Gernot Erler, ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt und Russland-Beauftragter der Bundesregierung, meint, die Weltpolitik befinde sich momentan in einer Eskalationsspirale. Diese These stellte er am 13. Mai bei einer Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Karls-Universität in Prag vor und diskutierte sie mit Hanns Maull von der Stiftung für Wissenschaft und Politik sowie Jakub Eberle von der Karls-Universität.

 

„Durch Konflikte können sich Weltordnungen schnell ändern“, leitete Erler seinen Vortrag ein. Und wie er ausführte, leben wir in einer Welt mit Konflikten. Die Nation, die in der sogenannten Post-West-Ära, wie der Politiker unsere heutige Zeit bezeichnet, aufsteigen möchte, sei China. Das Land, welches im 19. Jahrhundert durch diverse Kriege, den Einfluss von Kolonialmächten und außenpolitische Auseinandersetzungen seine herausragende Stellung eingebüßt habe. Nun habe das asiatische Land einen chinesischen Traum: Bis 2055 eine Weltmacht zu sein. Den Weg zu diesem Ziel sollen Projekte wie die Neue Seidenstraße ebnen.

Auch auf eines seiner Lieblingsthemen kam der sozialdemokratische Politiker zu sprechen: Auf Russland. Er warnte vor der langsamen Entfremdung, die Russland und der Westen seit Ende des Kalten Krieges erlebten und versuchte die heutigen Reaktionen Russlands zu erklären. So habe aus russischer Sicht „der Westen die Schwäche Russlands missbraucht und ausgenutzt. Russland fühlt sich nicht als gleichwertig wahrgenommen. Moskau und Peking lehnen die bisherige westliche Hegemonie ab und streben eine multilaterale Weltordnung an. Aber eben unter der Hauptherrschaft von Russland und China.“ Die andere Großmacht in diesem Gefüge seien die USA.

Ein Weg aus der Eskalationsspirale

Und wo bleibt da Europa? Erler sieht grundsätzliche Probleme in der EU. So stand sie, seinen Ausführungen nach, früher für Solidarität und Gleichheit, heute gebe es das in diesem Sinne nicht mehr. Folgen davon seien der Rechtspopulismus und die damit einhergehenden Anti-EU Tendenzen, die eine Gefahr bilden. Dadurch würde Europa geschwächt und als Einheit daran gehindert werden eine weltpolitische Rolle zu spielen. Da sich Europa und Russland entfremdet haben und die USA in der EU keinen relevanten Handelspartner mehr sehen, sei die EU eine verhinderte Ordnungsmacht.

All diese Konflikte und Tendenzen hätten, so Erler, ihre Ursachen in einer Eskalationsspirale, in der jedes Land sein eigenes, eskalierend wirkendes Verhalten darauf zurückführt, dass es seinerseits provoziert würde. Hauptlösungen für die Probleme seien die Beilegung des Ukraine-Konflikts, ein Stopp der Militärübungen, die nur zur Inszenierung der eigenen Stärke dienten und die Beibehaltung der Rüstungskontrollen. Lang- und Mittelfristig müssten sich Russland und Europa wieder annähern, die UN erstarken und die EU reformiert werden. Entsprechende Vorschläge hätte es bereits durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegeben.

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Aufgaben der EU

Hanns Maull von der Stiftung für Wissenschaft und Politik hat einen anderen Lösungsansatz für die globalen Probleme, nämlich den Ausgleich der Mächte USA und China. Russland sei in einer untergeordneteren Rolle, als Erler es beschreibe: „China ist bereits eine Supermacht und wird immer mehr zu einer Supermacht. Russland ist zunehmend in einer Junior-Partnerschaft mit China.“ Der ehemalige Hochschuldozent geht davon aus, dass China zur einzigen Weltmacht werden könnte. Die USA wäre zwar ein Gegengewicht, müsse aber durch die Politik von Präsident Donald Trump zunächst ihre innenpolitischen Probleme lösen. Stattdessen plädiert er für eine dritte, unabhängige Partei, die zwischen den USA und China Verhandlungen leiten sollte. Möglicherweise könnte das eine Aufgabe für die EU sein.

Als Jakub Eberle von der Karls-Universität in der Diskussion das Wort ergriff, wies er auf zwei bisher gänzlich unerwähnte Punkte hin: Den Klimawandel und den Umweltschutz. „Was wir brauchen, ist eine globale Verantwortung!“, wiederholte er einige Male. „Alle sind sehr auf die Menschen selbst oder ihre Nation fokussiert, wir brauchen aber mehr Beachtung für die Umwelt. Das ist ein Schlüssel für die politischen Gegebenheiten.“ Er hob auch hervor, dass man Afrika und Indien und einige andere asiatische Länder nicht aus dem Blickfeld verlieren dürfe, denn das seien rapide wachsende Gesellschaften, die auch einen Einfluss auf das globale Gleichgewicht nehmen würden.

In der genauen Ausführung gab es also Unstimmigkeiten, aber einig waren sich die drei Experten darin, dass ein globales Gleichgewicht erreicht werden müsse. Und diese Tendenzen gebe es im Augenblick noch nicht. Erreicht werden könne das Ziel, indem man universale Werte und Ziele aufbaut.

Diese allerdings unter einen Hut zu bekommen, ist die große Schwierigkeit in den globalen Fragen unserer Zeit. Denn schließlich hat ja jedes Land seine eigenen Interessen und eine andere Vergangenheit, die die Zielsetzung und ihre Ausführung entscheidend prägt.


 

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