Ob London, New York oder Berlin, urbane Gärten sind aus dem Stadtbild vieler westlicher Metropolen nicht mehr wegzudenken. Seit 2012 haben auch Prager die Möglichkeit, in Gemeinschaftsgärten die Enge ihrer Wohnung und den Trubel der Innenstadt hinter sich zu lassen.
Mit einer zunehmend dichteren Besiedlung der Städte ist Wohnraum mit eigener Grünfläche zu einer Seltenheit geworden. Besonders Zugezogene aus dem ländlichen Raum vermissen oft den eigenen Garten. Dazu kommt, dass das Thema Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein in den letzten Jahren eine immer größere Rolle in der Lebensgestaltung vieler Menschen einnimmt. Gemeinschaftsgärten sind nicht nur Orte, an denen eigenes Gemüse angepflanzt werden kann, sondern wo auch Freundschaften fruchtbaren Boden zum Gedeihen finden. Es sind Orte, an denen Menschen aufeinandertreffen, sich austauschen und die Entfremdung der Großstadt überwunden werden kann.
Auch die Stadt Prag ist auf die positiven Effekte der Gemeinschaftsgärten aufmerksam geworden und versucht diese für sich zu nutzen. So ist es keine Seltenheit, dass das Entstehen neuer Grünanlagen auf brach liegenden Flächen in enger Zusammenarbeit mit der jeweiligen Bezirksverwaltung stattfindet.
Gemüse anpflanzen und Freundschaften schließen. Ein Gemeinschaftsgarten kann auch eine „soziale Oase“ sein. Foto: Lara Kauffmann
Prag lebt den Gartentrend
Ein Pionierprojekt im Bereich der urbanen Gartenkultur hier in Prag ist der Gemeinschaftsgarten „Prazelenina“ im Prager Viertel Holešovice. Der Architekt Matěj Petránek und der Cafébetreiber Jiří Novák eröffneten 2012 in einem kleinen Hinterhof, inspiriert durch ein Konzept, das sie in Finnland kennenlernten, den ersten Garten seiner Art in Prag. Circa 120 Menschen pflanzen hier Gemüse an. Neben Beeten, die bepflanzt werden können, lädt ein Café in einem Wohnwagen dazu ein, bei Snacks und einer Erfrischung zu verweilen oder ins Gespräch zu kommen. Vor drei Jahren zog der Garten an den Rand von Holešovice um. Anstatt das Gemüse in Lehmsäcken auf Paletten anzupflanzen, gibt es in unmittelbarer Nähe der Moldau jetzt fest installierte Beete.
Nur kurze Zeit später wurde in Prag-Chodov das ehemalige Gartengrundstück eines Kindergartens umfunktioniert. Obwohl das Gebäude, das mittlerweile Büros der Stadtteilverwaltung beherbergt, nicht mehr als Kindergarten funktioniert, sind hier noch immer regelmäßig Kinder beim ausgelassenen Spielen zu beobachten. Der Grund hierfür ist der Gemeinschaftsgarten „Vidimova“, der sich besonders bei Familien aus der Umgebung großer Beliebtheit erfreut. 2013 rief das soziale Unternehmen KOKOZA (KOmunita („Gemeinschaft“)+ KOmpost+ ZAhrada („Garten“)) den zweiten Gemeinschaftsgarten in Prag ins Leben. Der Trend breitete sich in den letzten Jahren über die ganze Stadt aus, mittlerweile gibt es über 40 Gärten in Prag.
Nachbarn werden zu Freunden
Ziel der beiden Gründerinnen Lucie Lankašová und Kristina Řešátková war es, einen Prototyp zu schaffen, mit dem Interessierte das Konzept kennenlernen können. Sie erhoffen sich, dass Besucher die Idee des Gemeinschaftsgartens, die sie selbst aus Aufenthalten in Berlin und England importiert hatten, übernehmen und an anderen Orten umsetzten würden. Die Community wuchs schnell. Statt der acht Mitglieder im ersten Jahr zählt die Gemeinschaft sieben Jahre später rund 70 Familien, von denen circa 50 ein Individualbeet bepflanzen. An weiteren 15 Orten im Garten gibt es Beete, die gemeinschaftlich genutzt werden.
