Mit zahlreichen kulturellen Veranstaltungen belebt das Prager Pride-Festival vom 5. bis 11. August die tschechische Hauptstadt. LandesEcho hat mit der Festivaldirektorin Kamila Fröhlichová über das Thema „Familie“, die Entwicklung der Prager Pride und die fehlende Gleichberechtigung für LGBT-Personen gesprochen.

Wir haben das Thema „Familie“ gewählt, um die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, dass der Begriff nicht als Instrument zur Aufrechterhaltung von sozialer Ordnung verwendet werden sollte. In der tschechischen Gesellschaft wird der Begriff „Familie“ oft als Waffe eingesetzt, insbesondere wenn er mit dem traditionellen Modell von Mutter, Vater und Kindern assoziiert wird. Wir möchten zeigen, dass „Familie“ eine Gemeinschaft von Menschen ist, die sich verbunden fühlen. Hierzu zählen sowohl biologische Familien als auch Wahlfamilien, die für LGBT-Personen von großer Bedeutung sein können. Unser Thema greift zudem die aktuellen Diskussionen über die Gleichstellung der Ehe auf. In der Tschechischen Republik ist es LGBT-Personen zwar gestattet, Kinder zu adoptieren und zu betreuen, jedoch können sie dies bislang nicht als Paar tun. Dadurch wird das Kind rechtlich nur einem Elternteil zugeordnet. Wir wollen mit unserem Thema „Familie“ den umfassenden und inklusiven Charakter der Familie hervorheben. Daher bietet unser Prager Pride-Festival ein breites Familienprogramm, das alle Arten von Familienstrukturen willkommen heißt und feiert.

LE: Was ist das übergeordnete Ziel der Prager Pride und wie trägt es zur Verbesserung der Situation von LGBT-Menschen bei?

Die Hauptziele sind politische Lobbyarbeit, Bildung und Mobilisierung, öffentliches Engagement und die Unterstützung queerer Künstler. Als NGO versuchen wir, Druck auf die politischen Entscheidungsträger auszuüben. Sie sollen unsere Präsenz nicht nur erkennen, sondern auch Verantwortung übernehmen. Es ist wichtig, dass sie wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Gleichberechtigung von LGBT-Personen voranzutreiben, die noch immer auf ihre volle Anerkennung warten. Wir setzen uns zudem dafür ein, sowohl LGBT-Personen als auch die breite Öffentlichkeit über Menschenrechte aufzuklären und sie gleichzeitig für einen sozialen Wandel zu mobilisieren, der über LGBT-Themen hinausgeht. Unsere Bemühungen zielen darauf ab, die allgemeine Öffentlichkeit mit LGBT-Personen zu verbinden und gegenseitiges Verständnis zu fördern. Wir erwarten, dass dies dazu führt, dass LGBT-Personen gesehen und respektvoll behandelt werden. Darüber hinaus bietet unser Festival queeren Künstlern eine Plattform für öffentliche Auftritte, um dem Mangel an solchen Möglichkeiten entgegenzuwirken.

„Unsere Pride-Parade hat in den letzten 14 Jahren ein beachtliches Wachstum erlebt.“

LE: Wie hat sich das Prager Pride-Festival seit den Anfängen im Jahr 2010 entwickelt?

Wenn ich auf unseren Weg zurückblicke, ist es bemerkenswert, wie weit wir gekommen sind. Im Jahr 2010 war ich bereits Teil des Teams. Damals bestand unser Team aus ein paar Freiwilligen. Wir trafen uns in einem Café, um zu arbeiten, weil wir uns kein Büro leisten konnten. Jetzt sind wir eine riesige Organisation, die verschiedene Programme verwaltet. Darunter einen P2P-Beratungsdienst (Person-zu-Person-Beratungsdienst) für LGBT-Familien und für Menschen, die mit ihrem Coming-out zu kämpfen haben, eine Lobbygruppe, die sich für die Gleichstellung der Ehe einsetzt und eine Bildungsabteilung. Darüber hinaus haben wir ein LGBT-Gemeinschaftszentrum in Prag eröffnet. Auch unsere Pride-Parade hat in den letzten 14 Jahren ein beachtliches Wachstum erlebt. An der ersten Parade nahmen etwa 8000 Menschen teil, während die Parade im letzten Jahr ganze 60.000 Menschen anzog. Die Entwicklung zeigt sich also deutlich in den Zahlen.

Die Pride-Parade bildet den Höhepunkt des Prager Pride-Festivals. Sie beginnt traditionell am Wenzelsplatz und endet im Pride Park, dem Gebiet zwischen der Milady Horákové Straße und dem Letná Park. Foto: Archive of Prague Pride, Pruvod Nemochovska

LE: Vor welchen Herausforderungen standen Sie bei der Organisation des Festivals in diesem Jahr? 

