Andrej Babiš ist zurück an der Macht – mit einer rechten Koalition, großen Versprechen und alten Konflikten im Gepäck. Was bedeutet seine zweite Amtszeit für Tschechien und Europa? Ein Porträt.
Andrej Babiš ist am Ziel seiner politischen Träume angelangt. Zum zweiten Mal tritt er das Amt des tschechischen Premierminister an. In einer kurzen, aber feierlichen Zeremonie auf der Prager Burg wurde Babiš der Verfassung entsprechend am Dienstagvormittag von Staatspräsident Petr Pavel vereidigt. Wie Pavel betonte, erfülle er damit den Wählerwillen. Babiš und seine Bewegung ANO hatten die Wahlen zum Abgeordnetenhaus Anfang Oktober klar gewonnen. Gemeinsam mit zwei Partnern, der rechtsextremen Bewegung für Freiheit und direkten Demokratie (SPD) und der konservativen Partei der Autofahrer (Motoristé sobě), hat Babiš in den vergangenen Wochen ein Regierungsbündnis geschmiedet, das im Abgeordnetenhaus über eine komfortable Mehrheit von 108 der 200 Stimmen verfügt. In den kommenden Tagen erfolgt die Vereidigung der einzelnen Minister. Das komplette Kabinett wird voraussichtlich am 13. Januar um das Vertrauen des Parlaments bitten.
Babiš war schon einmal, nach den Wahlen 2017, tschechischer Premier. Seine Amtszeit stand im Schatten der Corona-Pandemie, die Tschechien – nach anfänglich erfolgreicher Bewältigung – besonders getroffen hatte. Mit 44.000 Menschen, die an oder im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben waren, hatte das Land vergleichsweise die höchsten Opferzahlen in Europa. Das war auch einer der Gründe, weshalb Babiš die darauffolgenden Wahlen 2021 verlor und die Macht an den Konservativen Petr Fiala (ODS) abgeben musste. Vier Jahre lang kämpfte Babiš mit großem Einsatz darum, diese Scharte auszuwetzen. In dieser Zeit musste er noch eine weitere Schlappe hinnehmen, als er 2023 die Stichwahl zum Präsidentenamt gegen den jetzigen Amtsinhaber Petr Pavel verlor.
Tschechien soll „bester Ort zum Leben auf dem Planeten“ werden
Babiš geht mit sehr großen Ambitionen ans Werk. Er versprach bei der Vereidigung kühn, alles zu tun, damit Tschechien der „beste Ort zum Leben auf dem Planeten“ werde. Präsident Pavel war in seinen Wünschen an den neuen Premier bescheidener, wenngleich deutlich genug gewesen. Er bestand darauf, dass Tschechien weiterhin fest im Westen verankert und ein verlässlicher, konstruktiver Partner und Verbündeter in der EU und der Nato bleibe. Die komplizierte außenpolitische Lage und zahlreiche innenpolitische Probleme würden von der Politik vor allem Courage verlangen, zumal nicht alle Entscheidungen angenehm für die Bevölkerung sein dürften.
Ausdrücklich dankte Pavel dem neuen Premier, dass der wie versprochen öffentlich kundgetan habe, wie er seinen Interessenkonflikt als Politiker und Großunternehmer lösen wolle. Babiš hatte angekündigt, seinen Konzern Agrofert unumkehrbar aufzugeben und ihn in einen Treuhandfonds zu überführen. Erst nach seinem Tod können seine Kinder Agrofert erben. Die Holding Agrofert ist in den Bereichen Landwirtschaft, Lebensmittel und Chemie tätig. Sie vereint rund 200 Unternehmen im In- und Ausland, darunter auch in Deutschland und Österreich. Das Unternehmen beschäftigt 29.000 Mitarbeiter, darunter rund 18.000 in Tschechien. Dort zählt es zu den größten Arbeitgebern. Der Interessenkonflikt von Babiš ergibt sich daraus, dass Agrofert sehr von Aufträgen aus Tschechien und von Subventionen aus der EU lebt. Als Politiker verbieten sich solche Vorteile. Wegen der mutmaßlichen Erschleichung von EU-Geldern droht Babiš vor Gericht ein Schuldspruch. Derzeit genießt er aber Immunität.
