„Stolzierende Fahnen‟ auf der Karlsbrücke: Im Juli 2022 übernahm Tschechien zum zweiten Mal die EU-Ratspräsidentschaft. Foto: ČTK/Dana Kesnerová
Symbolbild: „Stolzierende Fahnen‟ auf der Karlsbrücke: Im Juli 2022 übernahm Tschechien zum zweiten Mal die EU-Ratspräsidentschaft. Foto: ČTK/Dana Kesnerová

Tschechien erntete gute Noten für die EU-Ratspräsidentschaft. Nun kommt es darauf an, wie das Land mit dieser neu gewonnenen Reputation umgeht.

Der tschechische Vorsitz im Rat der Europäischen Union war bis zu seinem Ende eine bewundernswerte Geschichte verantwortungsvoller politischer Arbeit und menschlicher Ausdauer. Wenn die Amtszeit der Regierung von Petr Fiala einmal enden wird, kann sie diese erfüllte Aufgabe zu ihren Erfolgen zählen. Was brachte also die Tschechische Republik Europa, was brachte die Präsidentschaft Tschechien und vor allem: Wie lässt sich damit in Zukunft gut umgehen?

Die Erwartungen an das tschechische Halbjahr an der Spitze Europas waren ehrlich gesagt nicht sonderlich hoch. Erstens war da der politische Fauxpas während der ersten Ratspräsidentschaft Tschechiens, von der sich die politische Elite noch immer nicht erholt hat, und in Europa deshalb traditionell als Leisetreter in der Ecke oder destruktive Sonderlinge wahrgenommen wurde.

Zweitens musste die Präsidentschaft mit finanziellen Mitteln und personellen Kapazitäten auskommen, die sie noch von der Vorgängerregierung geerbte hatte und das auch nicht mehr groß ändern konnte.

Drittens übernahm die Tschechische Republik ihr Mandat in einer extrem schwierigen Zeit mit akuten Krisen: der Krieg in der Ukraine, Inflation, Energiepreise und Energieknappheit. Auf Prag warteten aber auch beschwerliche Verhandlungen über neue europäische Gesetze. Die Tschechische Republik musste sich also mit den Problemen von heute und morgen gleichzeitig befassen und das in einem riesigen Umfang.

Energie-Präsidentschaft

Tschechien ging nicht nur mit Zitaten von Václav Havel in die Präsidentschaft, sondern auch mit fünf Prioritäten. Die Hauptrolle spielte dabei die Unterstützung der Ukraine und die Energiesicherheit, was mit Blick auf die Ereignisse selbstverständlich erscheint. Eine einheitliche Position der 27 Staaten gegenüber der Ukraine und Russland waren aber überhaupt nicht selbstverständlich. Die verabschiedeten Sanktionspakete gegen Russland und die europäische nicht nur finanzielle Unterstützung der Ukraine sind gerade Verdienst der tschechischen Regierung und der diplomatischen Mission, die unermüdlich die ukrainischen Partner zu den Verhandlungen einlud und dies mit allen anderen Themen verband.

Am meisten war das beim Thema der Energiesicherheit zu sehen. Russland zögerte nicht, Energielieferungen als Waffe zu nutzen, deshalb mussten die europäischen Staaten unter tschechischer Führung einen Weg finden, Russland zu entwaffnen. Dabei kam die schon legendäre Flexibilität der tschechischen Diplomatie, die Fähigkeit, vorausschauend zu denken und auch dort Lösungen zu finden, wo die Positionen der Staaten deutlich auseinander lagen, zum Zug. Der Kompromiss über gemeinsames Gassparen kam auch zu dem Preis zustande, dass Ungarn außen vor blieb. Die Einigung auf eine Gaspreisobergrenze bedeutete wiederum, Deutschland umzustimmen. Auf diese Weise gelang es der tschechischen Präsidentschaft, eine ganze Reihe entscheidender Mechanismen einzuführen, um die Energiepreise zu stabilisieren, den gemeinsamen Einkauf von Gas und die gegenseitige Solidarität im Fall einer Gasmangellage in einem der Länder zu ermöglichen.

Überdies hat sich gezeigt, dass der Weg aus der Energiekrise, seien es Energieeinsparungen oder ein stärkerer Ausbau erneuerbarer Energien, gleichzeitig im Einklang mit dem Kampf gegen den Klimawandel stehen. Auch auf diesem Gebiet verbuchte die Präsidentschaft bedeutende Erfolge, was am meisten die Tschechinnen und Tschechen selbst überraschte. Zu Beginn im Juli hieß es noch, dass es schon ein Erfolg ist, wenn es Tschechien gelingt, eine Einigung über wenigstens ein bis zwei Vorlagen aus dem Paket „Fit for 55“ zu erzielen. Das hat zum Ziel, bis 2030 die Treibhausgasemissionen mindestens um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken und gleichzeitig eine gerechte Transformation der europäischen Wirtschaft sicherzustellen. Das traditionell eher klimaskeptische Tschechien handelte letztendlich eine Einigung über acht der Vorlagen aus.

Etwas schmerzlicher fielen die Verhandlungen mit den Unruhestiftern in der Union aus, die noch vor nicht allzu langer Zeit zu den wichtigsten Verbündeten Tschechiens gehörten, wie zum Beispiel Ungarn. Aber auch hier balancierte das tschechische Unterhändlerteam die Interessen aller so gut aus, dass am Ende eine gesamteuropäische Einigung über das Einfrieren eines Teils der ungarischen EU-Mittel zustande kam. Im Gegenzug wurde Ungarn dazu gebracht, seinen Widerstand gegen EU-Finanzhilfen für die Ukraine und die globale Unternehmenssteuer aufzugeben.