In diesem Jahr stellte die Erfüllung der neuen Bedingungen für die Anmietung der Střelecký-Insel unsere größte Herausforderung dar. Dort werden wir unser „Pride Village“ errichten, einen unserer bedeutendsten Veranstaltungsorte. Die neuen Auflagen umfassen unter anderem kostenpflichtige Lärmpegelmessungen, eine hohe Kaution sowie komplexe Verhandlungen mit den Vermietern. Dennoch sind wir zuversichtlich, dass wir diese Hürden meistern und ein großartiges Festival erleben werden.

LE: Welche Art von Unterstützung haben Sie von der lokalen Regierung erhalten?

Finanzielle Unterstützung erhalten wir von der Prager Stadtverwaltung und, in geringerem Maße, vom Bezirk Prag 1. Darüber hinaus werden wir von mehreren Botschaften unterstützt, insbesondere von der US-Botschaft und der deutschen Botschaft. Dieses Jahr hat uns die deutsche Botschaft zusammen mit dem Goethe-Institut und dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfond geholfen, eine deutsche Bühne im Pride Park zu bauen, wo die Parade endet.

„Unsere Lobbyarbeit bewirkt positive Veränderungen.“

LE: Hat sich die Präsenz des Pride Festivals bereits auf die Politik ausgewirkt und hat sich die Situation von LGBT+ Menschen dadurch verbessert?

Im Juli hat das tschechische Gesundheitsministerium einen neuen Erlass veröffentlicht, der es schwulen und bisexuellen Männern erlaubt, Blut zu spenden. Zuvor waren diese Gruppen von der Blutspende ausgeschlossen. Zudem hat das tschechische Gericht im Mai die Anforderung aufgehoben, dass Transgender-Personen sich einer Operation unterziehen müssen, um ihre Geschlechtsumwandlung offiziell anerkennen zu lassen. Obwohl noch weitere rechtliche Schritte erforderlich sind, sind dies bedeutende Fortschritte, die zeigen, wie unsere Lobbyarbeit und unser Einfluss positive Veränderungen bewirken können.

LE: Welche positiven Veränderungen sehen Sie für die queere Gemeinschaft in der Tschechischen Republik voraus?

Im Idealfall stelle ich mir eine vollständige Gleichberechtigung für die queere Gemeinschaft vor. In der Realität glaube ich jedoch, dass Prag einen gesellschaftlichen Wandel durchläuft und zunehmend offener wird, nicht nur in Bezug auf queere Aktivitäten und Bars, sondern auch auf das, was ich eine „akzeptierende“ Stadt nennen würde. Dieses Wachstum wünsche ich mir nicht nur für Prag, sondern auch für andere Städte in der Tschechischen Republik, wie Pilsen (Plzeň), Brüx (Most), Aussig (Ústí nad Labem) und Brünn (Brno), wo kleinere Pride-Veranstaltungen stattfinden. Es wäre schön, wenn diese Events weiter wachsen und mehr Menschen an ihnen teilnehmen, um unsere Ideen zu unterstützen. Denn wir wissen, wie wichtig diese Unterstützung ist, um gleiche Rechte für alle zu schaffen.

Das Gespräch führte Rosa Bort.

Das Prager Pride-Festival ist ein bedeutendes Festival, das sich für die Gleichstellung von LGBT-Menschen einsetzt und auf den Werten Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde basiert. Seit Mai ziehen Pride-Paraden durch zahlreiche europäische Städte und dauern bis Anfang September an. Das Prager Pride-Festival findet dieses Jahr vom 5. bis 11. August statt. Obwohl es nicht in die Hauptsaison fällt, liegt es bewusst in den Schulferien, um Schülern und Studenten die Teilnahme zu erleichtern. Besucher können sich auf etwa 200 Veranstaltungen freuen, darunter Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Theater- und Tanzaufführungen, Talkshows und Begegnungen wie Speed Dating und Picknicks im Grünen. Viele der Veranstaltungen werden auf Tschechisch angeboten, aber es gibt auch Programmpunkte in Englisch und in tschechischer Gebärdensprache. In diesem Jahr wird erstmals ein empfohlener Eintrittspreis für das Samstagsprogramm im Pride Park erhoben. Die Besucher können zwischen drei Kategorien wählen: 100 Kronen (circa 4 Euro), 300 Kronen (circa 12 Euro) oder 500 Kronen (circa 20 Euro). Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des Prager Pride-Festivals: https://festival.praguepride.com/en/.

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