„Das Land wie eine Firma leiten“
Babiš stammt aus der Slowakei, sein Vater war im Außenhandel tätig, weshalb er einen Teil seiner Kindheit in Paris und Genf verbrachte. Er studierte in Bratislava, wurde Ende der 1970er Jahre Mitglied der Kommunistischen Partei, und war dann für ein staatliches Unternehmen selbst im Ausland tätig, konkret in Marokko. Nach der „Wende“ kehrte er zurück, gründete mit US-Bank-Krediten die Holding Agrofert und machte sie groß. Zwischenzeitlich besaß Babiš auch mehrere Zeitungen in Tschechien. In den 1980er Jahren soll Babiš für den tschechoslowakischen Staatssicherheitsdienst tätig gewesen sein. Er hat zwar mehrere Prozesse gegen diese Behauptung gewonnen, aber die heutigen slowakischen Behörden beharren weiter auf ihrer Anschuldigung.
2011 gründete Babiš in Prag die „Bewegung“ ANO, die auf Deutsch „Ja“ heißt, aber zugleich das Akronym für „Aktion unzufriedener Bürger“ ist. Sie ist seit Jahren die erfolgreichste Partei des Landes. Babiš hatte es sich auf die Fahnen geschrieben, „das Land wie eine Firma“ zu leiten. Manche nennen ihn einen „populistischen Oligarchen“, andere den „Inbegriff eines Opportunisten“. Im Kern interessiert sich Babiš vor allem für seinen eigenen Erfolg. Dabei geht er, umgeben von einem kleinen Kreis absolut loyaler Mitarbeiter, sehr flexibel vor, immer geleitet von den regelmäßigen Umfragen unter der Bevölkerung.
Wiederbelebung des Visegrád-Formats
Ähnlich wie der ungarische Premier Viktor Orbán gehörte Babiš mit ANO anfangs im Europaparlament zu den europäischen Liberalen. Mittlerweile ist ANO nach rechts gerückt, arbeitet mit der Fraktion „Patrioten für Europa“ zusammen, unter anderem mit dem ungarischen Fidesz und der österreichischen FPÖ. Babiš war nie ein „prorussischer“ Politiker, will aber die Mittel für die Ukraine nicht in dem Maße fortführen wie die bisherige Prager Regierung. Eine Steigerung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, auf das sich die Nato geeinigt hatte, hält der künftige neue Premier derzeit nicht für machbar. Strikt wendet er sich gegen die aus seiner Sicht überhöhten Klimaziele der EU und gegen den Kurs Brüssels in der Migrationspolitik. Babiš will die zuletzt wegen außenpolitischer Differenzen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg auf Eis gelegene Zusammenarbeit der Visegrád-Staaten, also mit Polen, Ungarn und der Slowakei, neu beleben. Noch vor Weihnachten will Babiš am nächsten EU-Gipfel teilnehmen.
Bei seinem Abschied von der Prager Burg wartete der neue Premier noch mit einer personellen Überraschung auf: auf der Liste der künftigen Minister, die er Präsident Pavel übergab, fehlt der Name von Filip Turek, der ursprünglich von der „Autofahrer-Partei“ als Außenminister und zuletzt als Umweltminister nominiert war. Wegen früherer rassistischer und anderer schlimmer Auslassungen auf seinen sozialen Medien hatte Turek als Minister in den Augen des Präsidenten keine Chance. Pavel konnte sich dabei auch auf die große Mehrheit der Tschechen stützen, die Turek als Minister für ungeeignet bezeichnete. Turek wollte diese Dinge gegenüber dem Präsidenten am Montag klären, konnte aber wegen einer akuten Erkrankung nicht auf die Burg kommen. Seine politische Zukunft bleibt bis zu seiner Genesung unklar.




