Am 28. Oktober wird in Tschechien der Gründung der Tschechoslowakei vor 102 Jahren gedacht. Doch das Land durchlebt einen traurigen Nationalfeiertag.
Der 28. Oktober hat für die Tschechen von allen staatlichen Feiertagen die größte Bedeutung. Da wird der Gründung der selbständigen Tschechoslowakei 1918 gedacht. Die zerfiel zwar am 01. Januar 1993, als die Ehescheidung zwischen Tschechen und Slowaken in Kraft trat. Aber Tschechien sieht sich als Nachfolgestaat. Deshalb der Feiertag.
Ein Beleg für die Nachfolgerschaft sind die an jedem 28. Oktober an den Prager Straßenbahnen flatternden kleinen tschechoslowakisch/tschechischen Fähnchen. Man flaggt sozusagen immer noch „tschechoslowakisch“. Aber an anderen Einrichtungen fehlten diesmal die Fahnen. An Postämtern beispielsweise. Auch viele Firmen verzichteten in diesem Jahr darauf, zu flaggen.
Den Tschechen ist derzeit nicht nach feiern zumute. Das ganze Land ist derzeit wie „auf halbmast“ gesetzt. Corona hat seit dem Frühjahr bereits 2.547 Todesopfer gefordert. Von den knapp 35.000 Tests des Vortages waren 15.663 positiv. Mehr als 6.000 Menschen liegen in den Krankenhäusern. Der Anteil der Patienten mit schweren Verläufen nimmt immer weiter zu.
Feierliche Zeremonie abgesagt
Präsident Miloš Zeman hat lange darum gekämpft, wie an jedem 28. Oktober mit einer Ausnahmegenehmigung auf einer abendlichen Zeremonie auf der Prager Burg zu den Tschechen sprechen und verdiente Bürger auszeichnen zu dürfen. Doch die geltenden Regeln machen eine Ansammlung von Hunderten Ehrengästen im Vladislav-Saal der Burg und einen anschließenden Umtrunk im prunkvollen Spanischen Saal gänzlich unmöglich. Am Ende hat die Regierung die Feierlichkeit kurzerhand untersagt, was Zeman dem Vernehmen nach nur mühsam geschluckt hat. Die Leute, die in diesem Jahr mit den höchsten Orden des Landes geehrt werden sollten, müssen sich ein Jahr gedulden. Erst dann bekommen sie ihre Auszeichnungen. Wenn, ja wenn sich Corona bis dahin verflüchtigt haben sollte.
Auch die Kranzniederlegung der versammelten Staatsspitze vor dem Nationaldenkmal auf dem Vítkov-Hügel fiel diesmal aus. Zeman und andere führende Politiker erschienen dort nur einzeln und nacheinander. Kontakte zu vermeiden, galt auch dort.
Prag will Notstand verlängern
Die Stadt machte überhaupt einen leergefegten Eindruck. Viele Prager hatten sich offenkundig auf den Weg gemacht, um ihre Wochenendhäuser auf den Winter vorzubereiten. An Wochenenden verlassen im Durchschnitt 70 Prozent der Einwohner die Stadt. Diesmal könnten es noch mehr sein, die gleich mehrere Tage Prag meiden. Sie müssen unter anderem ihre Kinder an der frischen Luft beschäftigen. Die Schulen sind geschlossen und bleiben das wohl auch den ganzen nächsten Monat. Die Regierung will im Parlament eine Verlängerung des Ausnahmezustands um 30 Tage beantragen. Die Zustimmung gilt als sicher.
Genauso wie die Abgeordneten am Dienstag – mit peinlicher Ausnahme der Kommunisten und der Rechtsradikalen – auch den Weg frei machten, damit 300 Militärmediziner aus Nato- und EU-Staaten, darunter aus Deutschland, dem wankenden tschechischen Gesundheitswesen für bis zu 90 Tage unter die Arme greifen können. Die meisten Redner in der Debatte äußerten sich dankbar für diese Solidarität aus dem befreundeten Ausland. Man werde nicht vergessen, dass man in großer Not nicht allein gelassen werde. Tschechien werde sich dafür revanchieren.
Dass Prag am Feiertag so leer wirkte, hatte auch damit zu tun, dass die großen Supermärkte fast ausnahmslos geschlossen hatten. Die Chefs dort wollten ihren gestressten Beschäftigten außerplanmäßig einen freien Tag gönnen. Ab Donnerstag müssen alle Geschäfte, die derzeit noch öffnen dürfen, um 20 Uhr schließen. Ab 21 Uhr gilt ein Ausgehverbot bis morgens um 5 Uhr. Nur wer nachts mit dem Hund raus muss, braucht dafür keine schriftliche Ausnahme.
Ob es in Prag am Feiertag so ruhig bleiben würde, war jedoch nicht ausgemacht. Gegner der Corona-Einschränkungen hatten eine Demonstration angekündigt. Jüngst hatte eine solche Demonstration in einer blutigen Straßenschlacht mit der Polizei geendet.
Staatsgründer T.G.Masaryk hatte sich 1920 über den nur schleppenden Aufbau des neuen Staates mit dem legendären Ausspruch geärgert: „Die Demokratie haben wir, es mangelt aber an Demokraten“. Eingedenk der wachsenden Proteste gegen die Corona-Vorschriften könnte dem Beobachter ein abgewandelter Spruch zum heutigen Tschechien einfallen: „Regeln haben wir, es mangelt aber an Menschen, die sie einhalten.“