Nach der Wiedereröffnung vor 30 Jahren ist die Strecke nun offenbar „klinisch tot“.
Auf dem Schienenweg von Tetschen-Bodenbach (Děčín Podmokly) nach Rumburg (Rumburk) machen wir Station am Bahnhof Tannenberg (Jedlová). Mitten im Wald empfängt uns eine urige Bahnhofswirtschaft zur Rast, die von Wandersleuten rege genutzt wird. Der nächste Zug kommt von Böhmisch Leipa (Česká Lípa). Von hier aus benutzen beide Linien dasselbe Gleis nordwärts gen Teichstatt (Rybniště), Schönlinde (Krásná Lípa) und Rumburg. Im Januar 1869 hatte die „Gesellschaft der K. u. k. privilegierten Böhmischen Nordbahn“ (BNB) gleichzeitig die Bahnstrecken Backofen an der Iser (Bakov nad Jizerou) – Rumburg sowie Bodenbach – Warnsdorf (Varnsdorf) eröffnet. Monate später verlängerte die BNB die Strecke über den Bahnhof Rumburg hinaus bis zur Chaussee nach (Neu-)Gersdorf. Unterdessen tobte wenige Kilometer weiter nördlich, in Sachsen, noch ein erbitterter Streit über die beste Fortsetzung der Strecke aus dem böhmischen Becken. Letzten Endes fiel die Entscheidung auf die Streckenführung über die Georgswalder Flur nach Ebersbach, wo in einem Gemeinschaftsbahnhof der Böhmischen Nordbahn und der Königlich Sächsischen Staatseisenbahn gleichzeitig eine Verknüpfung mit der Südlausitzer Eisenbahn (Zittau – Wilthen) sowie in Richtung Löbau hergestellt werden konnte. Der gemeinsame Bahnhof lag fast vollständig in Sachsen, erhielt aber trotzdem den Namen Georgswalde (Jiříkov)-Ebersbach, der Name des Städtchens jenseits der Grenze vorangestellt.
Große Pläne für den neuen Bahnhof Georgswalde
Der Eisenbahngrenzübergang diente vor allem dem Transport preisgünstiger Braunkohle aus dem Teplitzer Revier in die Industriestädte der südlichen Oberlausitz. In die Gegenrichtung blieb der Güterverkehr eher bescheiden, da wegen hoher Importzölle und geringer Kaufkraft die sächsischen Fertigprodukte jenseits der Grenze meist unbezahlbar blieben. Im Reiseverkehr wurde die Bahnstrecke Georgswalde-Ebersbach – Rumburg so gut angenommen, dass um die Jahrhundertwende durchgehende Wagenläufe bis nach Wien angeboten wurden. Die lokale Bevölkerung profitierte von günstigen Verbindungen ins Lausitzer Gebirge, worin insbesondere der Bahnhof Tannenberg (Jedlová) seinen noch immer sehr guten Ruf als Einkehrort für Ausflügler begründet.
Eine erste Zäsur erlebte der Verkehr mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik 1918. Nach kurzzeitiger Grenzschließung mussten sich die Bewohner südlich der Staatsgrenze daran gewöhnen, dass nunmehr die tschechische Sprache an erster Stelle stand. Ab 1927 verkehrten Bauxit-Züge aus Ungarn nach Schwarzkollm via Grenzübergang Ebersbach. Diese Transporte sollten bis 1990 eine Stammleistung bleiben. In den 1930er Jahren wurde das Bahnhofsareal von Ebersbach erweitert, wobei allerdings nicht alle Pläne umgesetzt wurden. Zeitgleich errichtete die Tschechoslowakische Staatsbahn den Bahnhof Jiříkov (Georgswalde) unmittelbar jenseits der Staatsgrenze. Mit dem Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich verlor dieser Bahnhof seinen Personenverkehr zugunsten von Ebersbach zunächst wieder. Zugleich wurde der Bahnhofsname Ebersbach (Sa.), Georgswalde war 1918 entfallen, wieder um den Namen der Nachbarstadt erweitert – nun allerdings an zweiter Stelle.
