Die Journalistin Lucie Römer hat Märchen der deutschen Minderheit in einem zweisprachigen Buch zusammengestellt. LandesEcho hat mit ihr gesprochen.
LE Frau Römer, wie kam Ihnen die Idee zu einem zweisprachigen deutsch-tschechischen Märchenbuch?
Da meine zwei Söhne zweisprachig aufwachsen, war es für mich eine natürliche Wahl. Die Idee, ein Buch von Sagen und Märchen der tschechischen Deutschen herauszugeben, hatte ich schon lange Zeit. Als ich vor ein paar Jahren nach so einem Buch gesucht habe, konnte ich keines finden, das es in beiden Sprachen gibt, in einer modernen Sprache geschrieben und dazu reichlich illustriert ist.
LE Die Gebrüder Grimm haben sich ja einst die uns heute bekannten Märchen erzählen lassen und dann aufgeschrieben. Wie sind Sie bei der Sammlung dieser Märchen der deutschen Minderheit vorgegangen?
Mein Plan war es ursprünglich, die Märchen direkt unter der Minderheit zu sammeln. Die von mir etwa 20 kontaktierten tschechischen Deutschen haben aber alle bis auf einen gesagt, dass sie sich an keine solche Erzählung erinnern können. Deswegen habe ich Bücher mit Märchen und Sagen der tschechischen Deutschen der letzten ca. 70 Jahren gesammelt und gelesen.
LE Wie haben Sie die publizierten Märchen ausgewählt?
Das Hauptkriterium war, das es sich um die am häufigsten erwähnten Geschichten in diesen Büchern handeln sollte, dann sollten sie passend für Kinder im Kindergarten- oder Grundschulalter sein, und mir ging es natürlich auch darum, die Sammlung so bunt wie möglich zu machen.
Die zahlreichen Illustrationen in dem Märchenbuch stammen von Jakub Šolín. Foto: Jakub Šolín
LE Inwiefern unterscheiden sich die Märchen, Mythen und Sagen der deutschen Minderheit eigentlich von den klassischen deutschen oder tschechischen Märchen? Was sind hier die typischen Märchenfiguren?
Sie sind zum großen Teil ähnlich, es gibt auch in diesen Märchen viele Prinzessinen, Drachen, Zwerge, Hexen und Wassermänner. Dazu sind in den Sagen der deutschen Minderheit auch Feuermännchen, Venusleute, der Altvater und der Rübezahl präsent. Ich würde auch sagen, dass da öfter Fleiß und der Glaube an Gott erwähnt werden. Die weiblichen Figuren sind öfter aktiver als die oft passiven weiblichen Figuren in den tschechischen Märchen.
LE Haben Sie ein persönliches Lieblingsmärchen?
Mir gefällt am besten das Apothekerdorf-Märchen über die Gründung der Stadt Krummhübel (Karpacz). Und dann die vielen Geschichten, in denen die Frauen von einer bösen Figur angegriffen werden, wie z. B. vom Teufel, vom Wasserman oder vom bösartigen Nachbarn, und den Mut haben, sich zu wehren.
LE Richtet sich das Märchenbuch vor allem an Kinder oder könnte es auch für Erwachsene interessant sein? Kommt in den Märchen viel Gewalt vor?
Wie in den alten tschechischen und deutschen Märchen war in vielen diesen Geschichten viel Gewalt beschrieben. Von den Büchern, die ich benutzt habe, waren manche 70 Jahre alt. Bis auf zwei Ausnahmen habe ich diese Geschichten rausgelassen, da das Buch für Kita- und Grundschulkinder gedacht ist und ich Bedenken hatte, dass die Eltern ihren Kindern die zu brutalen Märchen wahrscheinlich nicht vorlesen würden.
LE Wie und wo kann man das Märchenbuch erwerben?
Das Buch wurde vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gefördert und ist nicht käuflich. Die, die es gerne bekommen möchten, sollten sich bitte an die Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik wenden. E-Mail: info@landesversammlung.cz.
Das Gespräch führte Manuel Rommel
Die Journalistin und Autorin Lucie Römer begab sich auf die Suche nach Märchen, Sagen und Legenden der deutschen Minderheit in Tschechien. Foto: Privat
Das Gespräch erschien in der Ausgabe LE 1/2022.
P.S.: Ausgewählte Märchen präsentieren wir in den kommenden Monaten in der LandesEcho-Printausgabe!