Die Bahn im Zentrum der Euregio Egrensis ist aktuell zwar ohne Fernverkehr, jedoch wieder im Kommen.
Der Ort Schirnding blickt als Grenzort zwischen dem böhmischen Becken und Fichtelgebirge zurück auf eine über 700-jährige, turbulente Geschichte. Schließungen des Grenzübergangs zur Abwehr von Seuchen gehören zur Tradition des Orts, ab 1680 kam es dazu wegen der Pest in Eger (Cheb) und dem Sechsämterland ganze vier Mal in nur einem Jahrhundert. 1831 herrschte in Wien und Prag die Cholera – Schirnding war damals Quarantänestation – und 1946/47 suchte die Typhus-Epidemie den Landkreis Wunsiedel heim. Die jüngste Blockade wurde am 15. Juni aufgelöst: Nach drei Monaten Corona-Sperre rollten wieder die ersten Personenzüge zwischen Eger und Marktredwitz via Schirnding. Im steten Wechsel die roten Neigetechnik-Flitzer der Deutschen Bahn von und nach Nürnberg, sowie die maisgelben LINT-Triebzüge der Marke „Oberpfalzbahn“ von DIE LÄNDERBAHN (DLB) auf dem Kurs Hof – Asch – Eger – Marktredwitz.
Die erste Eisenbahn der Fichtelgebirgsstrecke von Kirchenlaibach und Marktredwitz erreichte das beschauliche Schirnding Ende 1879. Erst im Folgejahr entstand der Bahnhof, der bis vor dem Zweiten Weltkrieg eine „Allerweltsstation“ blieb – selbst nachdem die Züge ab 1883 weiter ins Böhmische fuhren. Erst auf dem Egerer Bahnhof fanden die deutsche sowie die österreichische Pass- und Zollkontrolle statt. Die durchgehende Bahnlinie hatte schnell einen spürbaren Rückgang des Verkehrs auf der Straße durch Schirnding bewirkt, sodass die hier kontrollierende Station der Gendarmerie aufgelöst werden sollte. Ihren unbedingten Verbleib forderte der damalige Bürgermeister, um „dem Eindringen der aus Österreich-Böhmen kommenden Zigeuner sofort wirksam zu begegnen“.
Gegenwärtiger Alltag im Bahnhof Eger (Cheb) mit den Zügen (v. l.) der Tschechischen Bahn nach Marienbad – Pilsen, der „Oberpfalzbahn“ nach Marktredwitz via Schirnding sowie dem Regionalexpress der Deutschen Bahn nach Nürnberg. Foto: Werner Rost
Leuchtender Linien-Stern Eger
Zwischen 1919 und 1938 überwachten die Finanzbeamten der ersten tschechoslowakischen Republik die Grenze. In den „Goldenen Zwanzigern“ sorgte hier dreimal wöchentlich der Luxus-Reisezug „Calais-Paris-Karlsbad/Prag-Express“ für Aufsehen. Am 1. April 1928 wurden die „Pass-Visa“ aufgehoben, für den kleinen Grenzverkehr gab es dafür Grenzscheine zu 50 Pfennigen, womit Fahrten nach Eger alltäglich wurden. Wer mit der Eisenbahn kam, wurde von bayerischen Zöllnern im Revisionssaal des Egerer Bahnhofs kontrolliert. An diesem Verkehrsknoten von damals sechs Linien wurden 1930 täglich 149 Personenzüge und bis zu über 60 Güterzüge abgefertigt. In jenem Jahr zählten die Behörden ca. 2,2 Millionen Menschen im grenzüberschreitenden Reiseverkehr.
Am 1. Oktober 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht ins Sudetenland ein, die Grenze wurde obsolet und der Zollgrenzschutz aufgelöst. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges nahm der zivile Reiseverkehr jäh ab, Straße und Schienenweg dienten zunächst dem Militär. Im Januar 1945 erschienen die ersten Flüchtlingstrecks aus dem Osten, alsbald kamen viele aus Schlesien Geflohene in überfüllten Zügen an. Am 8. April 1945 machten US-amerikanische Bomber den Egerer Bahnhof zur Trümmer-Wüste, wenige Tage später zogen die Alliierten ins Egerland ein. Die Grenzübergänge wurden für kurze Zeit geschlossen, um dann unter der Regie der Besatzungsmacht betrieben zu werden. Jede Woche kamen drei bis vier Sonderzüge mit je 600 bis 700 Vertriebenen in Schirnding an. An diesem neuen Gemeinschaftsbahnhof tat nun auch tschechoslowakisches Personal seinen Dienst, das hier die Züge übergab und übernahm. 1948 erreichten die Passagierzahlen bereits den Vorkriegsstand, vornehmlich durch die ausgesiedelten Bürger deutscher Nationalität.
Stetes Nadelöhr von Straße und Schiene
Der Bahnhof musste fortan stetig erweitert werden, insbesondere nach 1963, als die ČSSR einen weicheren Kurs einschlug und die Reisezüge hoffnungslos überfüllt eintrafen. Selbst nach Niederschlagung des Prager Frühlings gab es keinen Einbruch, im Gegenteil: Viele Tschechen emigrierten. Mit ca. 450 000 Reisenden war 1968 das Rekordjahr, noch überboten von 1969 mit 573 000 Personen. Doch von diesen wurde schon ein Großteil am Straßenübergang gezählt – es begann die Talfahrt der Schiene, gleichermaßen baute man die Bundesstraße großzügig aus, trassierte neu. Die Bahn geriet am 4. November 1989 noch einmal in den Fokus, als mehrere Züge mit Prager Botschaftsflüchtlingen eintrafen. Auf der Straße begann das teils bis heute anhaltende „Zeitalter des ewigen Staus“ mit unhaltbaren Belastungen für die Anwohner.
Es war einmal: Im Frühjahr 2004 kontrollierten deutsche und tschechische Beamte gemeinsam die Reisenden im Zug. Foto: Werner Rost
Der legendäre „Západní expres“ stellte über Jahrzehnte eine direkte Verbindung zwischen Prag, Pilsen (Plzeň), Marienbad (Marianské lázně) und Eger, sowie Nürnberg, Frankfurt und Paris her. Zu besten Zeiten hatte der Zug 17 Wagen, darunter neueste Fahrzeuge der ČSD. Am 22. Mai 1993 passierte er Eger – Schirnding zum letzten Mal. Sein Nachfolger, IC/EC „Karlštejn“ Prag – Dortmund, wurde 2001/02 auf Nürnberg eingekürzt, wenngleich hier mit EC „Egrensis“ ein zweites Zugpaar hinzukam. Beide verschwanden im Dezember 2004 infolge der Streckenmodernisierung zwischen Pilsen und Eger. Geblieben ist der Regionalverkehr samt den fünf Zugpaaren, die täglich von/nach Nürnberg fahren. Die Züge werden vor allem an den Wochenenden von vielen Fernpendlern und Touristen genutzt. Die leistungsbestellende Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) kündigt für 2023 sogar eine Erweiterung der Fahrtmöglichkeiten an: 16 Züge im festen Stundentakt in jede Richtung. Für die je drei Fahrten mehr müsste die tschechische Seite die anteilige Finanzierung sichern. „Sollte es wider Erwarten keine Übernahme aller Züge an der Grenze geben, bleibt als Rückfall-Ebene der Endpunkt Schirnding für einzelne Verbindungen eine Option“, teilt die BEG mit.