Der Künstler und Verleger Ivan Mečl rettet eine ehemalige Zwirnfabrik im Schluckenauer Zipfel und bringt Kunst aufs Land.
„Kann ich nebenbei arbeiten?“, fragt Ivan Mečl zur Begrüßung. Wer den Mann mit dem dichten Lockenhaar nicht kennt, würde ihn für den Handwerker halten. Während des Gesprächs bereitet er Dutzende große Fensterflügel für den zweiten Anstrich vor. Dann können sie endlich mit Scheiben versehen als zweite Fenster eingesetzt werden. Nach außen hat die ehemalige Zwirnglanzfabrik in Kyjov (Khaa) am Rande der Böhmischen Schweiz noch die historischen Industriefenster, die Mečl und seine Unterstützer bereits hergerichtet haben.
Doch Ivan Mečl ist hier der Eigentümer und baut an seinem Paradies, wie er es nennt. Erbaut wurde die Zwirnfabrik vor über 100 Jahren von Robert Salomon, einem Stoffhändler. Die ganze Region war geprägt von der Textilindustrie. Salomon fand in dem kleinen Dorf Fachkräfte, Platz und Wasser. Direkt an der Kirnitzsch, die hier Křinice heißt, zog er mehrere Gebäude hoch. „Geblieben ist nur das große mit dem Turm“, sagt Mečl, der gern mehr über Salomon wüsste und die alten Baupläne hätte. „Wir wollen den alten Zustand so originalgetreu wie möglich wiederherstellen“, erzählt Mečl.
Regionales im Dorfcafé
Aus der Fabrik soll ein künstlerisches Zentrum aus Galerie, Ateliers, Druckerei, Verlag, Kino und Café werden. Geplant ist auch ein Wintergarten und ein Park. Und alles möglichst klima- und abfallneutral. Der Nutzung sind keine Grenzen gesetzt. Ausstellungen gibt es schon jetzt, auch das Café läuft bereits im benachbarten ehemaligen Dorfkonsum. Stilecht eingerichtet mit alten Bahnwaggonsitzen, kommt man sich wie in einem Berliner oder Prager Café vor. Serviert werden vor allem regionale Lebensmittel. Gelegentlich findet in den noch nackten Räumen der Fabrik ein Yoga-Kurs statt, wenn er wegen Schlechtwetter nicht wie geplant auf dem Dach laufen konnte.
Vor über 100 Jahren erbaut, steht heute noch das Hauptgebäude der Fabrik mit dem markanten Turm. Foto: Steffen Neumann
Für Mečl beginnt die Perle (Perla), wie er sein Kunstprojekt „am Ende der Welt“ getauft hat, nicht erst nach der Fertigstellung. Kaum wurde nach Corona wieder gelockert, veranstaltete er schon das erste Festival und kürzlich lud er zu einem „Ausflug im Kostüm und ohne Proviant“ in die Böhmische Schweiz ein. Am kommenden Samstag findet das von ihm etablierte Festival nackter Formen (SudetenFNAF) statt. Zwischendurch legt er selbst Hand an, wenn nötig auch als Bedienung im Café.
Zu beschreiben, was Ivan Mečl ist, fällt schwer: In erster Linie ist er Verleger in seinem Verlag Divus, dazu Kurator, Künstler, Eventorganisator, aber eben auch Handwerker. Vor allem aber ist er ein unabhängiger Geist. Die etwas mehr als 50 Jahre sieht man ihm nicht an. Wer sich in so ein Abenteuer stürzt, muss jung geblieben sein. „Ich entdeckte die Fabrik im Herbst 2017. Da war sie völlig heruntergekommen“, erzählt er. Das Geld für den Kauf borgte er sich von Freunden. Anfangs kochten sie draußen auf einer aus Ziegeln gebauten Kochstelle und wuschen sich in der Kirnitzsch.
Bloß keine Nachbarn
Inzwischen hat er über dem Café Zimmer ausgebaut. Dahinter wachsen in einem Garten Gemüse und Kräuter. Wer daraus schließt, dass Mečl möglichst unabhängig sein möchte, liegt richtig. „Ich suchte in ganz Tschechien“, erzählt er, wie er zur Zwirnfabrik kam. Sein Wunschobjekt musste drei Bedingungen erfüllen: Es sollte sich in der Natur befinden, ein ikonischer Bau sein und keine Nachbarn haben.
Es ist nicht das erste Objekt, das Mečl wieder herrichtet. Erst war es ein verfallener Jugendstilbahnhof in Prag. Er investierte viel Geld in architektonische Studien, bis die Tschechische Eisenbahn vom Mietvertrag zurücktrat. Dann belebte er eine Etage eines riesigen Gebäudes der Prager Verkehrsbetriebe mit Kunst. Zuletzt baute er ein altes Papierwerk in Vrané südlich von Prag aus, bis ihn der Vermieter mit einer saftigen Mieterhöhung konfrontierte.
Seitdem war klar, das nächste Objekt selbst zu kaufen, auch wenn er es sich eigentlich nicht leisten konnte. „Im Moment ist das Geld erstmal alle und die Kredite wollen zurückgezahlt sein“, sagt er. Er hofft auf die Vermietung der Ateliers und dass das Café bald mehr Geld abwirft. Immerhin, vor allem Radtouristen freuen sich über die Einkehr, auch mangels Alternativen in Kyjov.
Geöffnet bis zum Tod, steht auf der Tafel am Café. Foto: Steffen Neumann
Und auch wenn er keine direkten Nachbarn mag, sein Projekt lebt von der Gemeinschaft. Immer wieder kommen Helfer und arbeiten mit. „Hier gibt es immer was zu tun“, lädt Mečl zum Mitmachen ein. Auch im Dorf hat er schon viele Fans. Einer ist der Biobauer Miroslav Faflák. Ihm gefällt, was Mečl macht. „Wir helfen uns gegenseitig“, erzählt er. Er borgt Mečl seine Maschinen und bekommt Material, das Mečl nicht mehr braucht.
Doch ausgerechnet mit der Stadt Krásná Lípa (Schönlinde), zu der Kyjov gehört, liegt Mečl über Kreuz. Die möchte auf der Wiese gegenüber der alten Fabrik einen Parkplatz bauen, um den Tourismus zu unterstützen. Doch die Wiese ist ein einzigartiger Feuchtbiotop. „So was in Zeiten der Trockenheit zu beseitigen, ist ein Unding“, sagt Mečl. Auch wenn ihn der Konflikt mit der Stadt viel Zeit und Geld kostet, entschloss er sich dagegen zu kämpfen.
Der Konflikt stimmt ihn aber nachdenklich. „Eigentlich gefällt allen, die nichts mit der Stadtführung zu tun haben, was wir machen“, weiß er. Kürzlich war er in Bischofswerda bei einem ähnlichen Projekt. „Dort kommt Unterstützung von der Stadt, uns legt man Steine in den Weg“, musst er feststellen.
Doch bremsen wird ihn das nicht. „Geöffnet bis zum Tod“, steht auf einer Tafel am Café und das scheint Programm: Mečl ist gekommen, um zu bleiben.
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