Das Prager Theaterfestival deutscher Sprache wird 30 Jahre alt. Zum Jubiläum sprach das LandesEcho mit Petr Štědroň, dem Direktor des Theaters am Geländer (Divadlo Na zábradlí), über kulturellen Austausch, Festivalhighlights und die Frage, warum Theater auch in unruhigen Zeiten Trost und Hoffnung spenden kann.
LE: Das Motto des Theaterfestivals ist TROST. Inwiefern spiegelt sich dieses Motto in den diesjährigen Aufführungen wider?
Trost spiegelt sich eigentlich in jeder der Aufführungen wider, vor allem aber auch im heutigen Zustand der Welt. Wir sind uns alle bewusst, dass gerade mehrere Kriege stattfinden. Das Theater gibt uns Trost und dient als Ort zum Nachdenken und zur Kommunikation, vor allem aber als Raum für kulturellen Austausch, der dazu beitragen soll, solche Konflikte zu verhindern.
LE: Das Prager Theaterfestival deutscher Sprache wird 30 Jahre alt…
Dieses Jahr findet die 30. Ausgabe statt ⎯ eine Jubiläumsausgabe. Das Festival entstand im Jahr 1996, als ein Versuch, die zerrissenen Verbindungen zwischen der deutschsprachigen und der tschechisch sprechenden Kultur wiederherzustellen. Früher, vor dem Zweiten Weltkrieg, gab es in Prag eigentlich drei große Kulturen ⎯ die tschechische, die deutsche und die jüdische Kultur. Wir versuchen seit 1996 an diese Situation anzuknüpfen und den kulturellen Austausch zu realisieren. Es geht nicht nur um das deutsche Theater, sondern um das gesamte deutschsprachige Theater, das heißt, wir laden auch Theaterhäuser aus Österreich, der Schweiz, Luxemburg und Liechtenstein nach Prag ein.

LE: Was waren die größten Herausforderungen für das Theaterfestival in den letzten drei Jahrzehnten?
Die größte Herausforderung war für uns wahrscheinlich die Covid-Ausgabe, die wegen des Lockdowns komplett online stattfinden musste. Das damalige Festivalprogramm stand unter dem Motto diesmal digital, da alle Vorstellungen online ausgestrahlt und gestreamt wurden. Allerdings hatten wir bei den Livestreams etwa 12.000 Zuschauer, was mich sehr gefreut hat. Niemand wusste damals, wie alles weiterlaufen würde wegen der Pandemie ⎯ hoffentlich ist diese Phase endgültig zu Ende. Aber eigentlich ist jede Ausgabe eine Herausforderung, da wir immer versuchen, die besten und die herausragendsten Inszenierungen aus der vorherigen Theatersaison auszusuchen, sowohl in Deutschland als auch in Österreich und in der Schweiz.
LE: Welche neuen Wege wollen Sie mit dem Festival in Zukunft gehen ⎯ gibt es schon Pläne?
Natürlich gibt es Pläne. Das Festival besteht eigentlich aus zwei Programmteilen, dem Hauptprogramm und dem Off-Programm. Im Hauptprogramm der diesjährigen 30. Ausgabe zeigen wir neun Produktionen aus deutschsprachigen Theaterhäusern: aus dem Thalia Theater, dem Schauspielhaus Wien und dem deutschen SchauSpielHaus Hamburg. Außerdem veranstalten wir eine Koproduktion mit einem wirklich namhaften Regisseur und Dramatiker. Wir haben Armin Petras nach Prag eingeladen, um hier im Theater am Geländer die Inszenierung der Blechtrommel von Günter Grass einzustudieren. Die Premiere des Stücks wird am Samstag, den 15. November 2025, sein. Das ist dann der Start des Hauptprogramms des Festivals.
Ansonsten kommen im Off-Programm viele Veranstaltungen vor, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die tschechische und deutschsprachige Theaterlandschaft miteinander zu verknüpfen. Das heißt, wir veranstalten auch Konferenzen für Fachleute aus dem Theatergebiet, wie beispielsweise Bühnenbildner, Regisseure und Dramaturgen. Es finden auch Lesungen mit Übersetzungen von neuer deutschsprachiger, aber auch tschechischer Literatur statt, damit es zum gegenseitigen Austausch kommt.

LE: Sie haben eben Die Blechtrommel von Günter Grass angesprochen ⎯ ein Werk, das sich auch mit deutscher Geschichte, Erinnerung und Identität auseinandersetzt. Wieso wurde genau dieses Stück als Auftakt gewählt?
Weil der Roman von Nobelpreisträger Günter Grass zu einem der bedeutendsten Werke der Nachkriegsliteratur gezählt wird. Die Blechtrommel ist ein wirklich sehr bedeutendes Buch, was die deutsche und europäische Nachkriegsliteratur angeht. In diesem Jahr möchten wir uns das Ende des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung rufen. Noch dazu ist es natürlich eine riesengroße Aufgabe, Die Blechtrommel auf die Bühne zu bringen. Die Bühnenadaption des Stücks stammt von Armin Petras, der gleichzeitig auch die Regie führt.
LE: Sie haben vorhin angesprochen, dass sehr viele Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen deutschsprachigen Ländern, wie Deutschland, Luxemburg, der Schweiz, Österreich und Liechtenstein zusammenkommen. Was bedeutet dieser Austausch für das Festival?
Ja, was bedeutet der Austausch? Unsere Hoffnung ist, dass etwas übrig bleibt, sowohl in der deutschsprachigen Theaterlandschaft als auch in der tschechischen. Und dieser Wunsch erfüllt sich tatsächlich auch. Für die tschechische Theaterlandschaft hat das Theaterfestival eine sehr große Bedeutung. In neuen Impulsen und durch neue Kontakte werden regelmäßig die Texte, die wir im Rahmen des Festivals zeigen, nach ein oder zwei Jahren in der tschechischen Szene aufgeführt. Das freut uns natürlich sehr. Das Festival ist sehr inspirativ für die tschechische Theaterszene, bringt neue Vorgehensweisen und neue Texte auf die Bühne. So werden die Theaterlandschaften und Literaturlandschaften der beiden Länder miteinander verbunden.
LE: Nach welchen Kriterien suchen Sie die Inszenierungen aus?
Das Festival bespielt mehrere Prager Theaterhäuser und das wichtigste Kriterium ist schlicht gesagt die Qualität. Wir versuchen wirklich, die herausragendsten Inszenierungen für das Festival auszusuchen. Im Laufe der 30 Jahre haben wir natürlich schon eine gewisse Erfahrung gesammelt und wissen, was während der Saison auf den deutschen Bühnen entsteht. Wir wählen dann diejenigen Inszenierungen aus, bei denen wir das Gefühl haben, dass sie für die tschechische Szene sehr inspirativ und bereichernd sind.

