Erstmals zeigt die Nationalbibliothek Prag eine Auswahl handschriftlicher Abschriften der Chronik der Böhmen – dem ersten bekannten historischen Werk zur tschechischen bzw. böhmischen Geschichte.
Anlässlich des 900. Todestags des ersten böhmischen Chronisten Cosmas sind noch bis zum 23. Oktober Textüberlieferungen der Cosmas-Chronik (lat. Chronica Boemorum) aus dem 12. bis 17. Jahrhundert zu sehen. Für das Projekt Kosmas 900 wurden wertvolle Dokumente aus mehreren europäischen Bibliotheken eigens nach Prag gebracht. Im Interview mit dem Radiosender Český rozhlas hob Tomáš Foltýn, der Generaldirektor der Nationalbibliothek, die Besonderheit der dreiteiligen Ausstellung hervor: „Für uns ist es eine einmalige Gelegenheit, frühneuzeitliche Abschriften der Cosmas-Chronik an einem Ort zu präsentieren – möglicherweise zum ersten Mal in der Geschichte.“
Chronik aus drei Perspektiven
Am 25. September eröffnete die Nationalbibliothek der Tschechischen Republik gemeinsam mit Prague City Tourism die heiße Phase des Projekts Kosmas 900. Das Jubiläumsprojekt erinnert an Cosmas, den ersten böhmischen Chronisten, und zeigt seinen prägenden Einfluss auf die Geschichte und kulturelle Identität Tschechiens. Das Projekt gliedert sich in drei Ausstellungen, die unterschiedliche Facetten der berühmten Cosmas-Chronik beleuchten.
Der Höhepunkt der Präsentation ist die Ausstellung Nejstarší rukopisy (dt. Die ältesten Manuskripte) in der Spiegelkapelle. Dort sind fast alle erhaltenen mittelalterlichen Cosmas – Handschriften zu sehen – darunter die Leipziger Handschrift mit der einzigen bekannten Darstellung Cosmas. Ergänzt wird die Schau durch bedeutende Leihgaben aus Bautzen, Wien und weiteren Sammlungen, darunter auch die neu entdeckte Šternberk-Handschrift.
Die zweite Ausstellung Kronika v čase (dt. Chronik in der Zeit) befindet sich in der Galerie des Klementinum. Hier wird die Bedeutung der Chronik vom Mittelalter bis zur Barockzeit vorgestellt. Dabei ist der Eintritt kostenlos. Für Besucher wichtig zu wissen ist, dass Führungen auf 30 Personen pro Termin begrenzt sind und vorab reserviert werden müssen. Tickets sind über das GoOut-Portal oder vor Ort erhältlich, wobei ein Kauf direkt im Klementinum keine Garantie für den gewünschten Termin bietet. Schulgruppen und Organisationen können Führungen per E-Mail vormittags zwischen 8 und 11 Uhr buchen.
Den dritten Teil bildet die Ausstellung Proměny textu (dt. Texttransformationen), die bereits seit dem 9. Juni im Klementinum zu sehen ist und den Auftakt des Projekts Kosmas 900 bildete. Sie zeigt, wie sich die Bedeutung der Cosmas-Chronik im Laufe der Jahrhunderte durch verschiedene Textversionen und Überarbeitungen verändert hat. Der Eintritt kostet 20 CZK (ca. 0,80 Euro), für Bibliotheksnutzer mit gültigem Ausweis ist der Zugang frei.
Vom Dekan zum Chronisten
Cosmas wurde im Jahr 1045 geboren und wirkte als Dekan des Prager Veitskapitels. Erst im hohen Alter – Ende des 12. Jahrhunderts, als er beinahe 80 Jahre alt war – begann er mit der Niederschrift seiner lateinischen Chronica Boemorum (dt. Chronik der Böhmen), die er bis zu seinem Tod am 21. Oktober 1125 fortführte. Mit seinem Werk war er der Erste, der die böhmische Geschichte systematisch schriftlich festhielt. Cosmas verband mündliche Überlieferungen mit mythischen Erzählungen, so wie der Ankunft der Tschechen in ihrer neuen Heimat, und spannte den Bogen bis in seine eigene Gegenwart. Im Zentrum seiner Chronik stand vor allem das Herrscherhaus der Přemysliden – eine mächtige Adelsfamilie, die im Mittelalter Böhmen regierte und großen Einfluss auf die politische Entwicklung des Landes hatte. Dabei beschreibt Cosmas ihren Aufstieg zur Macht und ihre Rolle bei der Verbreitung des Christentums. Aber auch die Entwicklung der Kirche, die eng mit der Herrschaft der Přemysliden verbunden war, wird thematisiert.
Die Ausstellungen im Rahmen des Projekts Kosmas 900 bieten eine einmalige Gelegenheit, zentrale Werke der tschechischen Geschichtsschreibung und seltene Handschriften aus ganz Europa zu erleben. Besonderes Augenmerk liegt darauf, Cosmas und sein Werk auch für Schülerinnen und Schüler durch moderne didaktische Ansätze zugänglich zu machen. Kulturminister Martin Baxa (ODS) betonte bei seinem Besuch der Ausstellung gegenüber der tschechischen Tageszeitung Deník, wie wichtig solche Werke für junge Menschen seien: „Als Geschichtslehrer weiß ich genau, wie stark solche Werke junge Menschen prägen können. Sie erweitern ihr Verständnis der Vergangenheit und zugleich ihre Beziehung zum eigenen Land.“