Unsere WanderBloggerin trifft auf den Baum ihrer Träume, welcher sie zum Nachdenken über das Leben und die Menschheit bringt.
Irgendwann würde es passieren, ich wusste es. Dieses Risiko besteht bei jedem Wanderer. Bei all den Kilometern, die ich bislang schon in Tschechiens Natur zurückgelegt habe. Bei all den Wäldern, durch die ich gestreift bin.
Was war passiert? Es war ein perfekter Herbsttag, an dem die Bäume und ihre Blätter voll zur Geltung kommen. Da geht jedem Wanderer schon das Herz auf, wenn er nur die Nase aus der Haustür streckt. Ich machte mich mit herbstlichen Gefühlen auf nach Beneschau (Benešov), wo ein wahres Juwel Tschechiens versteckt liegt: das Schloss Konopischt (Konopiště).
Um zu ihm zu gelangen, muss man aus Beneschau raus, läuft durch ein paar Vorgärten und dann steht man vor dem Schlosspark. Und ja, dieser hat es einfach in sich: Er beinhaltet die edelsten Bäume, die man sich als Wanderer nur wünschen kann. Bei fast jedem Baum blieb ich stehen und bewunderte seine Rinde, Äste und Krone.
Ich war noch nicht mal beim Schloss angekommen und schon hatte ich über eine Stunde gebraucht… Und als ich gerade wieder an Tempo aufnehmen wollte, da entdeckte ich ihn. Einen einzelnen Baum, versteckt hinter einer Reihe von anderen, die sich auf einer kleinen Lichtung drängten. Er hatte es geschafft, sich durch seinen Standort von den anderen ein bisschen abzusetzen und genoss dadurch mehr Sonnenschein. Ein cleverer Kerl!
Seine Aura nahm mich sofort gefangen und seine Anmut war faszinierend. Wie er so still da stand. Konnte ein Baum so schön sein? Mein Herz schmerzte, als mir klar wurde, dass uns beide etwas Entscheidendes trennte. Er hatte Wurzeln und war gebunden, ich stand hier mit meinen Wanderschuhen, die eindeutig sagten: Lass uns doch weitergehen! Dieses Gefühl der Verbundenheit mit der Natur – es ist uns, dem Homo sedens, dem sitzenden Menschen, mittlerweile abhandengekommen. Und hier war es auf einmal vor meinen Füßen.
Für ein paar Minuten stand ich da. Dann kamen Leute vorbei, ich riss mich ruckartig zusammen und stapfte weiter: zum Schloss und seinem Bärengehege. Ich musste meinen heutigen Plan umsetzen und die Tour weitergehen.
Ich flanierte entlang des Schlossteiches und steuerte nach Chvojen, wo früher eine Keltensiedlung auf einem Hügel gelegen hat und wo nun eine hübsche Kirche steht. Mit dem Gong zur Mittagszeit erreichte ich sie und ließ den Blick über das umliegende Land schweifen.
Es war fast schon zu heiß für den Herbst und so machte ich mich auf den Rückweg zum Schloss. Dabei kreisten meine Gedanken wieder um den einen Baum und ich war mit der Frage nach dem Sinn des Seins beschäftigt.
Im Schlosspark angekommen, besuchte ich den Rosengarten, nahm mein Essen zu mir und dachte nach. Schließlich stand ich entschlossen auf, begab mich auf den gleichen Weg durch den Park wie auf dem Hinweg, winkte meinem Baum zu und lief dann immer schneller, ohne mich umzuschauen, bis zum Bahnhof.
Jeder Wanderer haftet für sich selbst, wenn er diesen Park voller Bäume betritt – es könnte sein, dass man nicht mehr zurück in die Zivilisation möchte!
Streckendaten:
Startpunkt: Bahnhof Beneschau (Benešov)
Distanz: 12 km
Höhenmeter: 140 m
Laufzeit: 3 h
Wegpunkte: Benešov, Zámek Konopiště, Žofiin most, Chvojen, Zámek Konopiště, Růžová zahrada, Benešov Bhf.
Anreise: mit dem Zug aus Pilsen
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