Deutsch-tschechischer Schneemann. Foto: ČTK/Hájek Ondřej

Warum eigentlich wollte Prag in der Zeit der höchsten Not das Hilfsangebot aus Deutschland nicht annehmen, Covid-Patienten aufzunehmen? Warum holpert es gelegentlich in den deutsch-tschechischen Beziehungen? Unser Kommentator vermutet die Ursache tief innen auf tschechischer Seite.

Ich habe in den vergangenen Wochen immer wieder mal als Gast an zumeist abendlichen Internet-Veranstaltungen deutscher und tschechischer Organisatoren zum Thema Corona und das Verhältnis zwischen Tschechien und Deutschland teilgenommen. Die über diesen Veranstaltungen stehenden Titel verhießen durchweg nichts Gutes. Es war immer vom drohenden Ende der über viele Jahre mühsam aufgebauten Netzwerke über die Grenze hinweg die Rede – hervorgerufen von den von Deutschland eingeführten Grenzkontrollen, um das Corona-Virus und seine Mutanten von Deutschland wegzuhalten.

Ich empfand es bei all diesen Internetforen als positiv, dass es zu dieser These unterschiedliche bis völlig konträre Meinungen der eingeladenen Gäste gegeben hat. Ich gehörte zu denen, die stark bezweifelten, dass es im Zuge von Corona zu einem Ende der Kontakte kommen könnte. Schließlich, so meine Argumentation,  seien wir ja nicht gezwungen, die Telefonnummern oder Mail-Adressen auf der anderen Seite der gemeinsamen Grenze zu löschen. Die Verbindungen, so meine Meinung, seien stark und würden auch die Zeit mit dem Virus locker überleben.

Längst überholt

Ich bin bei diesen Veranstaltungen aber wieder auf etwas gestoßen, das ich als längst überholt angesehen habe: den tschechischen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem größeren deutschen Nachbarn. Der scheint bei manchen meiner tschechischen Freunde – auch bei solchen, die mit mir seit Jahren selbstverständlich auf Augenhöhe diskutieren – immer noch im Hinterkopf vorhanden zu sein. Was mich ärgert.

Bei einer dieser virtuellen tschechisch-deutschen Zusammenkünfte kamen wir beispielsweise auf das glücklicherweise mittlerweile zurückliegende gesundheitspolitische Chaos im westlichsten Zipfel Tschechiens, in Eger (Cheb), zu sprechen. Dort war das örtliche Krankenhaus seinerzeit völlig mit Covid-Patienten überlastet. Der Bürgermeister und der zuständige Bezirkshauptmann hatten seit Beginn des Jahres an diezuständigen Stellen in Prag appelliert, endlich auf das Angebot naher Kliniken in Bayern oder Sachsen zur Aufnahme von tschechischen Patienten positiv zu reagieren. Das sei sehr viel sinnvoller als ganze Konvois von Sanitätswagen oder Hubschrauber mit schweren Fällen an Bord durch die halbe Tschechische Republik zu schicken, auf der Suche nach freien Betten.

Ich hätte die Weigerung der tschechischen Seite damals, dieses Angebot anzunehmen, nicht nachvollziehen können, sagte ich. Für mich sei es unnötiger und übertriebener Nationalstolz des tschechischen Gesundheitsministers gewesen, als der erklärte, dass man damit ein Signal aussenden würde, wonach Tschechien sich nicht selbst um seine Patienten sorgen könne.

Besagter Minister bekam in der abendlichen Debatte aber zu meiner Überraschung Unterstützung eines tschechischen Mitdiskutanten. Der meinte, wer in einem Krieg die Hilfe anderer annehme, gelte als Verlierer. Ich kenne und schätze den Kollegen seit vielen Jahren, in denen er als tschechischer Korrespondent in Berlin gearbeitet hat und bis heute arbeitet. Aber in diesem Punkt habe ich ihn nicht verstanden.

Keine Sprachbarriere mehr

Natürlich ist die Verfrachtung von tschechischen Patienten nach Deutschland keine ganz einfache Sache. Zuerst könnte man da schon auf die Sprachbarriere verweisen. Doch die wäre in diesem Fall nicht mal ein Problem: In zahlreichen Kliniken im deutschen Grenzgebiet arbeiten seit Jahren auch reichlich tschechische Ärzte, die sich gefreut hätten, ihren Landsleuten Hilfe leisten zu können. So jedenfalls die Aussage des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer in einem großen Interview für die Lidové noviny. Kretschmer hatte Kontakt zu tschechischen Medizinern in seinem Bundesland Sachsen, ohne die dort die Kliniken gar nicht mehr auskommen würden.

Ich habe zur Erwiderung auf meinen geschätzten tschechischen Kollegen die ganz große verbale Keule aus der Versenkung geholt. Und habe gefragt, wie lange es noch dauern wird, bis die Tschechen ihren Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Deutschen über Bord werfen werden. Wir seien seit vielen Jahren Freunde und Verbündete in der Europäischen Union und in der Nato. Freunde und Verbündete würden sich bedingungslos helfen. Das sei ganz normal. Und man müsse deshalb kein schlechtes Gewissen und keinerlei Minderwertigkeitskomplexe haben.

Das bedeutet für das tschechisch-deutsche Verhältnis ja nicht, dass man in Prag alles toll finden muss, was man sich in Berlin so ausdenkt – und umgekehrt. Wenn es notwendig ist, kann man sich ja gern gegenseitig sagen, dass man mit diesem und jenem nicht einverstanden ist. Aber wenn es um Menschenleben geht, sollte man nicht so zimperlich sein. Es fällt Prag kein Stein aus der Krone, wenn es ein Angebot auf dem Silbertablett einfach mal annimmt.

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