Die tschechische Küche ist bekanntlich recht schwer. Da braucht man nach dem Essen schon ab und an einen „Magenaufräumer“. Der echte Tscheche kennt da nur ein Rezept, den Sliwowitz.
Das dem deutschen Pflaumenbrand oder Zwetschgenwasser ähnelnde hochprozentige (mindestens 37,5 %) Getränk ist ein fester und unverzichtbarer Bestandteil der tschechischen Kultur. Ob weiß (flaschengelagert) oder gelb (fassgelagert), eines ist klar: Prag hat schon zu lange ohne ein Museum auskommen müssen, das dieses Nationalgetränk gebührend würdigt. Seit 2019 ist dieser Missstand gottlob beendigt.
In diesem Jahr eröffnete in der U Lužického semináře 116/48 auf der Kleinseite und so nahe an der Metrostation Malostranská gelegen, dass man es auch nach ein paar ordentlichen Kostproben auch wankend noch bis dahin schafft, das „Muzeum Slivovice R. Jelínek“. Auch wenn die Firma R. Jelínek, die das Museum betreibt, als größter Obstbrandhersteller nicht nur in Tschechien, sondern in der Welt, ein gewisses Verkaufsinteresse damit verbinden mag, bekommt man hier einen didaktisch hochwertigen, informativen und unterhaltsamen Ausstellungsbesuch mit modernster Museumstechnik geboten.
Schnapsbrennerei mit Tradition
Vielleicht erst einmal zu Firma selbst, deren spannende Geschichte in der Ausstellung ausführlich dargestellt wird: Die hat ihren Ursprung und Hauptsitz im mährischen Vizovice, wo man die Kunst der Obstbranddestillation schon bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen kann. 1882 tritt hier erstmals die Familie Jelínek auf, zunächst als Pächter einer bestehenden Brennerei, dann ab 1891 als Besitzer einer eigenen Destillerie, deren Gründer Zikmund Jelínek wurde. Dessen Söhne Vladimír und Rudolf Jelínek übernahmen die Firma 1919, zerstritten sich aber bald, so dass sich 1926 die Wege trennten und Rudolf die Firma nach sich benannte.
Rudolf Jelínek hatte 1934 eine geniale Idee, die dazu beitrug, dass aus der mährischen Provinzfirma eine Weltmarke wurde. Ein Jahr zuvor endete in den Vereinigten Staaten die unselige Prohibition. Jelínek, der selbst jüdischer Herkunft war, erkannte, dass es gerade in den USA nun einen großen Markt für koscheren Sliwowitz gab – ein Produkt, das er erstmals auf den Marktgebracht hatte. So begann der internationale Durchbruch. Zudem verbesserte er den Geschmack des an sich oft recht kratzigen Getränks so, dass es einen milderen und vielschichtigeren Abgang bekam. Dazu beriet er sich mit dem französischen Cognac-Hersteller Denis-Mounié. Mit dem Qualitätswachstum kam auch das Umsatzwachstum.
Die Firma R. Jelínek ist der größte Hersteller von Obstbränden in Tschechien. Foto: Detmar Doering
Unter dem Rad der Geschichte
Dann kam die Katastrophe. 1938 musste die Tschechoslowakei große Teile ihres Staatsgebietes an Hitler-Deutschland abtreten und 1939 marschierten deutsche Truppen im Land ein. Die Firma wurde „arisiert“, d.h. gestohlen und einem naziloyalen Deutschen übertragen, und die gesamte Familie Jelínek wurde ins Konzentrationslager deportiert. Rudolf Jelínek, seine Frau und fast seine ganze Familie wurden ermordet. Zwei Söhne überlebten, von denen einer 1946 an den Folgen des ihm zugefügten Leids starb. Rudolfs zweiter Sohn Jiří übernahm jedoch die Firma und schien sie wieder auf Erfolgskurs zu bringen.
Rudolf Jelínek mit seiner Frau. Foto: Detmar Doering
Doch 1948 folgte der zweite Akt im totalitären Trauerspiel: Die Kommunisten übernahmen die Macht. Den Jelíneks wurde die Firma abermals gestohlen. Der Name wurde behalten, aber die Firma war nun Teil eines Staatskonglomerats, was die Qualität senkte – außer für den Auslandsmarkt, denn der sozialistische Pleitestaat brauchte westliche Devisen, um überhaupt irgendwas recht und schlecht auf die Beine zu kriegen.
