Anfang Oktober droht bei den Kommunalwahlen in Prag ein Erdrutsch. Einmal mehr.
Prag den Pragern? Der Sozialdemokrat Jakub Landovský wirbt auf seinen Plakaten vor allem damit, dass er in der tschechischen Hauptstadt geboren ist. Gleiches tut der Milliardär Pavel Sehnal. Dumm nur: Den Prager Sozialdemokraten droht beim Wahlgang vom 5. und 6. Oktober einer Umfrage zufolge sogar der Fall unter die Fünfprozenthürde.
Ungleich besser im Rennen um das Amt des Oberbürgermeisters liegt der aus Südostmähren stammende Zdeněk Hřib. Der Manager im Gesundheitswesen tritt als Spitzenkandidat der Piraten an und verspricht den Pragerinnen und Pragern politischen Wandel. Den Piraten verheißt auch eine zweite Erhebung das größte Wählerpotenzial.
Ihr Hauptkonkurrent ist dabei die rechtskonservative Bürgerpartei ODS. Sie möchte den früheren Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda zurück an die Spitze der Stadtregierung bringen. Der Wahlspruch „Prag wählt ODS“ sagt vieles über das Selbstverständnis dieser Partei aus. Sie stellte von 1991 bis 2013 den Prager Oberbürgermeister. Im Jahre 2006 erzielte sie mit 54 Prozent der Stimmen ein Rekordergebnis. Ihr damaliges Stadtoberhaupt Pavel Bem mutierte aber bald zum Inbegriff von Korruption und Klientelismus. Bei den folgenden Wahlen wurde die ODS von der neugegründeten liberal-konservativen Partei Top 09 überflügelt. Durch einen überraschenden Deal mit den Sozialdemokraten machte sie den Gynäkologen Svoboda trotzdem zum Oberbürgermeister. Dann putschte die Top 09 und regierte bis zum Ende der Wahlperiode mit den Sozialdemokraten.
Nach den peinlichen Ränkespielen setzte die Bevölkerung ein Stoppsignal. 2014 übernahm die ANO-Partei des heutigen Premierministers Andrej Babiš im Bündnis mit mehreren Mitte-Links-Parteien. Die ODS stürzte auf 11 Prozent Wähleranteil ab. Da die Stadtregierung unter der ANO-OB Adriana Krnáčová aber eine sehr schlechte Figur machte, hofft die Bürgerpartei wieder. Ihr Auftreten und der bereits 74-jährige Spitzenkandidat machen den Eindruck: Zurück in die Vergangenheit sollte es gehen.
Eine Million Bäume
Die Piraten haben derweil eine konkretere Vorstellung des Wandels. Grüner sollte die Stadt werden. Im Rahmen der globalen „One Million Tree Initiative“ wollen sie in Prag eine Million Bäume pflanzen. Bei dieser symbolischen Maßnahme soll es nicht bleiben: Der in der tschechischen Hauptstadt chronischen Verkehrsüberlastung wollen sie mit einer Ruhezone in der Innenstadt, einem ausgebauten öffentlichen Nahverkehr und neuen Radwegen begegnen. Gerade der Fahrradverkehr war in Prag bisher ein Stiefkind: Der zentrale Stadtbezirk erließ im Mai dieses Jahres sogar ein Radl-Verbot.
Mit einem fast identischen Programm tritt das Wahlbündnis „Praha Sobě“ (Prag selbst)an. Es wird von Jan Čižinský, dem Bezirksbürgermeister des einstigen Arbeiterviertels Holešovice, angeführt. Neben der ökologischen Agenda hat der Straßenbau aber ein etwas stärkeres Gewicht als bei den Piraten. An einer Podiumsdiskussion sagte Čižinský, dass man Radfahrer, Fußgänger und Automobilisten nicht gegeneinander ausspielen dürfe. Darüber hinaus setzt sich Praha Sobě für einen schnelleres und verdichtetes Bauen ein. Knapper Wohnraum und hohe Mieten machen der Stadtbevölkerung in den letzten Jahren immer mehr zu schaffen. Vor einer Mietpreisbremse wie in Deutschland schrecken jedoch sowohl Praha Sobě als auch die Piraten zurück.
Gefangen im eigenen Mikrokosmos
Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Gruppierungen liegen nicht im beiderseits auf die urbane Mittelklasse ausgerichteten Programm, sondern in ihren Wurzeln: Die Piraten waren eine außerparlamentarische Splitterpartei. Bei den Parlamentswahlen im letzten Jahr schafften sie aber den Einzug in das tschechische Abgeordnetenhaus und weisen weiter sehr gute Umfragewerte auf. Laut dem Wochenmagazin Respekt sind sie von der Überzeugung beseelt, dass alle anderen Parteien tiefgreifend korrumpiert sind. Für diese These gibt der Prager Spitzenkandidat Zdeněk Hřib lebhaften Anschauungsunterricht: Dass er als Ziel die absolute Mehrheit für die Piraten ausgibt, mag man ihm als Dampfplauderei durchgehen lassen. Sektiererisch wirkt hingegen seine Abgrenzeritis gegenüber politisch nahestehenden Kräften.
Die Tücken der Partnersuche
Allem zur Schau gestellten Selbstbewußtsein zum Trotz: Die neuen Kräfte, die mit guten Gründen auf ein starkes Ergebnis hoffen, brauchen zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen politische Partner.
Da bietet sich das Bündnis aus Top 09, Starostové (Bürgermeister) und Christdemokraten an. Es wird von proeuropäischen Mitte-Rechts-Parteien getragen. Es wäre überraschend, wenn der Top 09-Kandidat Jiří Pospíšil neuer Oberbürgermeister wird. Die Partei hat ihren Ruf als Sprachrohr der Hauptstadt eingebüßt. Doch ein politischer Faktor dürfte sie im Verbund mit ihren Partnern bleiben. Falls Piraten und Praha Sobě eine Kooperation verweigern, würden sie den ganzen Umbruch gefährden. Ob es noch weitere Koalitionspartner braucht, hängt davon ab, wer in das Stadtparlament einzieht: Die Grünen politisieren in der linken Mitte und wären für die neuen Kräfte die logische Wahl. Die Prager Sozialdemokraten wären in der Stadtregierung wohl ebenso pflegeleicht wie auf nationaler Ebene im Bündnis mit Andrej Babiš, genießen jedoch einen schlechten Ruf.
Der Basis der neuen Kräfte noch schwerer zu vermitteln wäre ein Bündnis mit der ODS. Dabei geht es nicht nur um die Korruptionsskandale der einst stolzen Partei. Auch politisch wäre es eine Gratwanderung.
Bleibt noch die ANO-Partei von Premierminister Babiš: Sie setzte mit Petr Stuchlík einen neuen Erfüllungsgehilfen des Milliardärs an die Spitze der Prager Kandidaten. Im Hinblick auf die nationale Politik dürfte eine Koalition mit ihr in Prag aber auf mehr Unwillen stoßen, als dies vor vier Jahren der Fall war.
Bleibt das vom Spitzenpiraten Zdeněk Hřib herbeigeredete Schreckgespenst einer Koalition von ANO und ODS. Seine Aussagen über „geheime Absprachen“ sind nicht belegt. Und die anderen Kräfte haben noch Zeit, mit einem engagierten Wahlkampffinale ein solches Bündnis zu verhindern. Alles andere wird man Anfang Oktober wissen.
Der vollständige Artikel erschien auf dem Pragerblog von Niklas Zimmermann.