Premierminister Petr Fiala hat gestern überraschend angekündigt, Ivan Bartoš als Minister für regionale Entwicklung und Digitalisierung zu entlassen. Die Piratenpartei reagierte empört. Sogar ein Austritt aus der Koalition steht nun zur Debatte.

Noch am Dienstagmorgen trafen sich Ivan Bartoš (Piraten) und Petr Fiala (ODS) zu einer Besprechung, bei der es um den Stand der Digitalisierung im Baugewerbe ging. Wie Bartoš später auf einer Pressekonferenz erklärte, wurde er zu diesem Zeitpunkt nicht über eine mögliche Entlassung informiert. Erst eine halbe Stunde vor dem Pressebriefing am Dienstagvormittag, auf dem Fiala die Entscheidung offiziell verkündete, habe man ihm mitgeteilt, dass seine Amtszeit im Ministerium für regionale Entwicklung enden würde. „Wenn ich das morgendliche Gespräch mit einem Wort beschreiben müsste, war es ein Schlag unter die Gürtellinie, der jegliche menschliche Anständigkeit vermissen ließ“, sagte Bartoš weiter.

Auch die restliche Parteispitze der Piraten schloss sich der Empörung von Bartoš an. Jana Michailidu bezeichnete das Vorgehen des Premierministers als überraschend. „Am Morgen sagte der Premierminister noch, dass der Verbleib von Herrn Bartoš wie geplant verläuft. Doch dann, wie es der Premierminister formulierte, kam es zu einer ‚reifen Überlegung‘ und einem Meinungswechsel. Für uns war es überraschend, innerhalb weniger Stunden so widersprüchliche Aussagen aus dem Mund des Premierministers zu hören“, erklärte sie weiter.

Jakub Michálek, Fraktionsvorsitzender der Piraten, vermutet hinter Fialas Vorgehen sogar eine politische Intrige. Wie er auf der Pressekonferenz am Dienstagnachmittag erklärte, stand Fiala bei seiner Entscheidung unter dem Druck von Verkehrsminister Martin Kupka, Finanzminister Zbyněk Stanjura sowie Kreishauptmann der Region Südböhmen Martin Kuba und dem Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses, Jan Skopeček (alle ODS). Diese hätten angeblich damit gedroht, Fiala abzusetzen, falls er die Piraten nicht aus der Regierung „entferne“.

Koalitionspartner zeigen sich wenig überrascht

Während die Piraten Fialas Vorgehen als Bruch des Koalitionsvertrags werten, sehen die anderen Koalitionspartner seine Entscheidung als notwendigen Schritt. Laut Markéta Pekarová Adamová (TOP 09) wirken sich die monatelangen Probleme bei der Digitalisierung des Bauverfahrens negativ auf die tschechische Wirtschaft aus. Beamte hätten mit einem nicht funktionierenden System zu kämpfen, was ihre Arbeit erschwere. Sie verstehe den Ärger der Bürgerinnen und Bürger daher voll und ganz. „Obwohl Ivan Bartoš Unterstützung angeboten wurde, hat sich die Situation leider nicht wesentlich verbessert. Ich bin mir der Komplexität des gesamten Digitalisierungsprozesses bewusst und erkenne seinen Einsatz an. Angesichts der anhaltenden Probleme und der unerfüllten Verpflichtungen der Regierung im Bereich der digitalen Transformation ist seine Abberufung durch den Premierminister jedoch ein logischer Schritt“, fügte Adamová in den sozialen Medien hinzu.

Landwirtschaftsminister Marek Výborný (KDU-ČSL) vertrat die Meinung, dass Bartoš eine zentrale Aufgabe, nämlich die Digitalisierung des Bauverfahrens, nicht bewältigt habe. Trotz mehrfacher Verschiebung der Fristen. „Deshalb ist der Schritt von Petr Fiala völlig logisch und richtig“, kommentierte Výborný das Vorgehen des Premierministers.

Fiala begründete seinen Schritt damit, dass Ivan Bartoš seiner Meinung nach die Probleme bei der Digitalisierung im Bauwesen unterschätzt habe. „Probleme können nur gelöst werden, wenn man sich ihrer Tiefe bewusst ist“, erklärte der Premierminister. Zudem wies er den Vorwurf zurück, Bartoš erst kurz vor der öffentlichen Bekanntgabe informiert zu haben. „Ich habe heute mit Ivan Bartoš über die Digitalisierung gesprochen, 95 Prozent unseres Treffens waren diesem Thema gewidmet“, sagte Fiala. Nach dem Treffen habe er sich Bedenkzeit genommen und sei schließlich zu dem Entschluss gekommen, keine andere Wahl zu haben, als Bartoš zu entlassen.

Piraten stimmen über Austritt aus der Koalition ab

Im internen Parteiforum der Piraten sehen die meisten Mitglieder Fialas Vorgehen als Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. Vor dem Austausch eines Ministers, so die Mitglieder, hätte sich Fiala zunächst die Zustimmung der betroffenen Koalitionspartei einholen müssen. Ein Antrag, der den Rücktritt aus der Koalition fordert, hat mittlerweile so viel Unterstützung erhalten, dass nun alle Mitglieder im nationalen Parteiforum von Freitag, dem 27. September, bis Montag, dem 30. September, bis 20:00 Uhr über einen Austritt aus der Koalition abstimmen können.

Premierminister Petr Fiala versucht inzwischen, die Wogen zu glätten. Nach einem Treffen der Regierungskoalition am Dienstagabend betonte er, dass niemand die Piraten aus der Regierung drängen wolle und weiterhin eine gemeinsame Zusammenarbeit angestrebt werde.

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