Foto: Roman Größer

Martin Ellrodt ist von Beruf Geschichtenerzähler. Sein Weg führt den Nürnberger immer wieder nach Prag und Tschechien.

Wenn Martin Ellrodt erzählt, dann tut er das mit Leidenschaft und Überzeugung. Er hat nämlich einen Beruf, den kaum ein anderer ausübt und mit dem er genau das tun kann, was er am liebsten macht: Er erzählt Geschichten. Sein Weg zu diesem Beruf war kein direkter, aber doch ein deutsch-tschechischer. Dieser begann im Kreis Tachau (Tachov) in einem kleinen Ort, wo Martin Ellrodts Mutter 1938 geboren wurde. Die Wurzeln ihrer Vorfahren sind gar bis 400 Jahre zurückverfolgbar. Sie gehörte zu den Deutschböhmen, die nach dem Krieg aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden. So auch Ellrodts Mutter. In Weiden traf sie Martins späteren Vater. Sie ließen sich in Nürnberg nieder, wo Martin seine Kindheit und Jugend verbrachte.

Als Puppenspieler in Prag

Wenn Martin Ellrodt heute zurückblickt, dann erinnert er sich noch genau an die böhmische Küche, die in der Familie seiner Mutter bis heute gekocht wird. Die Mentalität der heutigen Böhmen ist ihm sehr vertraut. „Als Teenager wollte ich unbedingt wissen, wo die Wurzeln meiner Familie liegen, und gerne Tschechisch lernen“, sagt er. Er begann, sich für Puppentheater zu begeistern und wirkte in alternativen Theatergruppen in Nürnberg mit. Für ihn ist die Arbeit mit Puppen ein großer Zauber, bei dem mit einfachem Material gearbeitet wird und dabei viel ausgedrückt werden kann.

Schließlich gelang es ihm nach dem Zivildienst, für die Spielzeit September 1989 bis Juni 1990 am Theater Spejbl und Hurvínek in Prag  zu arbeiten. Dort lernte er dann auch endlich Tschechisch,  auch dank der hilfsbereiten Kollegen. Nach der Rückkehr nach Deutschland – übrigens damals am ersten möglichen Ausreisetag ohne Visum – wurde Tschechien für ihn ein regelmäßiges Ausflugsland. Mit einem Freund unternahm er jedes Jahr eine Fahrradtour, entweder durch den Böhmerwald, das Erz- oder Riesengebirge.

Ellrodt arbeitete in Deutschland dann auch als Schauspieler, stellte aber mit der Zeit fest, dass er die Begeisterung verlor. Ihm fehlte vor allem der direkte Kontakt zum Publikum. Es war Zeit für eine Pause von der Bühne, also absolvierte er eine Ausbildung zum Übersetzer und Dolmetscher.

Foto: Chad Buterbaugh

Wandel über Prag

Durch Zufall entdeckte er dann sein wahres Talent: Eine ehemalige Theater-Kollegin lud ihn zu einem Geschichtenerzähler-Seminar in Nürnberg ein.„Dort habe ich dann die Antworten auf meine unbeantworteten künstlerischen Fragen gefunden, die ich im Theater vergeblich gesucht habe.“ Die damalige Seminarleiterin Margarete Möckel wurde seine Mentorin und unterstützte ihn auf seinem neuen Weg.

Der Weg zum hauptberuflichen Erzähler führte für Ellrodt dann wieder über Prag. Im Jahr 1996 begleitete er eine Jugendgruppe aus Deutschland als Dolmetscher in die tschechische Hauptstadt. Dort nahm die Gruppe an einer Stadtführung zu Prager Sagen in der Altstadt teil, die nicht nur die Gruppe, sondern auch Martin faszinierte. So etwas wollte er in seiner Heimatstadt auch anbieten! Zurück in Nürnberg führte er die ersten Sagenführungen in der Stadt durch und es war für ihn der Durchbruch: Zwölf Jahre lang erzählte Ellrodt nun von Mai bis Oktober Nürnberger Sagen für Groß und Klein. Und das manchmal bei Gruppengrößen bis zu 180 Personen.

Der Erfolg hatte Folgeauftritte im Gepäck: Unternehmen aus der Region buchten ihn. Ab dem Jahr 2001 kamen dann auch internationale Auftritte hinzu, da er auch fließend Englisch und Spanisch spricht. Ebenso nahm er Lehraufträge zur Praxis des Erzählens an. Den Kontakt zu Tschechien aufrecht zu erhalten, war dabei gar nicht so einfach. Denn seine einzige Verbindung blieb in dieser Zeit das Radio und die Literatur. Er hörte jeden Sonntagvormittag die Hörspiele von Radio Vltava und las tschechische Autoren.

Wieder böhmisch-familiär

Das Jahr 2014 brachte dann die Lösung: Ellrodt erreichte eine stärkere Zusammenarbeit mit dem bayerisch-böhmischen Theaternetzwerk čojč, wo er seine spätere Frau aus Tschechien kennenlernte. Zunächst pendelten die beiden zwischen Aš und Nürnberg hin und her. Dann begann seine Frau ein Studium in Pilsen, zusammen zogen sie dafür nach Böhmen.

Von dort aus arbeitet nun er weiter als Geschichtenerzähler, zumeist mit Auftritten und Workshops in Deutschland.  Auftritte in Tschechien konnte Ellrodt allerdings bislang kaum realisieren: Erzählen als Form der darstellenden Kunst sei hier seiner Meinung nach so gut wie unbekannt, das Publikum in der Erwartungshaltung sehr durch die Konventionen des Schauspiels geprägt. Märchen sind als Erzähl-Genre durch die hervorragenden tschechoslowakischen Verfilmungen besetzt. Da werde eher selten ein extra Geschichtenerzähler gebucht. Aber eines ist klar: Die böhmische Küche und Mentalität sind Ellrodt so treu wie er ihnen.


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