Als Gast der „Löbauer Maschinenhaustage“ kommt dieser markante tschechische Triebwagen vom Kolej-Klub Turnov, hier am Haltepunkt Phillipsdorf (Filipov), nur etwa einen Kilometer von der Grenze bzw. dem Bahnhof Georgswalde (Jirikov) entfernt. Er erinnert an die regulären Einsätze dieses Fahrzeugs zwischen Rumburg und Georgswalde sowie Ebersbach. Foto: Felix Bührdel
Selbst „Euro-Neiße-Ticket“ half nicht
1945 endete der grenzüberschreitende Verkehr und wurde erst 1952, jedoch nur mit Güterzügen, wieder aufgenommen. Personenzüge konnte die tschechische Bevölkerung zwischen Rumburg und dem Bahnhof Jiříkov nutzen; die Grenze selbst blieb bis auf wenige, weit entfernt liegende Übergänge unpassierbar. Die politische Wende ließ die Menschen beidseits der Grenze einander wieder näherkommen. Als erster offizieller Übergang öffnete am 1. Mai 1990 der Grenzübertritt für Fußgänger, ab 1. Juli 1991 rollten endlich auch wieder Personenzüge über die Grenze. Anders beim Güterverkehr, der regelrecht zusammenbrach und im Jahr 2000 eingestellt wurde. Aber auch im sogenannten Schienenpersonennahverkehr verflog die Euphorie bald. Denn sogar das beispiellos günstige „Euro-Neiße-Ticket“ für Reisen im Bereich des sächsischen Verkehrsverbunds ZVON sowie den grenznahen Regionen in Tschechien und Polen, zog hier nicht wie erhofft: Die Züge zwischen Ebersbach und Rumburg wurden nur mäßig genutzt. Ab 2001 beschränkte sich der Grenzverkehr auf das Wochenende, im Dezember 2010 war es aber auch damit vorbei. Bereits vier Jahre zuvor war der Reiseverkehr zum Bahnhof Jiříkov eingestellt worden. Der Güterverkehr allerdings erlebte zwischenzeitlich noch eine kleine Blüte: Da nach dem verheerenden Hochwasser 2002 die Trassenkapazitäten im Elbtal stark eingeschränkt waren, mussten zahlreiche Züge über die Strecken durch das Lausitzer Gebirge umgeleitet werden.
Im Mai 2019 wagte sich der Oldtimer „Hurvínek“ des Jungbunzlauer Eisenbahnvereins (Mladoboleslavský železniční spolek – MBŽS) auf´s letzte Stück brüchiges Gleis vorm Empfangsgebäude Georgswalde (Jirikov). Alle anderen Gleise waren bereits abgebaut und neue Wildnis gewachsen. Foto: Felix Bührdel
Bus-Angebot bleibt ungenutzt
Inzwischen nutzen nur noch selten Sonderzüge die Schienen über den Grenzfluss Spree. Insbesondere die Ostsächsischen Eisenbahnfreunde aus dem nahegelegenen Löbau bieten zu besonderen Anlässen Pendelfahrten zwischen Löbau und Rumburg an. Außerhalb dieser Tage muss sich der gemeine ÖPNV-Nutzer mit einer Busverbindung zwischen Ebersbach und Rumburg zufriedengeben. Wobei diese Buslinie eine vergleichsweise hohe Qualität bietet: Verkehr im Stundentakt an Werktagen und Zwei-Stundentakt am Wochenende mit modernen Niederflurbussen zu unschlagbar günstigen Preisen. Dass sich am Bahnhof Ebersbach allerdings keinerlei Hinweis auf diese Buslinie findet und somit nur Insider von ihr profitieren können, trübt das Bild erheblich. Wie so die tschechische Seite überzeugt werden soll, eines fernen Tages wieder regulären Bahnverkehr der parallelen Strecke zu bestellen, bleibt angesichts der fast immer leeren Busse fraglich. Zumal Georgswalde durch den Bus wesentlich besser erschlossen wird, als dies mit der Bahn möglich wäre. Zumindest die tschechische Seite scheint deshalb mit dem Bahnverkehr auch so gut wie abgeschlossen zu haben, denn die Gleisanlagen im Bahnhof Georgswalde sind inzwischen fast vollständig demontiert. Anfragen nach Güterzugumleitungen würden, zumindest durch den tschechischen Platzhirsch ČD Cargo, abgeblockt, so dass bisher nur einzelne Sonderleistungen privater Eisenbahnunternehmen diese Strecke als Alternative zur überlasteten Elbtal-Magistrale nutzen. Eine weiträumige Umleitung über Polen oder gar Österreich und Passau scheint die einfachere Wahl.
