Eine chaotische Corona-Politik und Premier Babišs lang anhaltender Interessenkonflikt: Die Opposition im tschechischen Unterhaus strengt am Donnerstag erneut ein Misstrauensvotum an, jedoch mit nur geringen Aussichten auf Erfolg. Babiš: „Man will mich für immer aus der Politik entfernen.“
In gerade mal vier Monaten wählen die Tschechen ein neues Abgeordnetenhaus. Da sich die Corona-Lage deutlich entspannt hat, sollte in diesem Jahr auch für die Politik im Nachbarland eine Sommerpause möglich sein. Dann blieben de facto nur noch zwei Monate, um Dinge auf den Weg zu bringen, die schon die künftige Regierung umzusetzen hätte.
„Welchen Sinn macht es unter diesen Umständen, die jetzige Regierung auf den letzten Pfiff stürzen zu wollen“, fragten in den vergangenen Tagen zahlreiche Kommentatoren. Doch genau dazu waren am Donnerstag die Oppositionsparteien im Unterhaus angetreten. Finanzministerin Alena Schillerová (ANO) gab eine der denkbaren Antworten: „Die Opposition ist längst im Wahlkampfmodus.“ Premier Andrej Babiš (ANO) fand in seinem sehr emotionalen Auftritt noch eine andere Begründung: „Man will mich für immer aus der Politik entfernen.“
Das Sündenregister, das die Redner der beiden Vorwahlkoalitionen Piraten/Bürgermeisterpartei und Bürgerpartei/Christdemokraten/Konservative TOP 09 dem Premier vorhielten, unterschied sich denn auch kaum von dem, was die Opposition schon bei zwei vorangegangenen Misstrauensanträgen bemüht hatte: „Die Regierung hat eine chaotische Corona-Politik verschuldet, die Tschechien zwischenzeitlich zu einem der größten Krisenherde in Europa werden ließ.“ „Babiš hat nicht gegen das Virus, sondern gegen die Bevölkerung gekämpft.“ Sieben Monate etwa hätten die Kinder nicht in die Schulen gedurft – „ein trauriger Europarekord“. Oder: „Die Leute können sich schon nicht mehr an die Gesichter der vielen verschiedenen Gesundheitsminister erinnern, die jeweils nach irgendwelchen Skandalen zurücktreten mussten.“
Alle Redner der demokratischen Opposition rieben sich zudem am seit Jahren anhaltenden Interessenkonflikt von Babiš. 20 Milliarden Kronen an EU-Geldern seien seit dem Amtsantritt der Regierung in das Firmengeflecht von Babiš geflossen. Der sei nach wie vor der wahre Chef des Konzerns Agrofert, obwohl er den offiziell an zwei Treuhandfonds übergeben habe. „Babiš macht damit das Ansehen ganz Tschechiens in der EU zunichte.“
In der Tat beschäftigen sich schon lange auch das EU-Parlament und die EU-Kommission mit der Frage, ob Babiš in Sachen der Subventionsgelder aus Europa ein Ehrenmann oder ein Betrüger ist. In einem unlängst veröffentlichten Bericht der EU-Kommission über das Jahr 2019 ist vermerkt, dass der Premier seinen Interessenkonflikt nur schlecht kaschieren könne. Babiš hat den Bericht zurückgewiesen, den eine „Mafia“ von Wirtschaftsprüfern erstellt habe. In der Debatte des Unterhauses verwahrte er sich vor allem auch gegen das EU-Parlament, das versuche, „in tschechische Angelegenheiten hineinzuregieren“.
Fakt ist allerdings, dass gerade auch die tschechische Polizei in einem konkreten Fall Ermittlungen gegen Babiš abgeschlossen und eine Anklage empfohlen hat. Babiš soll sich 2008 Fördergelder für den Bau des Wellness-Resorts „Storchennest“ in Höhe von umgerechnet knapp zwei Millionen Euro bei der EU erschlichen haben. Die Mittel waren für kleine und mittelständische Unternehmen bestimmt, nicht aber für einen Großunternehmer wie Babiš. Auch das musste sich der Regierungschef in der Debatte immer wieder anhören. Der Ministerpräsident seinerseits lobte in erster Linie die Arbeit seiner Regierung. So sehr, dass der Chef der Christdemokraten süffisant erwiderte, er habe den Eindruck gewonnen, „dass Nachbarländer wie Deutschland neidisch auf die Zustände in Tschechien sein müssen“.
Für die Debatte, die live im Fernsehen übertragen wurde, waren viele Stunden angesetzt. Sie könnte aber auch kürzer ausfallen, haben doch die Kommunisten entschieden, den Antrag nicht unterstützen zu wollen. Die Partei ist das Zünglein an der Waage, hatte bis vor kurzem die Minderheitsregierung toleriert, will aber wohl nicht an der Seite der Bürgerlichen stimmen, mit denen sie gar nichts gemein hat. Damit kämen die Gegner von Babiš nicht auf die erforderliche Mehrheit von 101 der 200 Stimmen.
Präsident Miloš Zeman will die Regierung aber selbst dann bis zu den Wahlen im Amt lassen, wenn sie das Misstrauen ausgesprochen bekäme. Ein Regierungswechsel jetzt würde nur unnötig die Stabilität im Land untergraben. Die Chancen von Babiš auf eine Wiederwahl stehen indessen nicht gut. Seine Bewegung ANO liegt in den Umfragen hinter der Koalition aus Piraten und Bürgermeisterpartei nur an zweiter Stelle.