Steigende Strom- und Gaspreise versetzen die Menschen in Tschechien in Sorge. Sie fürchten einen kalten Winter. Premier Babiš kämpft für die Verbraucher.
So etwas hat es in der Geschichte Tschechiens noch nie gegeben: Die große Prager Zeitung „Lidové noviny“ appelliert zu Wochenbeginn an ihre Leser, die Heizungen zu drosseln. „Kein Mensch braucht 25 Grad in der Wohnung. Fünf Grad weniger reichen auch.“ Das auflagenstärkste seriöse Blatt „Mladá fronta dnes“ zitierte am Wochenende auf Seite 1 eine Verbraucherin mit den Worten: „Statt 7.500 Kronen (300 Euro) monatlicher Vorauszahlung soll ich jetzt 20.500 Kronen (820 Euro) hinterlegen. Dabei habe ich jetzt schon für meine drei Kinder und mich nicht genügend Geld fürs Essen.“
Im Nachbarland macht sich so etwas wie Panik breit angesichts massiv steigender Gas- und Strompreise. Begonnen hatte das große Bibbern vor dem womöglich richtigen Bibbern im Winter, als vor ein paar Tagen ein größerer und in der Folge mehrere kleinere Energieversorger ihren Betrieb einstellen mussten. Davon betroffen sind rund eine Million Abnehmer. Die Unternehmen hatten ewig mit dauerhaft niedrigen Preisen Werbung für sich gemacht und konnten somit schlechterdings ihre Lieferungen entsprechend den Marktpreisen heftig verteuern.
„Weihnachtsgeschenke wird es kaum geben können“
Die von der Schließung betroffenen Verbraucher sind jetzt zunächst einmal übergangsweise auf einen Energielieferer mit dem in diesem Zusammenhang tatsächlich bizarren Namen „Zur letzten Instanz“ angewiesen, bis sie bei anderen Unternehmen wie ČEZ oder E.ON unterschlüpfen können. Für zumindest zwei Monate werden die Menschen von der „Letzten Instanz“ drastisch zur Kasse gebeten.
Und preisgünstiger wird es bei den neuen Lieferern wegen der gewaltig wachsenden Nachfrage auch nicht werden. Der Chef des halbstaatlichen Energieunternehmens ČEZ, Daniel Beneš, beispielsweise rechnet damit, dass sich die Strompreise noch um ein Drittel erhöhen und die Gaspreise um bis zu 60 Prozent ansteigen werden. „Weihnachtsgeschenke für die Kinder und Enkel“, so heißt es vor allem unter den finanziell nicht auf Rosen gebetteten tschechischen Rentnern, „wird es dieses Jahr wohl kaum geben können“.
Babiš versucht, die Tschechen zu beruhigen
Der scheidende Regierungschef Andrej Babiš sucht die Leute, so es geht, irgendwie zu beruhigen. „Wir werden den Menschen so helfen, dass sie die Steigerung der Strompreise praktisch nicht spüren werden“, versprach er. Und er kündigte unter anderem an, die Mehrwertsteuer für alle Energiearten von 21 Prozent auf Null zu senken. „Das ist die einfachste Lösung, die die Leute auch gleich auf ihrer monatlichen Rechnung sehen werden“, sagte Babiš.
Die Regierung hat diese Senkung nicht nur für die verbleibenden zwei Monate des Jahres beschlossen, sondern auch für das komplette kommende Jahr. Dem Beschluss der Regierung fehlt freilich noch die Zustimmung des Parlaments. Das bisherige hat jedoch nach den Wahlen Anfang Oktober keine Macht mehr. Und das neue Parlament muss sich am 8. November erst einmal konstituieren. Dort herrschen dann andere Machtverhältnisse. Und die Wahlsieger über Babiš haben ernste Bedenken gegen die Mehrwertsteuersenkung auf Null, weil die mit der EU nicht so einfach zu haben sein werde. Und mit der wolle man sich nicht anlegen.
Kritik Tschechiens an der Energiewende in Deutschland
Eingedenk dessen hat der scheidende Regierungschef Babiš den kürzlichen EU-Gipfel genutzt, um eine Lösung für die tschechischen Verbraucher zu erzielen. Das Projekt der Mehrwertsteuersenkung erwähnte er dabei aber vorsichtshalber nicht. Er biss sich an den stetig wachsenden Preisen für die CO2-Emissionen fest, die massiv zur Energieverteuerung beigetragen hätten. In der vierstündigen Debatte der Staats- und Regierungschefs nahm er eigenen Angaben zufolge „bis zu 15 Mal“ das Wort, um seine Kollegen aufzurütteln. Immerhin erreichte er dabei, dass die EU-Kommission sich dem Problem der CO2-Emissionen neuerlich widmen wird. Bis Mitte November soll sie zu Ergebnissen kommen. Babiš verlangt ein „Ende der Spekulationen“ mit den CO2-Emissionen. Die dürften nur für die Firmen gelten, die dazu verpflichtet seien, weil sie mehr als normal die Umwelt belasteten.
Im Hintergrund steht bei all dem die generelle Kritik Tschechiens an der Energiewende in Deutschland und an den aus Prager Sicht „völlig überdimensionierten Klimazielen“ der EU. Tschechien besteht darauf, dass der europäische Klimakampf nur unter Heranziehung auch der Kernenergie zu gewinnen ist. Die EU müsse Atomkraftwerke unterstützen, weil sie eine „klimaneutrale und verlässliche Energiequelle“ seien.
Das Thema dürfte die EU im kommenden Jahr angesichts der Energiepreisexplosion weiter beschäftigen. Aber auch deshalb, weil der EU-Ratsvorsitz im Januar von Slowenien zuerst auf Frankreich und dann auf Tschechien übergeht. In Paris und Prag tickt man in Sachen Kernenergie sehr ähnlich.