Zu diesem Beitrag, der im LandesEcho 1/2021 erschienen ist, erreichte uns folgender Leserbrief:
Ein Grenz-Paradoxon
Ich erinnerne mich noch gut an diesen Tag im Jahr 2004 zu Ebersbach/Sachsen: Ein Zug der Tschechischen Bahnen steht am Bahnsteig, der damalige Bundesgrenzschutz kontrolliert die Ausweise und auf geht’s zur gut viertelstündigen Fahrt nach Tschechien. Auf der Fahrt von Dresden nach Ebersbach waren wir – ohne es zu bemerken – schon einmal kurz in Tschechien. Zirka ein Kilometer lang ist der tschechische Abschnitt in unmittelbarer Nähe des früheren Örtchens Fugau (Fukov), das heute nur mehr eine Wüstung ist. Die zweite Besonderheit ist nach wenigen Metern Fahrt in Richtung Rumburg (Rumburk) zu erkennen: der Bahnhof von Georgswalde (Jiříkov). Obwohl gut zu erkennen zum Greifen nahe, lässt der „internationale Personenzug“ ihn rechts liegen. Wie in der LE-Serie „Lückenschluss“ beschrieben, baute die Tschechoslowakei erst 1933 „ihren“ Bahnhof.
Nach der Grenzkontrolle bot uns die Rumburger Bahnhofsgaststätte ein feines Mittagessen. Der grenzüberschreitende Personenverkehr nach Ebersbach war von den Zügen nach Jiříkov/Georgswalde zu dieser Zeit noch strikt getrennt – bald darauf gab es einige Züge, die den Bahnhof zu Georgswalde bedienten und dann nach Ebersbach weiterfuhren, dabei konnte man die Distanz zwischen beiden Bahnhöfen zu Fuß fast schneller zurücklegen. Leider scheiterten Bemühungen zum Erhalt der kurzen Linie – es handelt sich wohl um eine der nur wenigen Kompletteinstellungen in Tschechien seit 1990, fast überall sonst wird wenigstens ein Ausflugsverkehr aufrecht erhalten. Nicht so jedoch im Schluckenauer Zipfel. Nur Güterverkehr und Sonderzüge sorgen hin und wieder für ein bisschen Leben auf den Gleisen.
Wir fuhren dann noch nach Nieder-Einsiedel (Dolni Pustevna), wieder im Schienenbus, durch reizvolle, nahezu unberührte Landschaft. In Nieder-Einsiedel, damals Endstation, beeindruckte das große, in schlechtem Zustand verharrende Empfangsgebäude. Die Gleise verschwanden unter der Grasnarbe; Wildwuchs in Richtung Deutschland… Und hätte mir 2004 jemand gesagt, dass dereinst wieder Züge von Sebnitz kommend den Bahnhof der tschechischen Nachbarstadt erreichen, wer weiß, was ich entgegnet hätte. Damals musste ich nach Sebnitz laufen. Heute könnte ich mit dem Zug bequem fahren, würde aber von Rumburg nicht mehr mit dem Zug nach Ebersbach kommen. Ein Grenz-Paradoxon.
Martin Junge