Tomáš Garrigue Masaryk – erster Präsident der Tschechoslowakei und Symbol für demokratische Werte und humanistisches Denken.
Tomáš Garrigue Masaryk – erster Präsident der Tschechoslowakei und Symbol für demokratische Werte und humanistisches Denken. Credit: Československá obec legionářská

Am 19. September 2025 blickt die tschechische Öffentlichkeit gespannt nach Lahn: Dort wird ein versiegelter Umschlag geöffnet, der die letzten Worte von Tomáš Garrigue Masaryk enthalten soll.

Fast neunzig Jahre nach dem Tod von Tomáš Garrigue Masaryk, dem ersten Präsidenten der Tschechoslowakei, rückt ein außergewöhnliches Dokument in den Fokus. Am 19. September 2025 soll um 10.00 Uhr auf Schloss Lahn (Lány) in Anwesenheit von Präsident Petr Pavel ein versiegelter Umschlag geöffnet werden, der Masaryks letzte Worte enthalten soll.

Der weiße, unscheinbare Umschlag trägt die Aufschrift „Pečeť do r. 2025“ („Versiegelt bis zum Jahr 2025“). Übergeben wurde er 2005 von Antonín Sum, einem langjährigen Weggefährten und Vertrauten von Jan Masaryk, dem Sohn des Staatsgründers, an das Nationalarchiv. Bis heute ist sein Inhalt völlig unbekannt: Handelt es sich um ein politisches Vermächtnis, eine persönliche Botschaft an die Familie oder vielleicht nur um kurze, fragmentarische Notizen?

Brief kam erst nach der Wende zurück nach Prag

Historikerin Dagmar Hájková vom Masaryk-Institut und Archiv der Akademie der Wissenschaften mahnt zur Vorsicht: Die Erwartungen könnten möglicherweise nicht erfüllt werden, da unklar sei, ob es sich tatsächlich um die letzten Worte des früheren Präsidenten handelt oder der Text eventuell unleserlich ist. Im September 1937, als das Dokument entstand, hatte Masaryk bereits einen schweren Schlaganfall erlitten und konnte kaum noch zusammenhängend diktieren. Möglich ist daher, dass sich im Umschlag lediglich bruchstückhafte Worte finden, die Jan Masaryk damals notierte.

Auch der Weg des Dokuments gleicht einer historischen Odyssee: Jan Masaryk brachte es während des Zweiten Weltkriegs nach London, später gelangte es über Schottland bis nach Frankreich. Erst nach 1989 kehrte ein großer Teil des Masaryk-Archivs Schritt für Schritt nach Prag zurück.

Der Inhalt des bislang versiegelten Umschlags mit den letzten Worten von T. G. Masaryk wird morgen ans Licht kommen.
Der Inhalt des bislang versiegelten Umschlags mit den letzten Worten von T. G. Masaryk wird morgen ans Licht kommen. Credit: Národní Archiv

Spannung und Erwartungen in der Gesellschaft

Das öffentliche Interesse ist riesig. Die Öffnung des Umschlags wird live im Tschechischen Rundfunk übertragen, parallel berichtet die Webseite tajemnaobalka.cz, die Hintergründe liefert und Spekulationen der Öffentlichkeit sammelt. Viele hoffen auf ein großes politisches Vermächtnis des „Befreier-Präsidenten“, andere erwarten eher eine persönliche Botschaft an seine Kinder.

In der tschechischen Gesellschaft herrscht eine besondere Mischung aus Spannung und Neugier. In den sozialen Medien kursieren Dutzende von Theorien – von Vorhersagen über die Zukunft der Republik bis hin zu intimen Bekenntnissen. Sogar in einigen Schulen ist das Thema im Geschichtsunterricht aufgegriffen worden, wo Lehrkräfte die geheimnisvolle Geschichte nutzen, um über Masaryks Epoche und die Werte der Ersten Republik zu diskutieren.

Masaryks Vermächtnis bleibt bis heute ein starkes Symbol. Er wird als Garant für Demokratie, Humanismus und moralische Integrität wahrgenommen. Genau deshalb sind die Erwartungen an den Umschlag so hoch – was auch immer sich darin befindet, wird durch das Prisma seiner Autorität gelesen. Selbst wenn es sich nur um wenige knappe Notizen handelt, wird ihre Bedeutung vor allem symbolischer Natur sein: eine Erinnerung daran, wie sehr die Persönlichkeit des ersten Präsidenten noch immer im historischen Gedächtnis der Tschechen präsent ist.

Staatsgründer mit bleibendem Erbe

Tomáš Garrigue Masaryk, 1850 im südmährischen Göding (Hodonín) geboren, war Philosoph, Politiker und vor allem der Begründer des tschechoslowakischen Staates. 1918 wurde er zum ersten Präsidenten gewählt und prägte die junge Republik mit seinen demokratischen und humanistischen Ideen. Während seiner fast zwanzigjährigen Amtszeit war er für viele eine moralische Autorität und ein unantastbares Symbol der Demokratie. Sein Tod im September 1937 wurde von der ganzen Nation als tiefer Einschnitt empfunden.

Für die heutige tschechische Gesellschaft könnte die Öffnung des Umschlags mehr sein als nur ein Blick in die Vergangenheit. Sie ist zugleich eine Gelegenheit, über die Werte nachzudenken, die Masaryk verkörperte und die im 21. Jahrhundert neu interpretiert werden müssen: Verantwortung, Bürgerengagement und die Verpflichtung zur Demokratie. In Zeiten globaler Krisen und wachsender politischer Spannungen könnte Masaryks Stimme – gleich in welcher Form – ein wichtiges Symbol für Kontinuität und Orientierung sein.

Ob der geheimnisvolle Umschlag nun ein großes historisches Dokument oder lediglich eine intime persönliche Notiz offenbart – schon die Tatsache, dass Masaryks angebliche letzte Worte bald ans Licht kommen, zeigt, welch zentrale Rolle er bis heute im historischen Bewusstsein der Tschechischen Republik spielt.

Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 9/2025

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