Der tschechische Botschafter in Deutschland, Jiří Čistecký, erhielt in Berlin die erste Johannes-Urzidil-Medaille für seine Verdienste um den deutsch-tschechischen Dialog.
Der tschechische Botschafter in Deutschland, Jiří Čistecký, erhielt in Berlin die erste Johannes-Urzidil-Medaille für seine Verdienste um den deutsch-tschechischen Dialog. Credit: Ulrich Miksch

Die Sudetendeutsche Akademie der Wissenschaften und Künste hat erstmals die neu geschaffene Johannes-Urzidil-Medaille verliehen – an Jiří Čistecký, den tschechischen Botschafter in Deutschland. In Berlin wurde der Diplomat für sein Engagement um Verständigung, Dialog und die kulturellen Brücken zwischen Tschechien und Deutschland geehrt.

Im Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin verlieh die Sudetendeutsche Akademie der Wissenschaften und Künste zu München am Montag, den 3. November, ihre neu geschaffene Johannes-Urzidil-Medaille an den tschechischen Botschafter in Deutschland, Jiří Čistecký. Er erhielt die Auszeichnung „für seine Verdienste um die deutsch-tschechische Zusammenarbeit und die Förderung der Kultur des Sudetenlandes“, wie es in der Urkunde heißt und Präsident Professor Stefan Samerski bei der Übergabe verlas.

Ein Diplomat als Brückenbauer

Was diese Verdienste waren, schilderte der Laudator stellvertretender Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) und Landesobmann der SL in Bayern Steffen Hörtler. Er sei ein Diplomat, ein Europäer und ein Brückenbauer und dies verbinde ihn mit dem Namengeber der Medaille Johannes Urzidil (1896-1970), der in Zeiten politischer Extreme daran festhielt, dass Kultur, Geist und Humanität stärker sind als Hass, Ideologie oder nationale Engstirnigkeit. Urzidil nannte sich selbst einen „Hinternationalen“, einen, der hinter den Nationen steht und über sie hinausblickt. Er verkörperte die Haltung eines Menschen, der sich nicht von Grenzen bestimmen lässt, sondern sie überwindet. Jiří Čistecký sei aufgewachsen in einer Zeit, in der Europa noch geteilt war, er lernte früh, dass Diplomatie nicht nur eine Aufgabe, sondern vor allem eine Frage der Haltung sei. Sein Weg habe ihn durch die politischen Zentren unseres Kontinents geführt, aber sein eigentliches Wirken lag dazwischen, im Raum des Zuhörens, des Vermittelns.

Hörtler erinnerte an den 21. Februar 2013, als der damalige tschechische Ministerpräsident Petr Nečas im Bayrischen Landtag öffentlich das „Leid und Unrecht“ der Vertreibung der Sudetendeutschen bedauerte. Wenige wissen, dass Jiří Čistecký am Vorabend entscheidend dazu beitrug, dass diese Worte gesprochen wurden. Er war damals Leiter des Mitteleuropareferats im tschechischen Außenministerium und ermutigte Nečas, diesen historischen Schritt zu wagen. Auch habe er als Regierungsbeauftragter auf tschechischer Seite die Bayrisch-Tschechische Landesausstellung vorbereitet. Und seit 2016 hätten sich die bayrisch-tschechischen Beziehungen intensiviert, was wir Menschen wie Jiří Čistecký verdanken. Der erste Träger der Johannes-Urzidil-Medaille setze den Maßstab für die neue Auszeichnung, die Menschen gelten solle, die mehr durch Zuhören als durch laute Worte bewegen, und die zeigen, dass Verständigung selbst eine Form von Kultur ist. Möge der Weg Jiří Čisteckýs viele Menschen inspirieren, es ihm gleichzutun: Grenzen zu überschreiten, Brücken zu bauen und den europäischen Gedanken mit Leben zu erfüllen.

Die neue Johannes-Urzidil-Medaille – benannt nach dem deutsch-tschechischen Schriftsteller und Kulturvermittler – wurde erstmals von der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste verliehen. Johannes Urzidil war ein deutschsprachiger Schriftsteller, Dichter, Essayist und Kulturvermittler aus Prag. Geboren am 3. Februar 1896 in einer deutsch-tschechisch-jüdischen Familie, gehörte er zum Kreis um Franz Kafka, Max Brod und Franz Werfel. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete Urzidil als Journalist und Kulturattaché an der deutschen Gesandtschaft in Prag. 1939 musste er nach der Besetzung Böhmens und Mährens emigrieren – zunächst nach Großbritannien, später in die USA, wo er bis zu seinem Tod 1970 in Rom lebte.
Die neue Johannes-Urzidil-Medaille – benannt nach dem deutsch-tschechischen Schriftsteller und Kulturvermittler – wurde erstmals von der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste verliehen. Johannes Urzidil war ein deutschsprachiger Schriftsteller, Dichter, Essayist und Kulturvermittler aus Prag. Geboren am 3. Februar 1896 in einer deutsch-tschechisch-jüdischen Familie, gehörte er zum Kreis um Franz Kafka, Max Brod und Franz Werfel. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete Urzidil als Journalist und Kulturattaché an der deutschen Gesandtschaft in Prag. 1939 musste er nach der Besetzung Böhmens und Mährens emigrieren – zunächst nach Großbritannien, später in die USA, wo er bis zu seinem Tod 1970 in Rom lebte. Credit: Ulrich Miksch

