Renáta Kubešová hat lange mit Kindern gearbeitet und gibt ihr Wissen gerne an die nächste Generation weiter. Foto: Lena Pierskalla

Schülerinnen und Schüler der Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung werden für einige Wochen mit Seniorinnen und Senioren zusammengebracht, um gemeinsam Geschichte besser zu verstehen. 

In der fünften Klasse der Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung in Prag herrscht am Dienstagmorgen ein fröhliches Durcheinander. Schülerinnen und Schüler laufen aufgeregt durch den Klassenraum, schnell sammeln sie noch ihre Lieblingsbuntstifte, Schere und Kleber zusammen, bevor sie sich in Fünfergruppen an ihre Tische begeben. Dort angekommen, werden noch letzte Fragen aufgeschrieben und ein großes farbiges Plakat sorgfältig in der Mitte des Tisches platziert. Die Aufregung der Schülerinnnen und Schüler steigt, denn heute kommen vier Senioren, um gemeinsam mit den Kindern über ihr Leben zu sprechen.

Raus aus dem Heim und rein in die Grundschule

Für die ungewöhnlichen Gruppen ist dies allerdings nicht das erste Treffen. Am 3. November trafen die Schülerinnen und Schüler zum ersten Mal „ihre Oma“ oder „ihren Opa“. Vor dem ersten Treffen tauschten beide Seiten kleine Steckbriefe über sich aus, um das Kennenlernen etwas leichter zu machen. Dabei sind die Kinder äußerst verantwortungsvoll an die Vorbereitungen der Fragen und der Plakate herangegangen. Vier bis fünf Kinder sind je für eine Oma oder einen Opa verantwortlich. Diese Gruppen bleiben für die insgesamt drei Termine, die über fünf Wochen verteilt liegen, zusammen. Dadurch gibt es genug Zeit, sich kennenzulernen und aus „Paní Novotná“ und „Pan Novotný“ wird spätestens beim zweiten Treffen „Oma“ und „Opa“. Bei der zweiten Begegnung am 14. November basteln die Gruppen ein Plakat, das das Leben der jeweiligen Erwachsenen zusammenfassen soll. Ausgerüstet mit Schere und Kleber sitzen die Kinder mit „ihren“ Großeltern am Tisch, auf dem sich Schwarzweißfotos mit farbigen Ausdrucken mischen. Sechzig bis siebzig Jahre auf ein DIN A3 zu bringen, ist sichtlich eine Herausforderung für alle. Bei den Bildern besteht eine bunte Mischung zwischen persönlichen Aufnahmen und historischen Ereignissen. „Wisst ihr, wer das ist?“, fragt die Seniorin Renáta Kubešová und zeigt auf eine Momentaufnahme von Freddie Mercury. „Ja!“, schallt es aus drei Richtungen zurück, „das ist Queen“. Seine Musik habe sie durch ihre Jugend begleitet, erklärt Frau Kubešová den leuchtenden Kinderaugen. Einen Tisch weiter wird noch über die Aufteilung der Fotos gesprochen. Ob Bilder der Samtenen Revolution 1989 besser neben das Bild von Herrn Špidlen in einem Hopfenfeld 1973 geklebt werden, oder doch lieber neben das von seiner Frau und Hund in den 1980er Jahren.

Bei der Erarbeitung der Plakate ist Teamarbeit gefragt. Herrn Špidlen und seiner Gruppe ist die korrekte Aufteilung der Bilder besonders wichtig. Foto: Lena Pierskalla

Geschichte erlebbar machen

„Für die Kinder ist es eine ganz andere Art des Lernens“, erklärt Schulleiterin Hana Nápravníková. Es sei manchmal schwierig, jungen Menschen den Bezug zu vergangenen Ereignissen zu vermitteln. Für ein elfjähriges Kind sind 40 Jahre eine unvorstellbar lange Zeit. Durch den Kontakt mit „ihren Großeltern“ und insbesondere der Erstellung des Zeitstrahls verstehen die Kinder die größeren Zusammenhänge zwischen historischen Ereignissen und was diese für den Alltag der Menschen bedeuteten. In den Kleingruppen haben die Schülerinnen und Schüler außerdem die Möglichkeit, Fragen zu stellen, für die in der regulären Unterrichtszeit oftmals kein Platz ist. Nicht alle Kinder haben Großeltern in der Nähe, mit denen sie sprechen können. Das generationsübergreifende Projekt sorgt somit für ein besseres Verständnis in beide Richtungen. Während des Projekts lernten sie außerdem, zu kommunizieren, im Team zu arbeiten und Informationen einzuholen und auszuwerten. Fähigkeiten, die ihnen auch außerhalb der Schule von Nutzen sein werden.

Ungefähr 90 Minuten sind für die Erstellung der Plakate eingeplant, die Kleingruppen arbeiten größtenteils selbständig, dabei sind die Schülerinnen und Schüler merklich um das Wohlergehen ihrer Großeltern bemüht. Die fertigen Plakate werden am 8. Dezember zum „Adventscafé“ präsentiert. An diesem Tag sind auch die Eltern der Kinder eingeladen. Die Präsentation der Plakate wird mit einem bunten Rahmenprogramm aus Musik und Essen begleitet, das sowohl von den Eltern, als auch von den Kindern selbst organisiert und durchgeführt wird. Dabei wird darauf geachtet, dass Lieder und Essen aus der Kindheit und Jugend der Senioren stammen. Man merkt, das Projekt liegt allen Beteiligten am Herzen. Die Gespräche mit „ihren Großeltern“ werden den Schülerinnen und Schülern noch lange im Gedächtnis bleiben.

Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 12/2023

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