Beobachtung astronomischer Phänomene haben eine unterschätzte Rolle in der Entwicklung unserer Zivilisation gespielt. Die Verabredung der Menschen auf eine gemeinsame Zeit ist Voraussetzung für das Funktionieren beinahe jeder Form von Zusammenarbeit. Und die Erklärung astronomischer Phänomene hat die Entwicklung der modernen Physik so maßgeblich beeinflusst, dass letztere ohne jene kaum vorstellbar wäre. So war etwa die newtonsche Mechanik nicht zuletzt aufgrund der Daten möglich, die die beiden Astronomen Tycho Brahe und Johannes Kepler von der Bewegung der Planeten erhoben.
Die ersten neuzeitlichen Astronomen
Die beiden kamen im Jahr 1600 am Hof von Kaiser Rudolph II. zusammen. Ein bedeutsames Treffen, denn bei ihnen handelt es sich wohl um die wichtigsten Astronomen der frühen Neuzeit. Schon in ihrer – oftmals schwierigen – Zusammenarbeit machte sich die spätere Unterteilung der Physik in eine experimentelle, bzw. beobachtende und eine theoretische Disziplin bemerkbar. Während Brahe hauptsächlich experimentell arbeitete und zahlreiche, teilweise metergroße Messinstrumente konstruierte, beschäftigte Kepler sich mehr mit den mathematischen Zahlenverhältnissen, die der Bewegung der Gestirne zugrunde liegen.
Ihre kurze Zusammenarbeit, die mit Brahes Tod im Jahr 1601 endete, bildete die Grundlage für Keplers Formulierung der Gesetze der Planetenbewegung. Später baute Newton auf den Arbeiten von Brahe und Kepler auf, um seine Gravitationsgesetze zu formulieren. Eine der folgenreichsten physikalischen Theorien der Neuzeit wäre ohne die Arbeit dieser beiden Astronomen vielleicht nicht möglich gewesen.
Brahe war der erste Astronom, der auf exakte und wiederholte Beobachtungen astronomischer Phänomene zu ihrer Erklärung zählte. Die Instrumente, die er zu diesem Zweck baute, kosteten den dänischen König bis zu zwei Prozent seines jährlichen Haushalts. Kepler leistete einen entscheidenden Beitrag zur Korrektur des kopernikanischen Weltbildes, als er auf der Grundlage von Brahes Messdaten erkannte, dass Monde und Planeten sich nicht auf Kreis- sondern auf elliptischen Bahnen bewegten. Seine mathematische Beschreibung der Planetenbewegung in den drei keplerschen Gesetzen ist einer der ersten Meilensteine der mathematischen Physik.
Vorreiter der modernen Naturwissenschaft
Die Arbeit der beiden Forscher steht am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Sie gehörten zu den ersten, die mathematische, erfahrungsbasierte Wissenschaft betrieben. Mit ihrer Arbeit trugen sie maßgeblich dazu bei, die klassischen Modelle der Weltanschauung, die zuvor von der Religion und der antiken Tradition bereitgestellt wurden, durch eine neue Methode abzulösen, bei der die gewissenhafte Überprüfung theoretischer Behauptungen durch möglichst exakte Messdaten im Vordergrund stand. Ein guter Teil dieser Arbeit fand in Prag statt.
Brahe kam nach langjähriger Forschung in Dänemark nach Prag, als ihm nach dem Tod seines Mäzens Friedrich II. von Dänemark von seinem Nachfolger die Mittel für seine aufwändige Sternbeobachtung gekürzt wurden, die er auf den Sternwarten Uraniborg und Sterneborg betrieb. Kaiser Rudolph II. beauftragte ihn mit der Anfertigung neuer Sterntafeln, die Brahe jedoch nicht mehr fertigstellen würde. Stattdessen übernahm diese Aufgabe Kepler, der schließlich 1627 die bis dahin genauesten Daten über die Bewegung der Gestirne in den Rudolfinischen Tafeln zusammenfasste.
Eine schwierige Zusammenarbeit
Zu Brahes Lebzeiten hatte Kepler jedoch kaum Einblick in dessen umfangreiche Datensammlung. Brahe, der ein jähzorniges und eifersüchtiges Naturell besaß, ließ dem begabten Mathematiker nur kleine Ausschnitte seiner Forschungsergebnisse zur weiteren Bearbeitung.
Dabei war es Brahe selbst, der Kepler zu sich nach Prag einlud. Im astronomischen Erstlingswerk des jungen Deutschen, dem Mysterium Cosmopgraphicum, [dt.: Weltgeheimnis] erkannte der 25 Jahre ältere Brahe ein großes Talent, von dem er erhoffte, dass es ihm bei der Ausarbeitung und Verbreitung seines eigenen Weltbildes, das einen Kompromiss zwischen dem ptolemäischen und dem kopernikanischen Weltbild darstellte, behilflich werden könne.
Veränderung unseres Weltbilds
Dazu kam es aber nicht. Tatsächlich verhalfen Keplers Arbeiten später dem heliozentrischen Weltbild von Kopernikus zum Durchbruch, das die überlieferte Anschauung, nach der die Erde im Zentrum des Universums liege, ablöste.
Den beiden Astronomen hat die Stadt Prag im Stadtteil Pohořelec ein Denkmal gewidmet. Und wer die Astronomische Uhr auf dem Altstädter Ring besucht, der kann etwas von dem weiten Weg ahnen, den unser Wissen von den Gestirnen seit ihrer Konstruktion genommen hat. Bei ihrem Bau wusste noch niemand, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Doch das Wissen um die astronomischen Vorgänge, das in ihr aufbewahrt ist, führte Schritt für Schritt näher an diese und viele weitere grundlegende Erkenntnisse heran.
Über unseren Landesblogger:
„Dobrý den. Jmenuji se Robin Sluk. Rád Vás poznávám.“
Zumindest die Vorstellung auf Tschechisch klappt schon einigermaßen. Was den Rest der Sprache anbetrifft, werde ich in den nächsten Monaten noch viel zu lernen haben.
Mit Tschechien verbindet mich die Geschichte meines Vaters, der als Sohn deutscher Eltern in Reichenberg (Liberec) aufwuchs und im August 1968 mit seiner Familie ausgewandert ist. Diese Ausreise war ein recht interessanter Vorgang, über den ich gerne in einem oder zwei Artikeln für das LandesEcho berichten werde. Insbesondere bin ich darauf gespannt, die Prager Kultur- und Literaturszene kennenzulernen und plane einige Artikel über die Geschichte der deutschsprachigen Literatur in Prag.
Ursprünglich habe ich in Freiburg Philosophie und Mathematik studiert. Mein Ziel beim LandesEcho ist es, einige grundlegende journalistische Kompetenzen aufzubauen. Ganz fremd bin ich der schreibenden Zunft allerdings nicht: Neben der Arbeit bei LandesEcho sitze ich zur Zeit an meinem ersten größeren Projekt, einem literarischen Tagebuch über St. Petersburg, wo ich von August 2018 bis Juni 2019 gelebt habe.
Ich freue mich auf die Zeit in der Redaktion und hoffe, der Leserschaft einige lesenswerte Artikel präsentieren zu können.
P.S.: Sofern ein Prager Leser oder eine Leserin daran interessiert ist, mit mir deutsch zu sprechen und mir dafür im Gegenzug etwas Tschechisch beibringen möchte, kann er oder sie mich unter der Adresse: praktikant@landesecho.cz erreichen.