Der 71. Sudetendeutsche Tag in München war mehr als eine Ersatzveranstaltung. Mit dem ehemaligen Kulturminister Daniel Herman erhielt der erste hochrangige tschechische Politiker den Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft.
Pfingsten ist Zeit fürs Pfingsttreffen. Was seit dem ersten Sudetendeutschen Tag 1950 in Stein gemeißelt schien, galt nun schon zum zweiten Mal nicht mehr. Im vergangenen Jahr erging es dem Sudetendeutschen Tag noch wie vielen anderen Veranstaltungen: Zum ersten Mal musste er aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden. Auch heuer stand das traditionelle Ereignis lange auf der Kippe: Dreistellige Inzidenzzahlen machten den gewohnten Termin wieder unmöglich.
Ungewohntes Datum, seltener Ort: Der Sudetendeutsche Tag trotzt der Pandemie. Foto: Jonas Klimm
Aber wichtig war, dass der höchste Feiertag der Sudetendeutschen doch noch stattfinden konnte. Zu einem ungewöhnlichen Termin und an einem altneuen Ort. Nach langer Zeit in Augsburg, Nürnberg und zuletzt Regensburg kehrte der Sudetendeutsche Tag nach 26 Jahren nach München zurück. Rund 500 Gäste waren für die Veranstaltungen am vergangenen Wochenende in der Philharmonie im Münchner Gasteig zugelassen. Dass dies trotz nach wie vor nicht ausgestandener Krise möglich sei, habe man vor allem dem unendlichen Fleiß der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landsmannschaft zu verdanken, sagte Bernd Posselt, Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft, zu Beginn seiner Rede. Er sei „glücklich“, die Gäste in der Philharmonie im Gasteig in München nach dieser schrecklichen Zeit wieder begrüßen zu dürfen.
Bereits am Freitagnachmittag hatte die bayerische Schirmherrschaftsministerin Carolina Trautner (CSU) die Sudetendeutschen Kultur- und Förderpreise verliehen. Der österreichische Literaturwissenschaftler Herbert Zeman erhielt den Großen Sudetendeutschen Kulturpreis 2021 für sein Lebenswerk. Unter den Preisträgern ist auch der noch junge Historiker der westböhmischen Kleinstadt Chodau (Chodov) Miloš Bělohlávek. Über das gesamte Wochenende bestand zudem für die Gäste die Möglichkeit, das im Oktober vergangenen Jahres eröffnete Sudetendeutsche Museum in der Münchner Hochstraße kostenfrei zu besuchen.
Kritik an Grenzschließungen
Am Samstag folgte mit der Verleihung des Karlspreises der Landsmannschaft an Daniel Herman der Höhepunkt des Wochenendes. Vor der Laudatio warf Posselt aber einen Blick zurück auf das vergangene Jahr und thematisierte die harten politischen Entscheidungen im Zuge der Corona-Krise: „Am schlimmsten an den Grenzschließungen zwischen Deutschland und Tschechien war der menschliche Aspekt“, so Posselt. „Das hat alte Wunden wieder aufgerissen.“ Ein Moment aus dieser Zeit sei ihm in besonders schmerzlicher Erinnerung geblieben: Als im deutsch-tschechischen Grenzgebiet auf tschechischer Seite die Intensivbetten in den Krankenhäusern knapp wurden, hätten die „Bürokraten“ im tschechischen Gesundheitsministerium es vorgezogen, schwer erkrankte Menschen durch das halbe Land zu fahren, anstatt die Hilfsangebote aus den nahegelegenen deutschen Krankenhäusern anzunehmen. Der Grund hierfür sei schlichtweg „Nationalegoismus“ gewesen, so Posselt. Das dürfe nie wieder geschehen, denn „alle Pestilenzen dieser Welt können wir nur durch mehr Europa lösen. Wir brauchen einander“, konstatierte Posselt.
Erstmals erhielt mit dem ehemaligen Kulturminister Daniel Herman ein hochrangiger tschechischer Politiker den Sudetendeutschen Karlspreis. Foto: Jonas Klimm
Einer, der auf die Notwendigkeit des europäischen Zusammenhalts stets hingewiesen habe, sei der diesjährige Karlspreisträger und ehemalige tschechische Kulturminister Daniel Herman, fuhr Posselt fort. Herman sorgte im Jahr 2016 für Furore, als er als erster tschechischer Minister überhaupt an einem Sudetendeutschen Tag teilgenommen hatte. Seine versöhnliche Rede machte damals Schlagzeilen. In seiner Laudatio hob der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nun die einmalige Rolle Hermans hervor und bezog sich auf dessen Rede vor fünf Jahren. Herman habe auf dem Sudetendeutschen Tag 2016 als erster hochrangiger tschechischer Politiker den Mut besessen, die Vertreibung der Deutschen nach Ende des Krieges als Unrecht zu bezeichnen. Besonders eines habe Söder an Hermans damaliger Rede „zutiefst beeindruckt“: Dass dieser die Sudetendeutschen mit „Liebe Landsleute“ angesprochen habe. Das sei ein Zeichen der Versöhnung gewesen, so Söder.
Mehr Europa statt Populismus
Der sichtlich gerührte Preisträger Herman interpretierte die für ihn „völlig unerwartete Auszeichnung“ in seiner Dankesrede als Auftrag, die Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen weiter voranzutreiben. Er habe die Erinnerungskultur als Kulturminister immer als zentrales Thema gesehen, denn er sei bereits in seiner Kindheit in den 1960er-Jahren im Böhmerwald mit den „Licht- und Schattenseiten deutsch-tschechischer Verbindungen konfrontiert gewesen“. Deutsche und Tschechen müssten ihren Beitrag dazu leisten, dass der europäische Einigungsprozess weiter vorangetrieben und der Populismus zurückgedrängt werde. Ansonsten habe das europäische Projekt keine Zukunft, so Herman.
Das Ensemble Moravia Cantat auf dem Volkstumsabend des Sudetendeutschen Tages. Foto: Jonas Klimm
Nach dem offiziellen Festakt wurde der Tag mit dem traditionellen Sudetendeutschen Volkstumsabend in der Philharmonie abgeschlossen. Unter der Leitung des Geretsrieder Musikers und Moderators Roland Hammerschmied traten zahlreiche sudetendeutsche Musikgruppen auf. Mit dabei war auch wieder die Schönhengster Volkstanzgruppe. Die Gruppe ‚Moravia Cantat‘, die bereits Auftritte in Brasilien, den USA und Namibia hatte, gab unter anderem die Klassiker „O du treuer Gott“ und „Dreh dich Mädl“ zum Besten. Mit Diskussionsveranstaltungen, unter anderem über die Zukunft der Sudetendeutschen Jugend, und Vorträgen zu historischen und kulturhistorischen Themen rundete der Sonntag den 71. Sudetendeutschen Tag ab.