Zeichnung: Jiří Bernard

Heute vor 30 Jahren wurde das mitteleuropäische Staatenbündnis aus Ungarn, Polen und damals noch der Tschechoslowakei gegründet. Doch die ursprünglichen gemeinsamen Ziele der mitteleuropäischen Staaten haben sich in ihr Gegenteil verkehrt.

Visegrád ist ein mystischer aber eigentlich schrecklich trauriger Ort. Von der prächtigen Burg, dem noch schöneren gotischen Palast am Donauufer, blieben nur Ruinen. Ihre Mächtigkeit zeugt bis heute von der Größe und Reife des Ungarischen Königreiches in der Zeit vor dem Einfall der Osmanen und zugleich, wie wenig davon erhalten blieb. In Visegrád trafen sich 1335 drei mitteleuropäische Könige: der ungarische König Karl Robert von Anjou, Spross einer berühmten französischen oder wenn Sie so wollen, westeuropäischen Dynastie, der böhmische König Johann von Luxemburg sowie der Pole Kasimir der Große. Das Ergebnis ihres Vertrages sollte ewiger Frieden zwischen ihren Königreichen sein. Dazu kam es dann auch tatsächlich. Der Vertrag sollte die Basis für das goldene Zeitalter Mitteleuropas legen, an den in Tschechien vor allem die Herrschaft Karls des IV. erinnert.

Mitteleuropa wollte in den Westen

Am 15. Februar, also noch zehn Tage bevor das Ostblock-Militärbündnis Warschauer Vertrag abgeschafft wurde, trafen sich in der Burgruine drei Oberhäupter der ehemals kommunistischen Staaten Tschechoslowakei, Polen und Ungarn. Der tschechoslowakische Präsident Václav Havel, der polnische Präsident Lech Walesa und für Ungarn nicht Präsident Árpád Gönz sondern Ministerpräsident József Antall.

Dieses Treffen war eminent wichtig, denn die Staaten der Visegrád-Drei, wie sie damals bald genannt wurden, hatten gemeinsame strategische Interessen. Das wichtigste war, so schnell als möglich alle Organisationen aufzulösen, die die Staaten noch an Moskau banden. Das war neben dem Warschauer Vertrag und dem Abzug der Sowjetarmee auch der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW).

Nachdem diese Bande zerschnitten waren begann der sehr lange Weg Mitteleuropas in die Europäische Union und die NATO, ein Weg, der noch länger gewesen wäre, wenn die drei Staaten, die nach der Auflösung der Tschechoslowakei Visegrád-Vier genannt wurden, nicht zusammengearbeitet hätten. Auch wenn der Staatenbund mit dem Machtantritt des autoritären Regimes von Vladimír Mečiar in der Slowakei für fünf Jahre pausierte, gelang es, mit der mitteleuropäischen Freihandelszone CEFTA wenigstens bessere Bedingungen für den gemeinsamen Handel zu schaffen.

Nach dem Sieg der demokratischen Koalition in der Slowakei mit Premierminister Mikuláš Dzurinda an der Spitze wurde die Zusammenarbeit wieder aufgenommen. Ihre höchste Priorität war gerade Bratislava und das Bemühen der Vier, der Slowakei zu helfen, den Rückstand auf die anderen Länder der Region aufzuholen. Dieser Rückstand zeigte sich am deutlichsten 1998, als Tschechien, Polen und Ungarn im Unterschied zur Slowakei der NATO beitraten. Die Slowaken traten dem Bündnis erst in der zweiten Welle im März 2004 bei, nur einen Monat vor dem Beitritt aller vier Staaten zur Europäischen Union.

Von der EU-Integration zu autoritären Staatsführern

Das zweite Leben Visegráds begann gerade in der Europäischen Union, wo das 65 Millionen Einwohner zählende Bündnis recht häufig gemeinsame Interessen fand und sie bis zu einem gewissen Grade auch durchsetzen konnte. Doch das, was sich in den ersten Jahren positiv äußerte, sollte bald zu einer Falle werden.

Eine besonders negative Rolle spielte dabei der ungarische Premierminister Viktor Orbán, der seinen klaren Sieg bei den Wahlen 2010 als Blankoscheck zur Einschränkung der demokratischen Machtteilung, der Übernahme der Medien sowie der Demontage einer funktionierenden Demokratie begriff.

Das Visegrád-Bündnis schaffte es anders als zur Zeit von Mečiar in der Slowakei nicht, sich dagegen zu stellen. Und als in Polen 2015 die antiliberale Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gewann und ihr Führer Jarosław Kaczyński mit einer ähnlichen Demontage der Demokratie begann wie Orbán, wandelte sich Visegrád definitiv in eine toxische Gesellschaft.

Das Visegrád-Bündnis, das gegründet wurde, um die Werte der Demokratie und die Westorientierung Mitteleuropas zu verteidigen, ist heute das ganze Gegenteil und nur ein Feigenblatt für die Liquidierung der Demokratie in Polen und Ungarn. Nicht einmal prowestliche demokratische Persönlichkeiten wie die jetzige slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová, weiß sich nicht damit zu helfen.

Und in Tschechien unterstützt Visegrád so, wie es heute zusammenarbeit, das undemokratische Verhalten von Präsident Miloš Zeman und die oligarchische Regierung von Andrej Babiš.

Für den einst positiv besetzten Namen Visegrád muss man sich dreißig Jahre später schämen. Es ist heute ein Beispiel, wie die Rückkehr ins demokratische Europa in unserem Teil des Kontinents misslungen ist und von der Demokratie ein ähnlicher Schuttberg geblieben ist wie von den Ruinen der Burg Visegrád.

Der Autor ist Redakteur der Tageszeitung Deník.

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