Auch ein biederes Bäuerlein aus der Gegend des Riesengebirges, das mit Glücksgütern nicht gerade gesegnet war, kam ohne sein Zutun zu Reichtum und Wohlstand, von dem es sich kurz vorher nichts hatte träumen lassen.
Der Mann war nach der Ernte im Begriff, mit seinen zwei mageren Rösslein eine Fuhre Korn in die Stadt zu bringen, um mit dem dringend benötigen Erlös seiner kleinen Wirtschaft wieder etwas auf die Beine zu helfen. Zur selben Zeit machte Rübezahl einen seiner gewöhnlichen Gänge durch sein oberirdisches Reich, um sich die Zeit zu vertreiben. Das sanfte Rauschen der hochwipfeligen Tannen, der muntere Gesang der Vögel hatten ihn in gute Stimmung gebracht. So schlenderte er langsam seines Weges dahin. Da sah er in der Ferne das wackelige Fuhrwerk des Bauern auf dem holprigen Waldweg herankomme. Das schien dem Berggeist eine gute Gelegenheit abzugeben, sich wieder einmal einen kleinen Ulk zu leisten. Flugs nahm er die Gestalt eines behäbigen Schankwirtes an, trat dem Bauer entgegen und ließ sich in ein Gespräch mit ihm ein.
„Guter Freund“, fragte er, gutmütig lächelnd, „woher kommt Ihr und was führt Ihr da für eine schwere Last durch den Wald?“ Der Bauer erwiderte: „Ich habe Korn geladen und fahre damit zur Stadt, um es zu verkaufen.“
„Warum den weiten Weg in die Stadt?“ meinte der Wirt. „Verkauft mir Euere Ladung, ich kann sie gut brauchen und bezahle Euch dafür, was recht und billig ist: Ihr erspart den weiten, beschwerlichen Weg in die Stadt, und mir ist geholfen.“
Der Bauer besann sich ein wenig und sagte dann: „Wohl wahr, der Weg in die Stadt ist weit und beschwerlich: ich will Euch das Korn verkaufen, wenn Ihr nicht allzu weit von hier wohnt: denn sonnst ist nichts damit gewonnen.“
Im Stillen dachte das verschmitzte Bäuerlein, der sonderbare Wirt, der da mitten im Wald aus den Büschen trat, könnte wohl Rübezahl sein, ließ sich aber von seinen Gedanken nicht das mindeste merken, weil er schon öfter gehört hatte, dass der Berggeist niemanden Schaden zufüge, der seinen Willen tue. Er ließ es also darauf ankommen, für sein Korn vielleicht einen Schatz davonzutragen, der zehnmal mehr wert sei als die ganze Ladung.
„Was verlangt Ihr denn für das Korn?“ fragte ihn nun der Schankwirt.
„Ihr werdet schon wissen“, erwiderte der Bauer, „wie das Getreide im Preis steht: werdet wohl in letzter Zeit öfter eingekauft haben. Gebt mir, was Euch gut dünkt!“
„Ihr seid eine ehrliche Haut“, meinte der Rübezahl: „fahrt nur mit mir, es soll Euer Schaden nicht sein.“
So fuhr der Bauer mit seinem Wagen bergan, und sein Begleiter schritt nebenher. Nach einiger Zeit wies der Wirt auf einen noch steileren Hang und bedeutete dem Bauer, er möge da hinauf lenken, oben sei sein Haus. Der steile Weg wollte dem Fuhrmann gar nicht gefallen, auch den schwachen Rösslein nicht; denn schon nach kurzer Zeit erlahmten sie in ihren Bemühungen, das Gefährt bergan zu ziehen. Als Rübezahl sah, dass der abschüssige Hang über die Kräfte der Gäule ging, schob er selbst wacker an, und nun ging es gleich besser: sie kamen glücklich vor das Haus, wo der Bauer seine Fuhre ablud.
Rübezahl hieß ihn das Korn in bereitstehende Fässer leeren und nahm ihn dann in den Keller mit, wo der Bauer seine Säcke mit einer sonderbaren Masse füllen musste, deren Beschaffenheit er im Dunkel des Raumes nicht recht erkennen konnte. Dabei sagte Rübezahl: „Das gebe ich Euch statt barer Bezahlung für das Korn. Fahrt damit ruhig nach Hause, doch schnürt keinen der Säcke auf, bevor Ihr nach Hause kommt.“
Der Bauer machte sich mit seiner neuen Ladung wieder auf den Heimweg. Rübezahl begleitete ihn ein Stück, wies ihm den Weg und verabschiedete sich dann. Darüber nachsinnend, was wohl in den Säcken drinnen sin konnte, fuhr das biedere Bäuerlein seinem Dorf zu. Doch es dauerte nicht lang, so begann die Fuhre so schwer zu werden, dass die Rösslein ermüdeten und er öfter anhalten musste, um den Tieren Rast zu gönnen. Als aber die Pferde die Ladung gar nicht mehr weiterziehen konnten, blieb dem Fuhrmann nichts übrig, als die Last zu verringern. Er nahm einen Sack, warf ihn über den Hang, ohne die Verschnürung aufzulösen, und trieb seine Gäule an. Doch er kam wieder nicht weit: bald musste er, weil die Pferde zu sehr schwitzten, einen zweiten Sack wegwerfen. Nun ging es ein Stücklein besser. Aber nach einer kurzen Wegstrecke musste er den dritten Sack opfern, dann den vierten und fünften. Schließlich behielt er nur mehr einen Sack auf dem Wagen. Mit dem, dachte er, würde er sicher nach Hause kommen. Jedoch bald wurde dieser letzte Sack so schwer wie alle anderen zusammen, die Pferde blieben mitten auf dem Weg stecken, und der Bauer brachte sie nicht vom Fleck. Fluchend stand der Mann auf, kletterte vom Wagen herunter und kratzte sich ärgerlich hinter den Ohren, wobei er den guten Rübezahl samt seiner Gabe in Grund und Boden verwünschte. Nun wollte er zunächst einmal sehen, was eigentlich in dem Sack stecke. Er band ihn auf, blickte hinein und bemerkte lauter schwarzes Zeug, das wie Kohlen aussah. Schimpfend schüttelte er den Inhalt auf die Erde, warf den leeren Sack auf den Wagen und fuhr missvergnügt nach Hause.
Nun war der Markt vorüber, er hatte sein Korn los, und keinen Tupf Geld dafür eingenommen. Diese Gedanken setzten ihm so zu, dass er den Sack wieder hervorholte, um die letzten Stäubchen nochmals zu untersuchen und den Sack dann ordentlich auszuklopfen.
Während nun das Bäuerlein den Sack tüchtig schüttelte, um das letzte Stäubchen herauszubekommen, rannen plötzlich glitzernde gelbe Körnlein in Menge aus dem Sack zur Erde, Goldkörnelein, deren Wert bei weitem größer war, als der Betrag, den er für seine ganze Getreideernte in der Stadt gelöst hätte. Nun vergaß der Bauer freilich all seinen Kummer, sammelte die goldenen Körnlein bis auf das letzte ein und bedauerte nichts mehr, als dass er aus dem letzten Sack so viel ausgeleert hatte.
Quelle: Rübezahl – Sagen und Legenden um den Herrn des Riesengebirges. Verlag Carl Ueberreuter, Wien – Heidelberg, 3. Auflage 1954
Zusammengetragen von Irene Kunc
Dieser Beitrag erschien zuerst in der LandesEcho-Ausgabe Nr. 3/23
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