Wer ist die deutsche Minderheit in Tschechien und wo trifft sie sich? Diesmal stellen wir Ihnen das „Haus der deutsch-tschechischen Verständigung“ in Gablonz an der Neiße vor.

Ganz im Norden Tschechiens liegt Gablonz an der Neiße (Jablonec nad Nisou). Dort, im Tal der Lausitzer Neiße (Lužická Nisa), leben über 45.000 Menschen. Die Stadt mit ihrer wechselvollen Geschichte ist heute das Verwaltungs- und Kulturzentrum des Isergebirges (Jizerské Hory). Die ursprüngliche Gemeinde Gablonz bestand bereits im 14. Jahrhundert, wurde jedoch während der Reformationskriege im 15. Jahrhundert zerstört. Erst im 16. Jahrhundert lässt sich eine permanente Neubesiedlung des Stadtgebiets belegen. Damals entstand dort die erste Glashütte. Noch heute ist Gablonz als Zentrum der Glaskunst bekannt und beherbergt ein umfangreiches Museum des Glases und der Bijouterie. Gablonz entwickelte sich stetig zur Metropole der Glaskunst. Der Anschluss an das nahegelegene preußische Schienennetz beförderte die Industrialisierung der gesamten Region zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die aufblühende Stadt zog nach dem Ersten Weltkrieg auch Vertreter der künstlerischen Moderne an. In der Innenstadt kann man die Aufbruchstimmung an eindrucksvollen funktionalistischen und Jugendstil-Bauten erahnen. 1930 lebten in Gablonz etwa 50.000 Menschen, von denen etwa 80 Prozent deutschsprachig waren. Obwohl nach dem Zweiten Weltkrieg viele Einwohner vertrieben wurden, ist die Stadt noch heute ein Zentrum der Deutschen in der Region.

Das Riegerhaus

Nach der politischen Wende in Mitteleuropa in den 1990er Jahren entstand im Gablonzer Stadtteil Reinowitz (Rýnovice) in einem damals vom Abriss bedrohten Umgebindehaus das „Haus der deutsch-tschechischen Verständigung“. Franz Rieger (1908-2006), der gebürtig aus Luxdorf (Lukášov) stammte und nach 1945 aus der damaligen Tschechoslowakei vertrieben wurde, war in Esslingen als Heimatforscher tätig und setzte sich nach der Wende für die Rekonstruktion des Gebäudes ein, das zu den ältesten der Stadt Gablonz zählt. Seit seiner festlichen Einweihung im Jahr 1998 finden in der 120 Quadratmeter umfassenden Galerie acht bis zehn Ausstellungen pro Jahr statt, es gibt Vorträge und Symposien zur tschechisch-deutschen Verständigung. Zudem werden Sprachkurse für Kinder und Erwachsene, Autorenlesungen und Workshops angeboten. Das Riegerhaus will beiderseits der Grenze ein Ort der Begegnung sein und den Menschen die Möglichkeit geben, sich auszutauschen. Nicht zuletzt ist es ein Ziel des Zentrums, den Bürgern der Mehrheitsgesellschaft die Geschichte in der Region bekannter zu machen. Seit 2017 gehört das Riegerhaus zu den von der Landesversammlung der deutschen Vereine geförderten Begegnungszentren.

4000 Besucher im Jahr

„Viele BGZ wurden gleich nach der Wende von oben gegründet, hier war das anders. Meine Eltern haben sich schon immer in der deutschen Minderheit engagiert. Wir haben früher in Reichenberg gewohnt, dort war damals der Kulturverband tätig. Sie und viele andere haben sich bemüht, ein kulturreiches Leben für die deutsche Minderheit zu schaffen“, sagt Petra Laurin, die das Haus der deutsch-tschechischen Verständigung bereits seit seiner Gründung im Jahr 1998 leitet. Jedes Jahr finden etwa 4000 Besucher den Weg ins Riegerhaus, woran nicht zuletzt die Ausstellungen im Riegerhaus einen Anteil haben dürften, die überregional für Aufmerksamkeit sorgen. Ein großer Erfolg war z. B. die Ausstellung über die Schicksale der Deutschen aus dem Isergebirge in den Jahren 1969 bis 1989, die in mehreren Teilen präsentiert wurde. Aktuell – und noch bis zum 25. September – läuft in der Galerie die Ausstellung „Verschwundene Häuser des Isergebirges“ mit Modellen von Radka Pimminger.

Petra Laurin leitet das Haus der deutsch-tschechischen Verständigung seit der Eröff nung 1998. Foto: privat

Petra Laurin leitet das Haus der deutsch-tschechischen Verständigung seit der Eröffnung 1998. Foto: privat

„Uns ist gelungen, dass wir uns der Öffentlichkeit geöffnet haben, was nicht einfach war. Zu uns kommen nicht nur Leute aus der deutschen Minderheit, dem Kulturverband und der Landesversammlung, sondern auch Tschechen, die sich aus verschiedenen Gründen für die deutsche Kultur, Sprache und Geschichte interessieren. Wir machen viele Veranstaltungen, bei denen der Platz des Hauses nicht immer ausreicht. Deswegen planen wir, am Haus anzubauen“, erzählt BGZ-Leiterin Petra Laurin.


Begegnungen - Die deutsche Minderheit in Tschechien (2020). Neugierig geworden? Mehr über das BGZ und die deutsche Minderheit in Gablonz erfahren Sie in der Broschüre „Begegnungen. Die deutsche Minderheit in Tschechien“, erhältlich in den BGZ oder auf Anfrage als elektronische Ausgabe unter redaktion@landesecho.cz

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