Auf der Deutschen Schule in Prag, die 1990 gegründet wurde, haben Schüler die Möglichkeit einen tschechischen und deutschen Schulabschluss zu machen. Ab der 10. Klasse werden sie zusammen unterrichtet und auf das Abitur vorbereitet, davor sind sie in einen tschechischen und einen deutschen Zug unterteilt.
Die Schulleiterin des tschechischen Zweigs, Carla Tkadlečková, und der deutsche Schulleiter Clemens Rother berichten im LandesEcho-Interview vom Alltag an der bilingualen Schule und darüber, was das deutsche Schulsystem von den Auslandsschulen lernen könnte.
LE: Wie viele Kinder sind momentan in dieser Institution und mit welchem Abschluss verlassen sie die Schule?
Rother: Die Schule liegt bei ungefähr 475, das schwankt immer ein bisschen, es kommen immer welche dazu oder ziehen weg. Die meisten machen bei uns das Abitur. Wir hatten es dieses Jahr zum ersten Mal, dass Kinder vom tschechischen Zweig sowohl das deutsche als auch das tschechische Abitur gemacht haben. Das ist schon eine beachtliche Leistung.
LE: Ist es der Regelfall, dass die Kinder schon zuhause mehrsprachig aufwachsen?
Tkadlečková: Also wir haben sehr viele Kinder, die bilingual aufwachsen oder mit drei Sprachen. Wir haben natürlich auch rein tschechische Familien.
Rother: Schüler, die drei Sprachen sprechen, sind gar nicht so selten. Es schon sehr mehrsprachig, das merkt man in den Pausen. Man hört eben neben Deutsch und Tschechisch auch viel Englisch, Russisch und Vietnamesisch.
LE: Geben Sie Hinweise an die Eltern, wie sie mit der Mehrsprachigkeit zuhause umgehen sollen?
Tkadlečková: Nein, eigentlich nicht, das ist die Privatsache der Eltern. Wir helfen mal, wenn es den Schülern schwerfällt. Eigentlich gehört es auch zum automatischen Feedback, was der Lehrer den Schülern gibt, wo der Schüler nachhaken sollte, könnte, müsste.
LE: Ab wann werden die Schüler des tschechischen Zweigs an den Unterricht auf Deutsch herangeführt?
Tkadlečková: Ab der 6. Klasse sind das Mathe, Sport, Kunst und Musik. Es kommen die anderen Fächer bis Klasse 10 dazu. Ab dann haben sie alle Fächer auf Deutsch. Außer natürlich Tschechisch als Muttersprache, Sozialkunde und Geschichte, wo eben landesspezifische Inhalte unterrichtet werden. Chemie kommt noch dazu, das ist die Entscheidung des Ministeriums, weil der Fachwortschatz in Tschechisch sehr spezifisch ist.
LE: Da muss ich an die Proteste gegen das Matheabitur in Deutschland in diesem Jahr denken. Sind das Matheaufgaben, die es auch hier gab?
Rother: Nein, wir haben ein Regionalabitur. Das ist für die Region Mittel-/Osteuropa. Da sind beauftragte Lehrkräfte an verschiedenen Schulen der Region, die Aufgabenvorschläge machen, die dann von der Kultusministerkonferenz ausgewählt werden. Ich glaube, dass man in Deutschland von der Kompetenz in Auslandsschulen lernen könnte. Zum Beispiel Mathematik ist eine sehr textlastige Prüfung geworden. Die Auslandsschulen haben da einen etwas geschärfteren Blick auf solche Aufgabenstellungen. Die besondere Herausforderung für uns ist, dass wir den Fachunterricht so gestalten müssen, dass jemand der deutsch nicht als Muttersprache hat, in der Lage ist, dem Unterricht zu folgen und sich zu beteiligen. Ganz wichtig ist das bei Aufgabenstellungen.
LE: Wenn Eltern sich dazu entscheiden ihre Kinder bilingual zu erziehen, dann wird ihnen oft vorgeworfen, dass das eine Überforderung für das Kind darstellt. Wie stehen Sie dazu?
Rother: Gerade Kinder sind sehr gut in der Lage auch zwei Sprachen gleichzeitig zu lernen. Das ist eine Riesenchance. Man spricht einfach in zwei verschiedenen Sprachen. Das halte ich für eine optimale Art des Aufwachsens. Überforderung ist es glaube ich in dem Moment, wenn sie am Ende einen gefüllten Terminkalender haben.
