Mit Harke und Handschuhen legen Freiwillige alte deutsche Friedhöfe in Tschechien frei.

Rauch zieht über den Friedhof. Es ist kein düsterer Nebel, der unheimlich macht. Sondern einer, der die Vergangenheit freilegt. Zehn Menschen, jung, alt, deutsch, tschechisch, befreien den Friedhof von Schaab (Pšov) von wuchernden Pflanzen und verbrennen die Reste in mehreren Feuern. „Jetzt ist der Friedhof schon wiederzuerkennen“, sagt Jakub Děd vom tschechischen Verein Omnium, der das Workcamp organisiert. Als er vor anderthalb Jahren zufällig auf den Friedhof stieß, sah das noch völlig anders aus. Der Gottesacker war völlig zugewachsen von Bäumen, Sträuchern und der klassischen Friedhofspflanze Efeu. „Wir hatten damals begonnen, die Friedhöfe in der Region um Podersam (Podbořany) zu dokumentieren, aber dieser war auf keiner Karte mehr verzeichnet“, sagt Děd. Ihn hatte eigentlich nur das verdächtige dunkelgrüne Viereck auf einer Karte hergeführt. Von der Straße nicht sichtbar und nur über einen buckligen Feldweg erreichbar erwies sich sein Riecher als richtig. „Wir haben die Menschen im Ort gefragt. Die kannten ihn nicht. Und als wir den Bürgermeister von Podersam kontaktierten, ob wir den Friedhof wieder herrichten dürfen, wusste er auch nicht, wovon wir sprechen“, erinnert sich Děd. Der Bürgermeister schien froh und überließ ihnen den Friedhof für 20 Jahre zur Miete. „Seitdem veranstalten wir die Workcamps. Dieser ist schon der dritte.“ So einfach läuft es übrigens nicht immer, wie Děd mit leichtem Schmunzeln erzählt: „In einem anderen Ort dachten sie, wie wollen an Stelle des Friedhofs eine Tankstelle errichten.“

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Sinnloser Vandalismus

Einst fanden auf dem Friedhof die Einwohner des nahen Schaab ihre letzte Ruhe. Auf den Grabsteinen und was von ihnen übrig blieb, finden sich ausschließlich deutsche Namen. Als die Deutschen 1945 vertrieben wurden, wurde der Friedhof nicht mehr gebraucht. Einige hundert Meter weiter befindet sich noch ein zweiter, wo bis heute beerdigt wird. „Dort kommt man auf der Straße direkt ran, hier nicht“, nennt Děd einen Grund für die Aufgabe des Friedhofs. Der zweite ist, dass die Neubesiedlung durch Tschechen nur bedingt erfolgreich war. Der Landstrich um Podersam gehört zu den am dünnsten besiedelten Tschechiens. Schaab wird seit 1981 von Podersam aus verwaltet. Vor 1945 lebten in dem Dorf noch über 300 Einwohner. Inzwischen sind es nur noch etwas mehr als 50. Durch den Ort führt die viel befahrene Fernstraße von Brüx (Most) nach Pilsen (Plzeň). Im Ortskern verfällt die spätbarocke Kirche zum Heiligen Kreuz. Eines der wenigen sanierten Gebäude ist der Jugendwerkhof. „Die Jugendlichen nutzen den Friedhof manchmal als heimlichen Treffpunkt“, sagt Jakub Děd. Die waren es aber nicht, die den Friedhof so zerstörten. Es gibt fast keinen Grabstein mehr, der noch steht, Grabplatten sind zerschlagen und viele Gruften wurden geöffnet, so dass man acht geben muss, nicht reinzufallen. Viele Grabsteine wurden auch achtlos über die ebenfalls zerstörte Mauer geworfen. Was das für einen Sinn hat, erschließt sich Jakub Děd nicht. „Dass der Friedhof so versteckt ist, hat ihm nicht geholfen. Zwar war er schwer zu finden, aber wenn dann einer sich hier ausgelassen hat, gab es niemand, der das bemerkt hätte“, bedauert er.

Aus Sicht des tschechischen Staates vollbringt der Verein Omnium eine Arbeit, die keinen Sinn hat, weshalb die finanzielle Unterstützung gering ausfällt. Ded sieht das völlig anders: „Eigentlich wäre das Aufgabe des Staates.“ Ziel des Vereins ist, „aus dem Friedhof wieder einen pietätvollen Ort zu machen.“ Dafür wird Omnium zur Hälfte vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds unterstützt, die andere Hälfte trägt Omnium aus Eigenmitteln. Der Verein kümmert sich schon länger um das deutsche Erbe in Tschechien. Es begann mit der Restaurierung von Kirchen und setzte sich in eine breit angelegte Tätigkeit fort, die aus Denkmal-Konferenzen, Benefizkonzerten und eben solchen Workcamps besteht.

