Trotz seines lebenslangen Bemühens um die Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen wurde dem „deutschen Märchenerzähler aus Reichenberg“ Otfried Preußler zu seinen Lebzeiten in seiner Heimatstadt kein würdiges Gedenken zuteil. Eine Ehrung kam erst jetzt, wenige Monate nach seinem 100. Geburtstagsjubiläum.
Otfried Preußlers Heimatstadt Reichenberg (Liberec) ehrte den Schriftsteller für seinen Beitrag im Bereich der Kultur mit der Ehrenmedaille der Stadt Reichenberg. Die Auszeichnung nahm die jüngste der drei Töchter von Preußler, Susanne Preußler-Bitsch, Kulturwissenschaftlerin und Historikerin, am 14. Mai im Festsaal des Reichenberger Rathauses von Oberbürgermeister Jaroslava Zámečník entgegen. „Ich bin überzeugt, dass mein Vater diese Ehre sehr schätzen würde“, sagte Preußler-Bitsch während der Zeremonie.
Bis vor Kurzem war Preußler im heutigen Liberec fast unbekannt und das, obwohl „die kleine Hexe“ dank dem beliebten Fernseh-Abendmärchen („Večerníček“) fast jedes tschechische Kind kennt. „Es ist so etwas, wie eine Satisfaktion“, bemerkte Oberbürgermeister Jaroslav Zámečník. In der Stadt unter dem Jeschken könnte man, so Zámečník, bestimmt mehrere Deutsche finden, die eine Ehrung verdient hätten.
Preußler, einer der bedeutendsten Kinder- und Jugendbuchautoren („Krabat“, „Räuber Hotzenplotz“, „Die kleine Hexe“), ist am 18. Februar 2013 im Alter von 89 Jahren im bayerischen Prien am Chiemsee gestorben. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Gründung der Technischen Universität Liberec (2013) hatte ihn der wissenschaftliche Rat der Fakultät für Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und Pädagogik für die Erteilung des Ehrendoktor-Titels nominiert. Doch Preußler starb.
Gedenktafel geplant
Im Vorjahr wurde Preußlers Werk anlässlich seines 100. Geburtstags in einer Ausstellung in Reichenberg und im Kloster Haindorf (Hejnice) vorgestellt sowie bei einer wissenschaftlichen Konferenz mit breitem kulturhistorischem Kontext an ihn erinnert. Der Verein der Deutschen in Nordböhmen ist aktuell auf der Suche nach finanzieller Unterstützung, um eine Gedenktafel für Preußlers Wohnhaus anfertigen zu lassen. Bis heute ist in Preußlers Heimatstadt keine Straße oder Institution nach ihm benannt.
Die Wissenschaftliche Regionalbibliothek Liberec veranstaltete bereits mehrmals eine Führung zu Orten, die für Preußler wichtig waren. Zu den Häusern, wo er geboren wurde und lebte, oder zu der sogenannten Rudolfsschule, der öffentlichen Volksschule an der heutigen Straße des fünften Mais (ul 5. května), die der Schriftsteller und schon seine Eltern besuchten.
Inspiration von Zuhause
In dem Schulgebäude spielt sich die Geschichte des Buches „Herr Klingsor konnte ein bisschen zaubern“ ab. „Das Vorbild für die Lehrerin Ernestine Killian war Preußlers Mutter, das Vorbild von Fachlehrer Josef Teubner war sein Vater Josef Preußler“, erklärte Marek Sekyra, der mit seiner Kollegin Franiška Dudková Párysová die literarische Führung vorbereitete.
Die Regionalbibliothek in Reichenberg hat in ihrer Sammlung 54 Werke von Preußler in deutscher, 23 in tschechischer und vier in slowakischer Sprache. Sie besitzt auch ein wertvolles Originalmanuskript einer Gedichtsammlung von Josef Preußler, dem Vater des Kinderautors. Otfried Preußler wollte sie in den 1990er Jahren von der Bibliothek erwerben. „Die Sammlung war aber im Staatsbesitz und deswegen war das nicht möglich“, erinnert sich Sekyra. Die Bibliothek ließ damals eine handgebundene Kopie anfertigen und schenkte sie Preußler.