LE: Haben Sie dieses Jahr auch ein persönliches Highlight im Programm?
Ich habe eigentlich mehrere Highlights. Natürlich sind alle Stücke sehr sehenswert, aber einer meiner persönlichen Höhepunkte ist dieses Jahr wahrscheinlich Verrückt nach Trost, eine Produktion der Salzburger Festspiele. Die Regie führt Thorsten Lensing, mit wunderbaren Schauspielern wie Ursina Lardi, Devid Striesow, André Jung und Sebastian Blomberg. Das ist wirklich eine Rarität, denn es kommt sehr selten vor, dass diese vier wunderbaren Schauspieler auf einer Bühne zusammentreffen. Deswegen auch das Motto des Festivals, denn es ist teilweise durch diesen Text und seine Idee entstanden.
Ein anderes meiner persönlichen Highlights ist Laios, eine der Abschlussvorstellungen am Ende des Festivals. Es ist eine Produktion aus dem Deutschen SchauSpielHaus Hamburg, unter der Regie von Karin Beier, mit Lina Beckmann in der Titelrolle, nach einem Text von Roland Schimmelpfennig. Schimmelpfennig zeigt mit seinem Text, dass die europäischen Mythen, aber auch Themen wie Gewalt oder andere schwierige Fragen, die wir bis heute lösen müssen, schon in der Antike entstanden sind. Und alle Mythen kommen aus Theben, sie zeigen uns, wie sich die Geschichte wiederholt. Es ist eine wirklich sehr starke schauspielerische und bühnenbildnerische Inszenierung. Lina Beckmann liefert eine herausragende Leistung und wurde dafür auch als Schauspielerin des Jahres ausgezeichnet.
Ein anderes Highlight ist Empusion unter der Regie von Antú Romero Nunes, eine Adaption des Romans von Olga Tokarczuk. Das ist vielleicht auch ein Punkt, der den Unterschied zwischen der deutschsprachigen und der tschechischen Theaterszene verdeutlicht: Die deutschsprachige Theaterszene ist wirklich sehr international. Nunes hat chilenische und portugiesische Wurzeln, ist in Deutschland geboren und hat dort auch studiert. Er ist heute Schauspielchef im Theater Basel in der Schweiz und gehört heute zu den bedeutendsten Regisseuren der deutschsprachigen Theaterszene. Wir werden allerdings nicht nur Empusion von Nunes zeigen, sondern noch eine andere Inszenierung aus dem Thalia Theater: Der Apfelgarten, natürlich eine Anspielung auf Tschechows Kirschgarten. Das Stück ist eine Adaption dieses Klassikers, übertragen auf die heutigen Verhältnisse. Es spielt sich in der Umgebung um Hamburg, im Alten Land ab und wurde von Dörte Hansen umgeschrieben und adaptiert. Ich finde, das ist auch eine wirklich sehr starke Inszenierung.
LE: Was sollen Besucherinnen und Besucher aus den Aufführungen mit nach Hause nehmen?
Am besten eine volle Packung an Emotionen. Die Besucherinnen und Besucher sollen nach jeder Vorstellung natürlich über den Zustand der Welt nachdenken. Das deutschsprachige Theater greift die zentralen Probleme unserer Zeit auf, kommuniziert die völlig gegenwärtigen Fragen und zeigt uns nicht die Lösungen, sondern den Weg zu einer besseren Welt, würde ich sagen ⎯ auch wenn das pathetisch klingt.
Wie wir alle wissen, ist der Zustand der Welt heutzutage nicht der beste. Das Theater gibt uns Hoffnung, aber auch den nötigen Halt und Trost, diese Probleme wenigstens zu sehen und miteinander zu kommunizieren.
Das Gespräch führte Alina Seitz
Petr Štědroň wurde 1976 in Brünn (Brno) geboren und studierte Germanistik und Kunstgeschichte an der Masaryk-Universität. Nach seiner Promotion arbeitete er als Dozent, Dramaturg und Übersetzer für deutschsprachige Theaterstücke und Literatur. 2009 wurde er zum Chefdramaturgen des Prager Theaterfestivals deutscher Sprache ernannt und ist seit 2021 auch dessen Direktor. Seit September 2013 leitet er das Prager Theater am Geländer (Divadlo Na zábradlí).
30. Prager Theaterfestival deutscher Sprache (Pražský divadení festival německého jazyka)
15.11. ⎯ 11.12.2025
Das vollständige Festivalprogramm finden Sie auf : https://www.theater.cz/de/
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