Vergangenen Freitag verstarb der Diplomat und ehemalige tschechische Botschafter František Černý. In den deutsch-tschechischen Beziehungen wird er fehlen.
Im 93. Lebensjahr verstarb der Brückenbauer zwischen Deutschen und Tschechen, aber eben auch zwischen Sudetendeutschen und Tschechen, František Černý, am 2. Februar 2024 in seiner Heimatstadt Prag, wo er Maschinendreher, Rundfunkjournalist, sehr beliebter Sprachlehrer und nach seiner Zeit als Gesandter in Berlin und Botschafter seines Landes in Bonn und Berlin weiterhin der geheime Angelpunkt der deutsch-tschechischen Beziehungen war.
Ein Treffen mit ihm ist mir in lebhafter Erinnerung. Bei einem Besuch in Prag vereinbarten wir ein Zusammenkommen im Café Slavia. Als wir uns vor der Eingangstür, die eigentlich nie verschlossen war, trafen, war das Slavia zu und ein Zettel informierte, dass aus Gründen von Dreharbeiten das Slavia geschlossen sei. Nun war guter Rat teuer. Doch František Černý wies gleich auf die andere Straßenseite und dirigierte uns ins Café der Neuen Bühne des Nationaltheaters in den zweiten Stock. Dort nahmen wir Platz direkt an den Panoramafenstern zur gegenüberliegenden Häuserfront, die links auch das Slavia wieder in den Blick geraten ließ. Wir schauten hinüber und František Černý zeigte mir einen Balkon, wo in den 1930er Jahren sein Vater gearbeitet hatte und wo er als Sechsjähriger gestanden habe, als der Leichnam des Gründerpräsidenten der Tschechoslowakei Tomáš Garrigue Masaryk in einem Trauerzug von Schloss Lány auf die Prager Burg auch am Nationaltheater vorbeikam.
Es war wohl der Schlüsselmoment für František Černýs Leben, dass er den toten Präsidenten noch gesehen und ihm im Geiste in seinem späteren Leben irgendwie gefolgt war. Wie sollte es auch anders gehen? Sein Vater war Deutscher, seine Mutter Tschechin und in der Familie wurden noch andere Sprachen der Habsburger Monarchie gesprochen. Übersetzt wurde allerdings nie. Ein Ferienaufenthalt im Schluckenauer Zipfel mit seinem Bruder 1946 ließ ihn erstaunt und nachdenklich zurück. Sie streiften dort durch die Landschaft, stießen auf ein völlig verlassenes Dorf, aus dem die deutsche Bevölkerung vertrieben worden war. Es war völlig leer. Was hätten diese Menschen, die da ein ganz normales Leben geführt hatten, denn verbrochen? Das fragte er sich damals und das hätte ihn immer wieder beschäftigt. So erinnerte sich Černý bei der Preisverleihung zum Wenzel-Jaksch-Gedächtnispreis 2022.
In seiner ganzen Arbeit war er immer bemüht, mehr Verständnis für die andersdenkenden und vielleicht auch anders geformten Menschen aufzubringen. Vor allem als Diplomat ab 1990 konnte der promovierte Germanist den Deutschen die Tschechen und den Tschechen die Deutschen näherbringen. Und immer blieb das Masaryk-Wort von „unseren Deutschen“ auch seine Wortwahl, wenn es um die Sudetendeutschen ging, zu denen er mannigfach Kontakte pflegte.
Sein Patensohn Botschafter Tomáš Kafka beschrieb das Erfolgsrezept Černýs einmal, er habe Menschen dazu gebracht, andere als eine Bereicherung und nicht nur als eine Herausforderung zu sehen. Und dies habe er durch sein eigenes Beispiel ermöglicht. „František Černý war bereit, sehr viel von sich selbst zu geben, um die anderen menschlich und kulturell zu bereichern. Man kann sagen, dass wir – Deutsche, Sudetendeutsche und Tschechen – nach einem einzigen Treffen mit František schon etwas verwandelt waren.“ So Kafka bei der Preisverleihung 2022 in München. Und weiter: „Sein Interesse galt dem einzelnen Schicksal, weil er eine Abneigung pflegte gegen jede Art von Kollektivschuld, weil er sich resistent zeigte gegenüber ideologischen Konstrukten und Entschuldigungen. Und so habe er die deutsch-tschechischen bzw. sudetendeutsch-tschechischen Dinge durch und durch verstehen gelernt und machten ihn zu einem echten Versöhner.“
Als wir im Café im Anbau des Nationaltheaters saßen und zu dem besonderen Balkon seiner Kindheit herüberschauten, zeigte ich ihm damals die aus den Archiven von Radio Prag gerade frisch kopierten Redemanuskripte von Wenzel Jaksch aus den Jahren 1937 und 1938, die Jaksch als Verteidiger der Ersten Tschechoslowakischen Republik qualifizierten. Später traf er die im englischen Exil geborenen Kinder Jakschs bei deren Besuch von Prag, während der Nachwanderung der Flucht ihres Vaters von 1938 – dem Abschiedsmoment Wenzel Jakschs von Böhmen, dessen Boden er nicht mehr betreten sollte.
Der Tod František Černýs hinterlässt eine große Lücke bei den Akteuren des deutsch-tschechischen Austauschs. Ein wichtiger Ratgeber wird fehlen.
Das Masaryk-Wort von „Unseren Deutschen“, das František Černý aufgriff und mit neuem Leben füllte, ist aber nunmehr Titel der Dauerausstellung über die Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien in Aussig (Ústí nad Labem), bei deren Eröffnung 2021 Černý selbstverständlich anwesend war.