Seit neun Uhr schwingt Fred Hofmann schon die Harke. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn. An diesen drei Tagen Ende April konzentrieren sich die Arbeiten auf die Beseitigung von Pflanzen in der Krautschicht durch Harken und Mähen sowie die Befreiung der Umgebung der Friedhofsmauer von wild wachsenden Bäumen. Jetzt steht Hofmann stolz neben einem Grab. „Hier ruhet in Gott Josef Schubert“ steht auf dem Grabstein. Der Name ist teils nicht mehr zu erkennen, wie das Wort danach. Die in den Grabstein eingelassene Grabplatte ist in der Mitte zersplittert. Den Grabstein hat Hofmann an den Sockel gelehnt. „Eigentlich gehört er auf den Sockel, aber so sieht es wenigstens schon etwas würdiger aus.“ Hofmann kam auf einen Bericht in der Tageszeitung hin nach Schaab. „Ich interessiere mich für die Geschichte vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg. Außerdem lerne ich gern neue Menschen kennen“, begründet der 71-jährige aus Großschönau seine Teilnahme. Unter den elf Teilnehmern ist er der einzige Deutsche. Wenn man von Zuzana Finger absieht, die eigentlich gebürtige Slowakin ist, aber schon lange in Deutschland lebt und in München als Sudetendeutsche Heimatpflegerin arbeitet. Sie veranstaltet das Workcamp zusammen mit Omnium und ist Ansprechpartnerin für die Nachfahren jener, die einst auf dem Friedhof begraben wurden. „Doch unsere Mitglieder sind meist in einem Alter, in dem solch schwere körperliche Arbeit nicht mehr möglich ist“, sagt sie. Dazu kommt die weite Anreise. Bei einem anderen Friedhofsprojekt bei Roßhaupt (Rozvadov) in Westböhmen nahe der Grenze zu Bayern konnte sie deutlich mehr Teilnehmer gewinnen.

Suche nach den Vorfahrenomnium2

Dafür kommen aber Tschechen wie Kateřina Pfeiferová. Sie wohnt gleich in der Nähe, hat sich extra Urlaub genommen und ist von Beginn an dabei und auch sie ist Nachfahrin einer hier Begrabenen. „Ich suche meine Ururgroßmutter“, sagt die junge Frau, wobei nicht ganz klar ist, wieviele „Ur“ gemeint sind. „Ich weiß, dass sie 1867 hier beerdigt wurde, mein Großvater hat das Grab noch gepflegt.“ Der ist aber 2006 gestorben. Pfeiferová begann vor sieben Jahren die Geschichte ihrer Familie zu erforschen. Ihr Großvater war der einzige, der von seiner Familie nicht vertrieben wurde. „1945 versteckte er sich. Er hatte Angst, er war in der Wehrmacht. Später durfte er dann bleiben. Er hatte auch eine slowakische Frau.“ Deutsche in Mischehen hatten eher die Chance zu bleiben. Kateřina Pfeiferová spricht zwar selbst kein Deutsch. „Der Großvater wollte, dass ich keine Probleme bekomme“, sagt sie. Aber sie ist „stolz, deutsche Vorfahren zu haben.“ Und die Zeiten haben sich auch geändert. „Eine Minderheit sieht das vielleicht noch anders, aber inzwischen ist doch allgemein anerkannt, dass die Deutschen diese Region geformt haben.“

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Die Hoffnung, dass sie das Grab findet, hat sie nicht aufgegeben, auch wenn schon jetzt zu sehen ist, dass nur ein überschaubarer Teil der Gräber den Vandalismus überlebt haben. „Immerhin, das Grab der Familie Slama konnten wir schon sichern. Das waren auch Verwandte von uns“, freut sie sich. Jakub Děd macht ihr für das Grab ihrer Vorfahrin Hoffnung: „Nicht wenige Gräber sind vom Erdreich bedeckt“, weiß er. Das abzutragen und vor allem die verbliebenen Gräber wieder herzurichten wird jedoch die Arbeit vieler weiterer Workcamps. „Es gibt noch viel zu tun“, sagt Děd und meint damit nicht nur diesen Friedhof. „Die Sudetengebiete sind spezifisch. Friedhöfe wie dieser keine Seltenheit. Aber auch im böhmischen Kernland sieht es oft nicht besser aus.“ Der Verein Omnium konzentriert sich aber auf die Sudetengebiete. In diesem Jahr stehen noch vier weitere Workcamps auf dem Programm. Dann wird auch Fred Hofmann wieder dabei sein. „Ich komme wieder und bringe noch jemand mit“, verspricht er.

Die nächsten Workcamps im Jahr 2019

  • 13.-15. Juni, Kirchen in Neuhäusl (Nové Domky) und Neuzedlisch (Nové Sedliště)
  • 08.-10. August, Kirche und Friedhof in Merkelsdorf (Zdoňov) bei Adersbach (Adršpach)
  • 19.-21. September, Friedhof und Kapelle in Schönwiese (Krásné Loučky), Umgebung der St.-Anna-Kapelle im ehemaligen Pilgersdorf (Pelhřimov) bei Schlesische Roßwald (Slezské Rudoltice)

Kontakt über www.omniumos.cz oder die Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, Dr. Zuzana Finger.

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