Die Parteichefs der fünf voraussichtlich an der Regierung beteiligten Parteien unterzeichneten den in den letzten Wochen ausgehandelten Koalitionsvertrag. Foto: ČTK/Kamaryt Michal

Am Montag unterzeichneten Vertreter der fünf voraussichtlich an der neuen tschechischen Regierung beteiligten Parteien den Koalitionsvertrag. Zum ersten Mal kam auch das neu gewählte Abgeordnetenhaus zusammen.

Eine Regierungskoalition aus fünf Parteien – das hat es in Tschechien noch nicht gegeben. Dass es diese marktkonservativ-liberale Regierung tatsächlich ins Amt schafft und die Ära Babiš beendet, ist am Montag, den 8. November, wieder ein Stück in Richtung Realität gerückt. An einem spiegelnd-glänzenden Tisch im Büro des Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses fanden sich die fünf Parteichefs Marian Jurečka (KDU-ČSL), Markéta Pekarová Adamová (TOP 09) und Petr Fiala (ODS) vom Wahlbündnis SPOLU sowie Víta Rakušan und Ivan Bartoš (v.l.n.r.) vom gemeinsamen Bündnis aus Bürgermeistern (STAN) und Piraten zusammen, um genau vier Wochen nach den Wahlen den in den letzten Wochen ausgehandelten Koalitionsvertrag zu unterzeichnen. Hinter ihnen stehend die Fraktionsvorsitzenden der an der möglichen neuen Regierung beteiligten Parteien. Keine zwei Minuten dauerte es, bis alle fünf Parteichefs ihre Unterschrift unter das Dokument setzten, das Tschechien in den kommenden Jahren gestalten soll. Am Revers trugen alle Mohnblumen, die an den Tag der Kriegsveteranen am 11. November erinnern.

„Wir haben sehr intensiv daran gearbeitet. Wir haben in der Nacht, in der die Wahl endete, mit der Arbeit begonnen und wir sind uns des Mandats bewusst, das uns die Wählerschaft erteilt hat. Wir sind uns der Notwendigkeit bewusst, schnell zu handeln. Es gilt, die Probleme, die die Menschen beschäftigen, möglichst schnell zu lösen und Tschechien aus den Krisen herauszuführen, in die es geraten ist: aus der Gesundheitskrise, der Wirtschaftskrise und der Wertekrise“, sagte Petr Fiala, der die Koalition als Premierminister anführen will, vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags.

Digitalisierung, Konsolidierung der Finanzen und Westbindung

Geeinigt haben sich die Koalitionsparteien auf die Stabilisierung der öffentlichen Finanzen, u.a. durch eine „Steuerbremse“, welche die Steuerbelastung ab einer bestimmten Quote deckeln soll, oder durch den Abbau der Staatsschulden, sowie auf eine Rentenreform, mehr Ausgaben in den Bereichen Verteidigung und Kultur, die Digitalisierung der Staatsverwaltung und mehr Umweltschutz. Abschaffen will die mögliche neue Regierung die elektronische Umsatzsteuererfassung (EET), die aktuell aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt ist. Des Weiteren möchten die Koalitionäre die „Havel´sche Außenpolitik“ erneuern und eine stärkere Bindung an den Westen, also EU und NATO, anstreben. Nicht zuletzt möchten sie einen Wandel der politischen Kultur erreichen. „Wir sprechen in dem Programm davon, dass wir die Kommunikation verbessern, Brücken reparieren müssen, nicht nur materiell, sondern auch spirituell, Brücken zwischen den Menschen bauen müssen. Wir sind sehr entschlossen“, äußerte sich Marian Jurečka, Vorsitzender der KDU-ČSL. Ivan Bartoš von den Piraten fügte hinzu: „Dies ist eine gute Nachricht für die Tschechische Republik, die eine Zukunft in einer demokratischen Regierung hat, ohne das Treiben der Oligarchen, was das Leben der Menschen dieses Landes verbessern wird. Das Koalitionsprogramm ist der erste Schritt zu einem Wandel, der für Tschechien sehr vorteilhaft sein wird.“

In den letzten Wochen stand die Frage im Raum, wen Tschechiens Präsident Miloš Zeman mit einer Regierungsbildung beauftragen würde. Vor den Wahlen hatte er angekündigt, den Vorsitzenden der stärksten Partei damit betrauen zu wollen. Nach der Wahl war das Premier Andrej Babiš (ANO), der aber knapp dem konservativen Parteibündnis SPOLU unterlag. Babiš, dessen bisherige Koalitionspartner den Einzug ins tschechische Unterhaus aber verfehlten, hatte nach der Wahl schon angedeutet, dass er möglicherweise in die Opposition gehen wird. Dies bestätigte er in der vergangenen Woche Präsident Zeman telefonisch. Zeman hat unterdessen erklärt, dass er kein Problem damit habe, Fiala als Premierminister zu ernennen. Zeman befindet sich seit etwa vier Wochen im Prager Militärkrankenhaus. Inzwischen hat sich sein Gesundheitszustand deutlich verbessert, sodass er die Intensivstation verlassen konnte. Unklar bleibt aber, wann Zeman Fiala zum neuen Regierungschef ernennt und ob Zeman die von Fiala vorgeschlagenen Minister akzeptieren wird.

Wer wird Parlamentspräsident?

Etwa eine Stunde nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrags kam am Montag zum ersten Mal auch das neu gewählte Abgeordnetenhaus zusammen. Während des ersten Teils der konstituierenden Sitzung leisteten die 200 Abgeordneten ihren Amtseid, des Weiteren steht die Wahl eines Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses auf dem Programm, welche allerdings erst am Mittwoch erfolgen soll. Als aussichtsreiche Anwärterin gilt Markéta Pekarová Adamová (TOP 09), die das Amt von Radek Vondráček (ANO) übernehmen könnte. ANO möchte den gegenwärtigen Wirtschaftsminister Karel Havlíček ins Rennen schicken. Als unsicher gilt die Wahl der Stellvertreter. Vondráček, der auf eine erneute Kandidatur für den Vorsitz des Unterhauses verzichtet, möchte stattdessen für ANO zur Wahl des Stellvertreters antreten. Vondráček war in der Vergangenheit mehrfach negativ in die Schlagzeilen geraten. Das Bündnis SPOLU hat bereits bekannt gegeben, Vondráček nicht unterstützen zu wollen. Wenig Aussicht auf Erfolg dürfte nach Äußerungen anderer Parteien auch der Kandidat der rechtsradikalen SPD haben. ODS schlägt Jan Skopeček als stellvertretenden Vorsitzenden vor, KDU-ČSL Jan Bartoš. STAN schickt Věra Kovárová ins Rennen, die Piraten Olga Richterová. Für ANO soll außerdem noch Jana Mračková Vildumetzová antreten.

Nach dem Abschluss der konstituierenden Sitzung des Abgeordnetenhauses muss gemäß der Verfassung die aktuelle Babiš-Regierung ihre Demission erklären. Das könnte in der zweiten Hälfte der nächsten Woche der Fall sein. Die Regierung aus ANO und Sozialdemokraten bleibt aber bis zum Antritt der neuen Regierung geschäftsführend im Amt.

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