Die einzige bahnbrechende Neuerung der kommunistischen Zeit, die bleibenden Wert hatte, war die Gestaltung der Flasche als Markenzeichen, die 1950 erfolgte. Die nutzt man heute noch und ist so stolz darauf, dass im Museum sogar die Waschbecken in den Toiletten die charakteristisch unregelmäßige Form der Flasche haben. Womit wir beim Hier und Jetzt sind: Das Museum ist das Projekt einer wieder privat betriebenen Firma.
Waschbecken in Flaschenform. Foto: Detmar Doering
Sliwowitz-Pflaume in 5D
Mit der Samtenen Revolution von 1989 endete der kommunistische Schrecken und man entflocht erst einmal das große staatliche Brennereikonglomerat, so dass R. Jelínek erst einmal ein eigenständiger Staatsbetrieb wurde, der in einem zweiten Schritt privatisiert werden konnte, was 1994 dann auch geschah. 1998 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, die nach und nach immer mehr Gewinn abwarf. Es wurden Niederlassungen im Ausland gegründet und heute ist niemand so dick im Obstbrandgeschäft wie die Firma Jelínek. Und deshalb kann sie sich neben dem schon länger bestehenden Museum in Vizovice nun auf ein besonders modernes Museum in Prag leisten.
Das ist hyper-modern konzipiert. Man bekommt eine Audio- und Multimediatour ersten Ranges geboten, die keine Fragen offen lässt – sei es, was die Geschichte der Firma, der seit 2003 wieder entstehenden Obstplantagen, der vorschriftsgerechten Produktion des koscheren Sliwowitz, des Destillationsvorgangs, der Fassherstellung, der Abfüllung und des Vertriebs angeht. Die wissenschaftliche Fundierung kommt auch nicht zu kurz. Das Highlight ist wohl die 5D-Kinovorführung mit Videobrille über den Lebensweg einer Pflaume vom Baum bis zur Bar, in der sie als Sliwowitz serviert wird. Spannend, spektakulär und lehrreich!
Aber zwischendurch gibt es natürlich auch handfeste originale Gegenstände aus der Jelínek-Sammlung, wie etwa die obenabgebildete alte Abfüllstation. Das macht die Sache eben noch abwechslungsreicher. Auf jeden Fall geht man informierter aus der Ausstellung heraus. Aber natürlich nicht nur informierter, sondern (was vermutlich der Hintersinn der Betreiber ist) auch durstiger.
Renovierung nach der Moldau-Flut
Und wenn man vom Museum spricht, darf man über sein Gebäude nicht schweigen. Das ist nämlich auch von historischem Interesse. Es handelte sich ursprünglich um ein Renaissancehaus, das aber Anfang des 17. Jahrhunderts umfassend barockisiert wurde. Das dům U Bílé botky (Haus zu den Weißen Schuhen) genannte Gebäude wurde dabei für Studenten am nahegelegenen Lausitzer Seminar (Lužický seminář) eingerichtet, die als katholische Priester ausgebildet werden sollten.
Die Firma Jelínek renovierte das „Haus zu den Weißen Schuhen“ nachdem es das Moldau-Hochwasser im Jahr 2002 verwüstet hatte. Foto: Detmar Doering
Das zentral gelegene Haus wurde 1966 von der bekannten Schauspielerin Slávka Budínová, die u.a. an so berühmten Filmen wie Noc na Karlštejně (1973) mitwirkte, erworben. Sie starb kurz vor der Großen Moldauflut von 2002, die das Haus verwüstete. Danach kümmerte sich niemand mehr so recht darum und das Bild des Verfalls, das es bis vor kurzem noch bot, war herzzerreißend. Man kann der Firma Jelínek nur dankbar sein, dass sie das Gebäude 2011 kaufte, um ein Museum daraus zu machen, sodass es nach aufwendigen Renovierungsmaßnahmen nunmehr in neuem Glanz erstrahlt. So können wir hier heute nicht nur ein unterhaltsames Museum besuchen, sondern uns auch daran erfreuen, dass ein Baudenkmal vor dem Niedergang gerettet wurde. Ein schöner Beitrag zum Denkmalschutz!
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog „Ahoj aus Prag“.
Ahoj aus Prag! Seit September 2016 leben wir berufsbedingt in Prag. Wir – eigentlich Rheinländer – haben sie schon voll in unser Herz geschlossen, diese Stadt! Deshalb dieser Blog, in dem wir Fotos und Kurzberichte über das posten, was diese Stadt so zu bieten hat und was wir so erleben. Wir, das sind:
Lieselotte Stockhausen-Doering und Detmar Doering
… und unser Hund Lady Edith! Wer sich in Prag einmal umschauen möchte, wird auf diesem Blog nach einiger Zeit sicher Interessantes finden, was nicht jeder zu sehen bekommt, der die Stadt besucht. Viel Spaß beim Lesen!