„Hinternational“ – Urzidils Vermächtnis

In seinen Dankesworten erinnerte auch Botschafter Čistecký an den Namensgeber Johannes Urzidil und sein Wort vom „Hinternationalen“. Er deutete es so: „hinter den Nationen stehend“. Es sei ein Lebensgefühl, das vielen von uns Mitteleuropäern vertraut ist. In unserer Region hätten viele mehr als nur eine Identität. Sprachlich, kulturell, religiös, familiär. Deshalb seien viele in gewisser Weise hinter der Grenze und Brückenbauer zwischen Welten. Immer, wenn wir nicht zwischen Identitäten entscheiden müssen, sondern sie und uns vereinigen können, prosperierte unsere Gemeinschaft, wie auch die ganze Gesellschaft und unsere Region. Leider standen wir in der Geschichte öfter an einem Kreuzweg, welche Identität wir betonen. Und es war immer eine Schicksalswahl, die gravierende Auswirkungen hatte. Leid, Tod und Verlust der Heimat. Das sei die eigentliche Lehre des „Hinternationalen“ gegenüber dem Nationalen des 20. Jahrhunderts und vielleicht das, was wir Europäer heute am dringendsten wieder zu verstehen lernen müssen.

Johannes Urzidil habe in seinem Werk die Liebe zur böhmischen Landschaft, zur deutschen Sprache und zum europäischen Denken verbunden, so Botschafter Čistecký. „Diese Verbindung mahnt uns in Europa nicht die nationalen oder ethnischen Kategorien zu betonen, sondern die gemeinsame geistige Substanz unseres Kontinents zu wahren. In diesem Sinne verstehe ich und erlebe ich auch, die Arbeit der Sudetendeutschen. Viele von euch gehören zu den engagiertesten Partnern Tschechiens in Deutschland und in Europa. Ihr arbeitet für euer Land, für unsere gemeinsame Heimat Mitteleuropa und für Europa als Ganzes. Ganz im Sinne von Johannes Urzidils Worten: ‚Heimat ist kein Besitz, sondern eine Aufgabe, die wir in uns tragen. Sie lebt aus der Erinnerung und aus dem Willen fortzusetzen, was verloren schien.‘ Und darum möchte ich euch von Herzen danken.“

Und noch einmal zitierte er Urzidil. „Die Heimat ist nicht dort, wo man geboren wurde, sondern dort wo man verstanden wird.“ Diese Worte seien heute aktueller denn je. Heimat entstehe im Dialog, im Verstehen und im gemeinsamen Gestalten. Es sei keine Einbahnstraße. Man muss Partner auf beiden Seiten haben. Seien wir uns allen dessen bewusst, ob wir in Deutschland, Tschechien oder Europa leben. In diesem Geiste dankte er der Sudetendeutschen Akademie, die er nicht nur als Anerkennung entgegennehme, sondern als Verpflichtung, gerade das „hinternationale“ Erbe Urzidils weiterzutragen. Ein Erbe des Zuhörens, der Vielstimmigkeit und der menschlichen Verantwortung.

Exil in den USA

Die Verleihung im Hause der Schwesterakademie, wie Prof. Stefan Samerski die Berlin-Brandenburgische Akademie in seiner Begrüßung nannte, wurde umrahmt vom Trio ensemble zeitlos. Violine, Violoncello, Klavier brachten den Teilnehmern dieser denkwürdigen Preisverleihung vor allem Teile von Antonín Dvořáks Dumky-Trio op. 90 zu Gehör. Dvořák hatte diese auf ein ukrainisches Wort zurückgehende Form eines „böhmischen Klagegesangs“ kurz vor seinem Aufbruch in den USA vollendet. In New York übernahm er die Leitung des National Conservatory of Music und ermutigte amerikanische Komponisten, ihre eigene Volksmusik als Inspirationsquelle zu nutzen. Das Werk wurde bei einer Konzerttournee quer durch Böhmen und Mähren 1891 ein voller Erfolg.

Nach New York verschlug es den Prager Johannes Urzidil 1941 nach einigen Umwegen, die seine Flucht mit seiner jüdischen Frau machte, schließlich auch. Er blieb in New York und wurde 1946 auch amerikanischer Staatsbürger. Dennoch wurde ein 1956 erschienenes Buch über seine Heimatstadt Prag Die verlorene Geliebte zu einer erneuerten Eintrittskarte in die deutschsprachige literarische Welt, in der er eigentlich schon 1932 mit seinem Buch Goethe in Böhmen zu finden war. Er reiste fortan zu Vorträgen, gewann literarische Preise und starb kurz nach seiner Ankunft zu einem Vortrag in Rom, wo er auf dem Campo Santo Teutonico begraben liegt.

Preis mit Symbolkraft

All das und noch viel mehr zu Urzidils Leben entnahmen die Zuhörer von Vera Schneider vom Deutschen Kulturforum östliches Europa, die den Festvortrag hielt. Sie hatte 2010 gemeinsam mit Klaus Johann ein Lesebuch zu Johannes Urzidil, Hinternational (leider vergriffen), herausgegeben. Ein poetisches Memoire an Urzidil und sein Leben trug die Schriftstellerin und Librettistin Ursula Haas vor, geboren 1943 in Aussig, von 2018 bis 2024 Vizepräsidentin der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste.

Eingeflochten waren Anspielungen auf Urzidils Leben auch in das Grußwort der Paneuropa-Union, überbracht von Gunter Smits, sowie in die verschiedenen Beiträge des Akademiepräsidenten Professor Stefan Samerski. Er betonte, dass sich im literarischen Werk Urzidils die Themen Flucht, Vertreibung und Exil spiegelten – ein Grund, warum die Benennung der neuen Auszeichnung nach Urzidil naheliege.

Samerski informierte zudem über die Symbolik der neugeschaffenen Johannes-Urzidil-Medaille: Sie ist versilbert und erinnert damit an den böhmischen Münzursprung des Talers, später auch Dollar genannt. Das rot-schwarze Band verweist auf die Farben der Sudetendeutschen, auf dem eine rote Glasrosette aus Gablonz angebracht ist.

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