Am Freitag vor Palmsonntag, in diesem Jahr am 22. März, lud die Ackermann-Gemeinde zu ihrem 32. Brünner Symposium, dem Dialog in der Mitte Europas, ein.
Knapp 200 Deutsche, Österreicher und Tschechen, aber auch Slowaken, Ungarn und Polen kamen, um in Diskussionen aber auch in kleineren Exkursionen sich um das diesjährige Thema „Wohin treibt Ostmitteleuropa? – Risiken und Herausforderungen der Zeitenwende“ zu scharen und sich zum nunmehr dritten Male über die Auswirkungen des Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine auszutauschen.
Der Auftakt fand wie immer in den letzten Jahren im Neuen Rathaus der Stadt Brünn statt. Zur Begrüßung durch den Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde, Albert-Peter Rethmann, der die Problemstellung des Symposiums in diesem Jahr umriss, und durch den Vorsitzenden der Bernard-Bolzano-Gesellschaft, Matěj Spurný, der ebenso einige inhaltliche Punkte nannte, gesellten sich Grußworte der Oberbürgermeisterin von Brünn, Markéta Vaňková, die als Videobotschaft an die Teilnehmer erfolgte, der Gesandten der Deutschen Botschaft in Prag Petra Dachtler, die als studierte Slawistin erstmals als deutsche Diplomatin gleichberechtigt auf Tschechisch und Deutsch sprach, der österreichischen Botschafterin in der Tschechischen Republik, Bettina Kirnbauer, und der Botschafter der Tschechischen Republik in Wien, Jiří Šitler. Sie wünschten alle der traditionsreichen Tagung einen guten Verlauf.
In einer ersten Dialogrunde äußerten sich der stellvertretende Außenminister Tschechiens, Eduard Hulicius, und der Politikwissenschaftler von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Kai-Olaf Lang, moderiert durch den Bundesvorsitzenden der Ackermann-Gemeinde Rethmann. Was bedeute die Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz vor zwei Jahren ausgerufen habe, in Europa, fragte Rethmann. Lang verwies auf den langfristig anstehenden Mentalitätswechsel, der noch gar nicht in der Gesellschaft aber auch nicht in der Politik angekommen sei. Hulicius erinnerte als Historiker an den westfälischen Frieden, eine Friedensordnung, wie sie ähnlich auch nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert wurde und nun durch Putins Russland gänzlich in Frage gestellt worden ist. Es ginge deshalb um eine Neuaufstellung Europas, man werde zu einem geopolitischen Akteur mit mehr eigener Verteidigungsfähigkeit. Lang erinnerte daran, dass Europa plötzlich in einer Welt von Carl Schmitt aufgewacht sei mit Kämpfen um Einflusssphären und Hegemonien, die man eigentlich überwunden und hinter sich gelassen glaubte. Man ringe nun um die Verteidigung der eigenen vor allem demokratischen Werte, die das Leben in Europa so lebenswert machten. Auch in einer digitalisierten Welt mit ihren sozialen Netzwerken und ihren Möglichkeiten der Desinformation.
Einen ersten Überblick über die mittel- und osteuropäischen Beziehungen im Wandel versuchten unter der Moderation von Ondřej Matějka am Samstagvormittag die Politikwissenschaftler Peter Hevö (Budapest), Zuzana Lizcová (Prag), Uwe Optenhögel (Brüssel) und Monika Sus (Warschau). Eine interessante Bemerkung dabei war die zu der seit 2010 merkbaren Hinwendung Orbans zu Putin. Viele Spekulationen gebe es da, bemerkte Peter Hevö, für ihn seien jedoch die wirtschaftlichen und fiskalischen Interessen Ungarns entscheidend gewesen. Wenn das Geld dafür nicht aus Brüssel käme, müsse man sich dieses eben woanders her besorgen, wie ein Kredit von über zehn Milliarden Euro aus Russland bewies.
Zum Sonntagvormittag griff ein Podium zum Abschluss des Symposiums unter der Moderatorin Zuzana Jürgens, Direktorin des Adalbert-Stiftervereins in München, noch einmal den notwendigen Wandel in Ostmitteleuropa auf, wobei ein Konsens zunehmend schwieriger erscheint. Anselm Hartinger, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, Dominik Kretschmann, Leiter der Gedenkstätte der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung, der mit seinen Erfahrungen als Vertreter Polens firmierte, András Máté-Tóth, Soziologe aus Szeged, Thomas Schwartz, Priester und Leiter von Renovabis aus Freising und der sozialdemokratische Politiker, ehemalige Ministerpräsident und EU-Kommissar Tschechiens Vladimír Špidla diskutierten mit lebhafter Beteiligung des Publikums.
Essaywettbewerb: Ist der Westen noch zu retten?
Teil des Symposiums war der mittlerweile zum 13. Mal ausgelobte Europäische Essaywettbewerb für Studierende, der diesmal unter dem Motto stand „Ist der Westen noch zu retten?“. Oliver Herbst, Redakteur der Fränkischen Landeszeitung in Ansbach mit Lehrauftrag an der Universität in Würzburg, moderierte und überließ der Jury aus Rethmann, Spurný und Martin Kastler die inhaltliche Begründung ihrer Entscheidung für die drei preiswürdigen Essays.
Preisträger des Essaywettbewerbs 2024
1. Platz: Alexander Ihle (TU Chemnitz)
2. Platz: Patrick Kittler (Universität Würzburg)
3. Platz: Barbora Šindelářová (Karls-Universität Prag)
Auch die Wahlveranstaltungen am Samstagnachmittag waren vielfältig und interessant bis hochkarätig. Der Dokumentarfilmer Jan Blažek zeigte seinen Film „Vertriebene Kinder“ über die Perspektive der Kinder bei der Vertreibung der Deutschen. Der renommierte deutsch-tschechische Kunsthistoriker, Autor und Ausstellungskurator Jiří Fajt, Leiter für internationale Angelegenheiten der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, sprach über „Europa als Ort der Vielfalt“ mit dem Journalisten Jan Šícha. Gegenwärtig ist der Prager Domschatz (St. Veits-Schatz) in Dresden ausgestellt, wofür Jiří Fajt verantwortlich ist. Zuzana Jürgens machte eine kommentierte Führung durch die Ausstellung des Adalbert Stifter Vereins „Kulturelle Brücken in Europa. Adel aus Böhmen und Mähren nach 1945“, die gegenwärtig in Brünn gezeigt wird. Und der Journalist, Diplomat und Übersetzer Mojmír Jeřábek stellte den gebürtigen Brünner, den tschechisch-französischen Autor Milan Kundera vor, der 2023 in Paris starb und dessen Bibliothek nun seit einigen Wochen in der Mährischen Landesbibliothek mit einem eigenen Raum für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Zu seinem 95. Geburtstag am 1. April schilderte er Wirken und Leben des Dichters, Zeichners und Malers am neugestalteten Ort.
Die Heilige Messe in der Jesuitenkirche Mariä Himmelfahrt zelebrierte Professor Thomas Schwartz am Samstagabend.