Bislang betrieb Tschechien eine fast schon übertrieben freundliche China-Politik. Der Besuch des Senatspräsidenten Miloš Vystrčil Anfang September auf Taiwan hat das geändert.
Nachdem ich mir die Bedingungen für eine Teilnahme an der Reise des Senatspräsidenten Miloš Vystrčil nach Taiwan durchgelesen hatte, sagte ich zu meiner Frau, dass ich eigentlich nicht weiß, ob ich daran als Journalist teilnehmen möchte. Es ging nicht darum, dass ich nach der Reise wie alle anderen rund 90 Teilnehmer keine Chance hätte, in der derzeitigen Machtkonstellation in Peking nach China reisen zu können. Das heutige China entwickelt sich mehr und mehr zu einer abstoßend aggressiven Diktatur, in die ich gar nicht reisen möchte.
Das eigentliche Problem war, dass ich innerhalb einer Woche vor dem Abflug und dann während des Aufenthalts vier PCR-Tests auf COVID-19 absolvieren musste. Wie sich zeigte, erwartete uns bei der Rückkehr aus dem coronafreien Taiwan der fünfte Test in Tschechien, wenn wir nicht 14 Tage in Quarantäne wollten. Dem Amtsschimmel in Tschechien scheint es offenbar auch in Coronazeiten sehr gut zu gehen.
Die für mich wichtigste Anweisung war aber, dass wir den ganzen Aufenthalt auf Taiwan über das Hotel nicht verlassen durften, mit Ausnahme von offiziellen Treffen. Im Hotel durften wir uns auch nur in streng abgegrenzten Räumen aufhalten, und mussten ständig Maske tragen, außer natürlich auf dem eigenen Zimmer, im Schwimmbad und beim Essen. Es war also klar, dass ich von Taiwan nur einen Bruchteil dessen zu sehen bekomme, als sonst möglich.
Letztendlich legte ich die Entscheidung über meine Reise in die Hände der Hygienestationen, deren zwei für mich positiven Negativtests auf COVID-19 dafür sorgten, dass ich am letzten Augustsamstag zusammen mit fast 100 Politikern, Senatsbeamten, Unternehmern und Journalisten ins Flugzeug der taiwanesischen Airline „China Air“ stieg, wo uns hinter Kunststoffvisieren, Schutzmasken, Handschuhen und Brillen sicher sehr hübsche Stewardessen und fesche Stewards empfingen.
Eine Frage staatlicher Souveränität
In den 30 Jahren meiner journalistischen Tätigkeit habe ich einige Auslandsreisen mit Senatspräsidenten oder Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses erlebt. Meistens war an ihnen nur interessant, was außerhalb des offiziellen Programms passierte. Die Reise von Senatspräsident Vystrčil nach Taiwan war von Beginn außergewöhnlich und durch ihren Verlauf und die Auswirkungen wurde sie noch viel außergewöhnlicher. Von Beginn an stand über der Reise eine Art Mysterium, die durch den Tod von Vystrčils Amtsvorgänger Jaroslav Kubera verursacht wurde. Kubera starb kurz nachdem er in der chinesischen Botschaft über seine Reise nach Taiwan verhandelt hatte. Seine Angehörigen sagten später, dass das Treffen mit den chinesischen Diplomaten ganz wesentlich zur Verschlechterung von Kuberas Gesundheitszustand beigetragen habe. Kuberas Witwe sollte ursprünglich selbst mit nach Taiwan fliegen. Kubera erhielt in memoriam eine der höchsten staatlichen Auszeichnungen Taiwans.
Die Art und Weise, wie die chinesischen Botschaft und die Leute um Präsident Miloš Zeman Kubera unverhohlen drohten, machte aus der Reise eine grundlegende Frage über die Abhängigkeit Tschechiens vom chinesischen kommunistischen Regime. Die Abhängigkeit betrifft aber zum Glück nur eine kleine Gruppe ehemaliger und heutiger Politiker und Unternehmer und vor der Coronazeit auch einen Teil der tschechischen Tourismusbranche.
Aus China sind noch nie wesentliche Investitionen nach Tschechien geflossen. Dagegen investieren taiwanesische Unternehmen in Tschechien schon 20 Jahre, beschäftigen in Tschechien zehntausende Menschen und die taiwanesische Firma Foxconn hat Tschechien zur Computermacht Europas aufgebaut.
Deshalb bekam Vystrčil zwar formal kein Einverständnis des Außenministeriums und der Regierung für seine Reise. Aber informell stellte sich niemand außer Präsident Zeman gegen die Reise. China ist Meinungsumfragen zufolge langfristig extrem unbeliebt in Tschechien. Und obwohl Vystrčil Politiker der oppositionellen ODS mit nicht einmal 15 Prozent Umfragewerten ist, unterstützten 40 Prozent Tschechen Umfragen zufolge die Reise.
Wir sind alle Taiwanesen
Die Reise des Senatspräsidenten brachte Tschechien nach langer Zeit mal wieder auf die Titelseiten der Weltmedien. In den meisten Fällen, außer in der chinesischen Presse, reagierte man positiv. Der Senatspräsident hat unter den tschechischen Abgeordneten und Senatoren viele Vorgänger. Aber dass das zweithöchste Staatsoberhaupt eines EU-Staats Taiwan besucht, war nach langer Zeit das erste Mal.
Das demokratische Taiwan kämpft wegen des Drucks aus China mit einer immer größer werdenden diplomatischen Isolation und fühlt sich durch die gewaltsame Beseitigung der Demokratie in Hongkong zunehmend bedroht. Deshalb lösten die Worte von Vystrčil bei seiner Rede im Parlament: „Ich bin ein Taiwanese!“ auf der Insel so große Begeisterung aus und traf in der westlichen Welt auf große Beachtung.
Die Reise Vystrčils kam zu einem günstigen Zeitpunkt, da nicht nur die USA Trumps, sondern die ganze westliche Welt ihre Beziehungen zu der immer aggressiver auftretenden chinesischen Diktatur neu definiert und nachdenkt, wie man Taiwan helfen kann, seine Demokratie zu erhalten. Das wiederum geht nicht ohne Unabhängigkeit von Peking, zumindest so lange nicht, wie dort die kommunistische Milliardärsdiktatur an der Macht ist. Miloš Vystrčil, vor kurzem noch ein unauffälliger tschechischer Politiker aus Iglau (Jihlava), kann also als eine Art Vorbote des demokratischen Westens mit seiner Reise nach Taiwan in die Geschichte eingehen.
Der Autor ist Redakteur der Tageszeitung Deník.