Das war zwar eindeutig auch ein Erfolg der tschechischen Präsidentschaft, aber für die Zukunft muss Tschechien seine Haltung in ähnlichen Situationen noch klar definieren. Denn es war bestimmt nicht das letzte Mal, dass ein Mitgliedsstaat für Korruption bestraft wurde und das nächste Mal wird sich Prag nicht hinter der neutralen Position des Ratsvorsitzenden verstecken können.

Premierminister Petr Fiala auf der Bilanzpressekonferenz zum Abschluss der EU-Ratspräsidentschaft. Links EU-Minister Mikuláš Bek, rechts Alice Krutilová, Bereichsleiterin Ratspräsidentschaft. Foto: Petr Topič/MAFRA/Profi media

Premierminister Petr Fiala auf der Bilanzpressekonferenz zum Abschluss der EU-Ratspräsidentschaft. Links EU-Minister Mikuláš Bek, rechts Alice Krutilová, Bereichsleiterin Ratspräsidentschaft. Foto: Petr Topič/MAFRA/Profi media

Wie geht es weiter?

Was kann die Tschechische Republik nun von diesem halbjährigen Marathonsprint für die Zukunft mitnehmen? Vor allem, dass sie es kann. Entgegen dem Chor der Zweifler meisterte sie ihr Mandat gut. Ihr ist es gelungen, wichtige Fortschritte auszuhandeln und Europa zusammenzuhalten. Ohne Zweifel wird die tschechische Stimme nun auf internationalen Foren etwas ernster genommen als noch vor dem 1. Juli 2022.

Tschechien muss sich aber klar machen, was es mit dem neu errungenen Selbstbewusstsein erreichen will. Während man sich in dem halben Jahr der Präsidentschaft ruhigen Gewissens auf die Umsetzung der täglichen Agenda konzentrieren konnten und die fehlende Einigkeit in der Regierung bei grundsätzlichen europäischen Themen hinter der Position des „neutralen Unterhändlers“, der per definitionem keine eigene Meinung zeigen darf, verstecken konnte, wird das ab 1. Januar nicht mehr reichen. Falls die Regierung wirklich vor hat, eine Revision ihres Programms anzugehen, sollte das auch für eine Konkretisierung der Vorstellung über die künftige Gestalt der Europäischen Union genutzt werden, von der Tschechinnen und Tschechen so viel wie möglich profitieren. Die Tschechische Republik sollte schon jetzt anfangen darüber nachzudenken, welches das tragende Thema der künftigen Europäischen Kommission sein sollte. Das wird keine einfache Debatte, aber sie wird nötig.

Warum? Weil auch die erfolgreiche Ratspräsidentschaft nicht für einen Umschwung der öffentlichen Meinung über die tschechische Mitgliedschaft in der Union gesorgt hat. Neueste soziologische Daten zeigen, dass bei einem Referendum für den Verbleib in der Union wieder nur weniger als die Hälfte der Bevölkerung der Tschechischen Republik dafür stimmen würde. Das hat etwas mit der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Situation und vor allem Zukunftsängsten zu tun. Die Menschen verlieren das Vertrauen in die Institutionen und das bekommt auch die EU zu spüren.

Dabei bewertete die Gesellschaft die Leistung der tschechischen Vertreter während der Präsidentschaft relativ gut. Daten aus der gleichen Umfrage besagen, dass die Zahl derer, welche die tschechische Ratspräsidentschaft loben, höher ist als die Zahl jener, welche die tschechische Regierung unterstützen.. Wenn die Regierung aus der Präsidentschaft eine größere Show veranstaltet hätte, wäre wohl die Unterstützung der EU-Mitgliedschaft größer und hätte auch die Regierung Punkte sammeln können. Die Kommunikation seitens der Minister und Ministerinnen während der Präsidentschaft war allerdings verschwindend gering, vor allem vor dem Hintergrund, dass es wirklich etwas Lobenswertes vorzuweisen gegeben hätte.

So muss sie sich nun alles wieder von vorn erarbeiten. Die Europäische Mission der Regierung von Petr Fiala ist mit dem Ende der Präsidentschaft nicht abgeschlossen. Oder um den bekanntesten Gegner der tschechischen Mitgliedschaft in der Europäischen Union, sprich Václav Klaus, zu zitieren: „Es ist nichts zu Ende, wir machen weiter.“

Vít Dostál leitet den Think Tank Verband für internationale Beziehungen (AMO) mit Sitz in Prag. Vendula Kazlauskas ist Projektmanagerin und Analystin bei AMO. Der Beitrag erschien zuerst in der tschechischen Tageszeitung Hospodářské noviny.


Dieser Beitrag erschien zuerst in der Januar-Ausgabe 2023.

ECHO 1 2023 titul web

Werden Sie noch heute LandesECHO-Leser.

Mit einem Abo des LandesECHO sind Sie immer auf dem Laufenden, was sich in den deutsch-tschechischen Beziehungen tut - in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft oder Kultur. Sie unterstützen eine unabhängige, nichtkommerzielle und meinungsfreudige Zeitschrift. Außerdem erfahren Sie mehr über die deutsche Minderheit, ihre Geschichte und ihr Leben in der Tschechischen Republik. Für weitere Informationen klicken Sie hier.