Unser Landesblogger Robin beschäftigt sich mit MMA-Kämpfern in Tschechien. Der Kampfsport erfreut sich großer Beliebtheit in der Moldaurepublik.
Am Montag, den 13. Juni 2022, veranstalteten die Tschechen eine große Willkommensparade für einen Mann namens Jiří Procházka. Zwei Tage zuvor hatte der MMA-Kämpfer in Singapur den Weltmeistertitel der Ultimate Fighting Championship (UFC) im Halbschwergewicht gewonnen – den prestigeträchtigsten Titel, den man im noch jungen Sport der gemischten Kampfkünste (oder Mixed Martial Arts) erreichen kann. Bei MMA handelt es sich um eine Kampfsportart, bei der prinzipiell alle Techniken und Kampfdisziplinen zugelassen sind, mit Ausnahme einiger Angriffe, die leicht bleibende Schäden hervorrufen können, zum Beispiel gegen Augen und Haare. Die Kämpfer treten gewöhnlich in drei Runden à fünf Minuten gegeneinander an. Ausgetragen wird der Kampf entweder in einem Boxring oder einem achteckigen Käfig.
Dass die Tschechen jemanden, der in einem verhältnismäßig obskuren Kampfsport erfolgreich ist, wie einen Nationalhelden feiern, erscheint vielleicht befremdlich. Allerdings sind die gemischten Kampfkünste schon seit gut einem Jahrzehnt in der Moldaurepublik auf dem Vormarsch. Zahlreiche große und kleine Veranstalter richten Turniere und Kampfnächte in Böhmen und Mähren aus. Die Veranstaltungen sind gut besucht. Der größte tschechische Promoter OKTAGON verzeichnete schon im Jahr 2019 die dritthöchste Besucherzahl in der O2-Arena in Prag. Diese wurde zuvor nur von Metallica und der tschechischen Rock-Ikone Kabat übertroffen. Bei den Veranstaltungen treffen Größen des tschechischen MMA aufeinander, so zum Beispiel Karlos Vemola und Viktor Pešta.
Der Sport existiert seit 1993
Woher kommt die Begeisterung für diesen Sport in der Tschechischen Republik (die damit übrigens keine Ausnahme unter den Staaten Ost- und Mitteleuropas darstellt)? Hierfür lassen sich mehrere Gründe nennen. Einerseits reitet das Land auf einer weltweiten Welle von Begeisterung für MMA mit, die 1993 in den USA mit der ersten Veranstaltung der Ultimate Fighting Championship (UFC) ihren Anfang nahm. Spätestens seit etwa 2010 ist der neuartige Kampfsport in den USA im Mainstream angekommen. Seitdem wurden immer mehr Staaten vom MMA-Fieber erfasst, am prominentesten wahrscheinlich Irland, das ähnlich wie Tschechien mit Procházka durch den Federgewichtler Conor McGregor aus Dublin eine große Identifikationsfigur mit dem Sport hat.
Andererseits füllt MMA eine Lücke im Kampfsport, die durch das abnehmende Interesse an Boxkämpfen entstanden ist. Das Boxen hat sich in den letzten Jahren weltweit durch seine schwierige Politik ins Abseits bewegt. Häufig treffen nicht die besten Kämpfer aufeinander, da diese für verschiedene konkurrierende Organisationen kämpfen und häufig ein Interesse daran haben, andere starke Gegner zu vermeiden. Auch fehlte es dem Sport zuletzt an charismatischen Figuren. Hier bildet wohl nur der Schwergewichtsmeister Tyson Fury aus England eine ernstzunehmende Ausnahme.
Zudem steht Kampfsport in den Ländern Ost- und Ostmitteleuropas höher im Kurs, als beispielsweise in Deutschland. So brachte nicht nur die Tschechische Republik, sondern auch Polen einen Weltmeister im Halbschwergewicht hervor: Jan Błachowicz hatte den Titel im Jahr 2020 errungen.
Warum das so ist, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht haben die extensiven Sportprogramme, die für alle ehemaligen Ostblockstaaten typisch waren, ihre Spuren hinterlassen. Vielleicht ist das Interesse für Kampfsport im pazifistisch geprägten Deutschland nicht so hoch. Doch es bleibt abzuwarten, wie ein deutscher UFC-Champion unser Bild auf den Sport verändern würde.