„Die Leute lieben Tomaten. Das wird am meisten gepflanzt. Außerdem haben wir hier Erdbeeren, Blumen, Kräuter, Zucchini…“, erzählt Anička Černá, Koordinatorin des Gemeinschaftsgartens „Vidimova“. Das Wühlen in der Erde und die Pflege eigener Pflanzen sind jedoch kein Muss, viele Mitglieder genießen einfach nur das soziale Beisammensein. „Der Gemeinschaftsgarten kann für jeden einen anderen Vorteil anbieten. Für manche ist das Kompostieren das Tollste, für andere das Zeitverbringen mit den Kindern, als wäre man im eigenen Garten und wieder andere wollen wirklich Pflanzen und ihre eigenen Erträge ernten“, führt Černá aus.
Anička Černá (rechts) im Gespräch mit Monika und ihrem Sohn. Foto: Lara Kauffmann
Für Jeff aus Washington, D.C. ist es ein Zusammenspiel: Er lebt schon seit einigen Jahren in Tschechien und besucht den Garten regelmäßig mit seinen Kindern. Sein eigenes Gemüse pflanzt er in diesem Jahr zum ersten Mal an und ist mit dem Wachstum seiner Tomaten noch nicht gänzlich zufrieden. Für ihn ist der Gedanke, mit der Natur verbunden zu sein und trotzdem in einer Stadtwohnung zu leben besonders attraktiv. Außerdem schätzt er die Gespräche mit den Anwohnern. „Es wird hier viel über Lokalpolitik gesprochen. Mein Tschechisch reicht nicht aus, um mich täglich auf den neuesten Stand zu bringen. Das hole ich hier nach.“
Der Amerikaner Jeff mit seinen Töchtern. Foto: Lara Kauffmann
Die Tschechin Monika, die bereits seit zwei Jahren während der Saison von April bis Oktober fast täglich hier ist, schätzt es besonders, ihrem Sohn zu demonstrieren, wie der natürliche Anbau von Lebensmitteln abläuft. In dieser Saison widmet sie sich besonders den Kräutern, die sie zu Sirup und Balsam weiterverarbeitet.
Nachhaltigkeit, Gemeinschaft und Inklusion
Neben Blumenbeeten ist auf dem Gelände auch eine Kompostieranlage installiert. Sie dient der Entsorgung von Essensresten und der Herstellung eines geschlossenen Lebensmittelkreislaufs. In Prag landen rund 30 bis 50 Prozent der biologisch abbaubaren Essensreste in den schwarzen Tonnen. Durch das Kompostieren können diese Reste wieder einem natürlichen Zyklus zugeführt werden und zur Wiederbepflanzung dienen. „Ausgehend vom Pflanzen probieren wir zu vermitteln, dass man Kompost benötigt“, erklärt Anička Černá.
Nicht nur Nachhaltigkeit und Gemeinschaft sind zentrale Elemente, auch Inklusion ist ein Aspekt, der in „Vidimova“ einen hohen Stellenwert einnimmt. In einem Schulungsprogramm, das sich an Menschen mit psychischen Erkrankungen richtet, bekommen Menschen aus ganz Prag die Chance, eine Ausbildung zum Hilfsgärtner zu absolvieren. In dieser Zeit werden die fachliche Kompetenz des Gärtnerns sowie ein geregeltes Arbeitsumfeld und Stabilität vermittelt. Nach abgeschlossener Ausbildung besteht die Möglichkeit, in einer Anstellung fester Bestandteil des Gärtnerteams zu werden. Finanziert wird das Programm durch die „Jistota-Stiftung“ (Nadace Jistota). „Ohne Ausbildung ist es schwer, die Arbeit zu machen. Sie brauchen mindestens ein halbes Jahr, um gute Facharbeit leisten zu können“, bemerkt die Koordinatorin des Gartens. Außerdem wird der Garten für Workshops, Grillpartys und Veranstaltungen genutzt. Die Saison wird jedes Jahr mit einem Gartenfest eröffnet und beschlossen.
Das Konzept des Gemeinschaftsgartens eroberte in den letzten Jahren nicht nur Prag, in ganz Tschechien wird man mittlerweile fündig. Lesen Sie hier mehr über einen Gemeinschaftsgarten in Pilsen (Plzeň). Falls auch Sie Interesse haben, sich in einem Gemeinschaftsgarten zu engagieren oder einen Ort suchen, an dem Sie Ihren kompostierbaren Müll entsorgen können, finden Sie hier eine Karte mit Anlaufstellen in Ihrer Nähe.