Tkadlečková: Ja, ich kenne das ja auch aus meiner Familie. Meine Kinder sind zweisprachig aufgewachsen mit Deutsch und Tschechisch. Natürlich ist das ein unglaublich großer Vorteil für sie, weil sie mit beiden Sprachen auf natürliche Weise vertraut werden. Sicher vermischen sich die Sprachen oder das Lernen ist langsamer, aber nur am Anfang.
LE: Wenn Schüler auf diese Schule kommen und vorher kein Deutsch hatten, sondern nur Englisch und eine weitere Sprache, ist das dann nicht eine Überforderung und falscher Ehrgeiz der Eltern ihren Kindern einen guten Lebenslauf geben zu wollen?
Tkadlečková: Wir haben beispielsweise einen Schüler, der vorher kein Deutsch oder Tschechisch hatte, er ist aber sehr sprachbegabt. Er ist erst seit einem Jahr in Tschechien und hat hier Deutsch gelernt. Dass er dann mit seinen Freunden am Nachmittag oder in der Schule Tschechisch lernt, ist auch ein Beweis dafür, wie offen die Eltern gegenüber den unterschiedlichen Kulturen sind, glaube ich. Das ist eine große Voraussetzung, dass auch die Unterstützung von zuhause kommt.
Rother: Ich glaube, das ist individuell sehr unterschiedlich. Wir können nicht ausschließen, dass es auch Überforderungssituationen für Kinder gibt. Wir haben hier an der Schule Kinder, die, finde ich, Erstaunliches leisten, ohne dass man jetzt das Gefühl hat, dass sie überfordert sind. Und deswegen kann man da keine allgemeine Aussage zu treffen.
LE: Gibt es etwas, was Sie sich vom Bildungsministerium in Tschechien, beziehungsweise dem Kultusministerium in Deutschland wünschen würden, um mehr Unterstützung in Ihrer Arbeit zu bekommen?
Tkadlečková: Generell muss man sagen, dass das Bildungsministerium uns sehr offen gegenübersteht. Ich denke, dass wir da auch wirklich unterstützt werden. Gerade dadurch, dass wir ja im Prinzip in unserem Bildungsweg vom tschechischen Schulministerium abweichen, weil wir in sieben Jahren zum Abitur führen, statt in acht Jahren zum Beispiel.
Rother: Ein Problem, also in Prag geht es noch, ist, dass der Lehrermangel in Deutschland sich natürlich auch auf die Auslandsschulen auswirkt. Für uns ist es wichtig, dass die deutschen Lehrkräfte die Freigaben bekommen, auch ins Ausland gehen zu dürfen. Ich glaube, dass Lehrer, die im Ausland waren und gelernt haben gerade auch sprachsensibel zu unterrichten, mit einer ganz hohen Kompetenz wieder zurück ins Inland kommen. Von daher lohnt es sich für die Bundesrepublik Deutschland sehr Lehrkräfte zu entsenden, die, wenn sie wieder zurückkommen, das deutsche Lehrsystem bereichern können.
Das Gespräch führte Friederike Aschhoff.
Diese Artikelserie widmet sich der bilingualen deutsch-tschechischen Erziehung. Der erste Teil war der Multilingualität gewidmet, der zweite Teil galt der Früherziehung im Kindergarten. In weiteren Folgen kommen Schüler der Deutschen Schule Prag zu Wort und ebenso ein Erwachsener, der bilingual aufgewachsen ist.
Mehr Informationen zu deutsch-tschechischen Kindergärten und Schulen in Tschechien finden sich auf der Website des Goethe-Instituts Prag. Dort finden sich auch Lernmaterialien für das kindergerechte Deutschlernen.
Auf der Website „Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen“ kann man sich über multilinguale Angebote in Deutschland erkundigen.
Auf der Plattform isuu.com hat man kostenlosen Zugang zu der Zeitschrift „Krajánek“, die extra für tschechisch erzogene Kinder im Ausland erstellt wird.
Die Zeitschriften „vitamin de“ und „Freundschaft“ beschäftigen sich mit der Vermittlung der deutschen Sprache und auch das LandesEcho hat nun in seiner Druckausgabe eine Deutschlernseite.
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Markéta Frank ist Geschäftsführerin des Kindergartens Kids Company in Prag. Seit der Gründung 2005 werden dort die Kinder auf Tschechisch und Deutsch betreut. Damit war Kids Company ein Vorreiter in der tschechischen Hauptstadt. Mit dem LandesEcho sprach Markéta Frank über bilinguale Erziehung in ihrem Kindergarten und im Familienkreis.