Ein hoch komplexer Kampfsport
Denn für die Menschen, die MMA oder einen anderen Vollkontaktkampfsport betreiben, stehen meist andere Dinge im Vordergrund als barbarische Brutalität. Eine Komponente von Kampfsport, die beispielsweise nicht zu unterschätzen ist, ist die technische Finesse, die man für ihn aufbringen muss. Der amerikanische UFC-Kommentator Joe Rogan beschrieb MMA einmal als „hochkomplexes Problemlösen mit schweren körperlichen Folgen“. Einem Laien ist es schwer zu vermitteln, wie schwierig viele der scheinbar mühelos ausgeführten Techniken, die MMA-Kämpfer verwenden, zu erlernen sind. Wer schon einmal bei einem einfachen Boxtraining mitgemacht hat, weiß, wie viel Training es braucht, um auch nur einen einfachen guten Schlag landen zu können.
Doch bei den gemischten Kampfkünsten kommt es nicht auf Boxtechniken an. Den Kämpfern stehen beinahe alle Waffen ihres Körpers zur Verfügung. Sie können mit Ellbogen, Knien, Armen und Beinen kämpfen. Zudem sind sie nicht auf Schlagtechniken beschränkt. Sie können den Gegner durch Ringen auf den Boden bringen oder mit – teilweise sehr schwierig durchführbaren – Hebeltechniken zum Aufgeben bringen. Der Sport, der das aktuell erfolgreichste System dieses Bodenkampfs darstellt, ist das sogenannte Brazilian-Jiu-Jitsu, eine Umwandlung des klassischen japanischen Jiu-Jitsu in eine moderne Kampfkunst, die durch eine einzige brasilianische Familie von Kampfsportlern, die Gracies, entwickelt wurde.
Eigentlich rechtfertigt jede einzelne dieser Disziplinen ein lebenslanges Studium zu ihrer Perfektion. MMA-Kämpfer müssen jedoch mindestens eine gewisse Gewandtheit im Boxen, Ringen und Brazilian-Jiu-Jitsu mitbringen, wenn sie eine Chance gegen ihre Gegner haben möchten. Die enorme Diversität der Kampfstile, die angewandt werden können, macht MMA zu einem aufregenden Zuschauersport. Jeder Kampf kann auf so viele verschiedene Weisen ausgetragen werden, dass sein Verlauf und sein Ausgang beinahe unvorhersehbar sind. Faszinierend an MMA ist nicht die Gewalt. Der Kampfsport ist eine sportliche Höchstleistung, deren Reiz durch das Risiko, dem sich die Kämpfer aussetzen, noch erhöht wird. Menschen zuzusehen, die beinahe ihr ganzes Leben der Perfektion ihrer Fähigkeiten im Ring gewidmet haben, zu wissen, wie viel Mühe sie sich geben mussten, um auf einem so hohen Niveau kämpfen zu können, stellt eine besondere Inspiration dar.
Viele Gegenstimmen
Dennoch wird MMA immer noch gerne als barbarischer Sport abgetan, der allein auf die Sensationslust der Zuschauer spekuliere. Der frühere amerikanische Senator und Präsidentschaftskandidat John McCain bezeichnete die gemischten Kampfkünste in ihrer Anfangszeit als „menschlichen Hahnenkampf“. Auch der prominente tschechische Leichtathlet Jakub Holuša äußerte sich abfällig über den Sport: „Ist es für unsere Generation wirklich gut, wenn die Mehrheit unserer Gesellschaft verrückt nach diesem Ereignis ist und dabei zusehen will, wer besser schlägt als der andere?“
Diese Haltung übersieht den Wert, den die Ausübung eines Kampfsports für die Persönlichkeitsentwicklung hat. Physische Gewalt in einem kontrollierten und kameradschaftlichen Umfeld zu erfahren, bedeutet auch, die Fähigkeit zu entwickeln, mit ihr im Ernstfall besser umgehen zu können. Es ist natürlich eine Illusion, davon auszugehen, dass Kampfsport Menschen vor jeder Form von Gewalt schützt. Eine gewisse Vorbereitung kann jedoch nicht schaden. Außerdem weiß jemand, der die Konsequenzen von physischer Gewalt versteht, für gewöhnlich besser, dass er sie im Ernstfall so gut es geht zu vermeiden hat.
Jiří Procházka, der für seinen besonderen Kampfstil bekannt ist, wird seinen Titel wohl im Sommer verteidigen, sobald er eine Schulterverletzung, die ihn für ein Jahr aus dem Rennen nahm, ausgeheilt haben wird. Die Tschechen werden sicher mitfiebern.