Das Egon-Schiele-Art-Centrum (ESAC) im südböhmischen Böhmisch Krummau (Český Krumlov) zeigt eine große Retrospektive über Andrej Bělocvětov und erinnert an das nahende 100. Geburtsjahr des bemerkenswerten tschechischen Künstlers.
Schon die Biografie von Andrej Bělocvětov (1923-1997) würde für eine Romangeschichte ausreichen: Auf die Welt kam er in Prag. Seine Eltern aber waren russische Emigranten in Argentinien, die sich während einer Studienreise an der Moldau aufhielten. Der Vater verließ seine Familie nach drei Jahren und zog nach Südamerika zurück. Seine Frau und den Sohn sah er nie wieder. Andrej lebte seitdem mit der Mutter, einer Klaviervirtuosin, in Prag.
Da ihn von Kindheit an die Bildende Kunst anzog, besuchte er parallel zum russischen Gymnasium auch die staatliche Grafikschule. Anfang 1940 traf Bělocvětov den tschechischen Fotografen Josef Sudek (1896-1976), mit dem er eine lebenslange Freundschaft schloss. Zu seinen Bewunderern unter den tschechischen Künstlern zählten auch die Maler Jan Zrzavý (1890-1977) und die Bildhauer Karel Lidický (1900-1976) und Hana Wichterlová (1903-1990). Auf ihre Empfehlung hin nahm Bělocvětov von 1943 bis 1948 alljährlich an den Ausstellungen des tschechischen Künstlervereines Umělecká beseda teil. Anfang der 1950er Jahre bezog er ein Atelier in Prag-Újezd, das sich unweit der Ateliers von Wichterlová und Sudek befand. Der musikliebende Bělocvětov war regelmäßig zu Gast bei den von Sudek veranstalteten Musikabenden.
Andrej Bělocvětov, fotografiert von Josef Sudek. Foto: ESAC
Bilder auf Rollo und Holz
Da Bělocvětov lebenslang arm war, diente ihm als Grundlage Material, das er billig oder ganz umsonst erwarb. Wenn er schon zur Leinwand griff, handelte es sich um ein- oder zweifach verarbeiteter, zusammengenähter Stoff, darunter ein verschlissenes Fensterrollo, altes Holz oder Holzspanplatten. Thematisch wandte sich Bělocvětov der Natur zu, so wie auf den Gemälden „Der Vorfrühling“ oder „Das Gewitter über Prag“. Einen weiteren Bereich stellte auch die Familie dar, wie es das Bild „Die Mutter mit dem toten Kind“ veranschaulicht.
Anfang der 1980er Jahre schloss Bělocvětov Freundschaft mit dem viel jüngeren Künstler Vladimír Franz. Der tschechische Komponist, Maler sowie ehemalige Präsidentschaftskandidat von 2013 schaffte es, den aus der Öffentlichkeit zurückgezogenen und in Isolation lebenden Maler wieder zum Malen wieder zu bringen. Die Begegnung mit Bělocvětovs Werk beschreibt Franz in seinem Buch „Meine Heimat“ so: „Als ich damals die Bilder von Bělocvětov gesehen hatte, wurde mir sofort klar, um wen es sich handelt… leider im Vergleich zu einigen Theoretikern, bei denen es über 30 Jahre dauerte – und die sich bis jetzt noch nicht im Klaren sind…“ Über die Kunst des Künstlers schwärmt Franz im gleichen Buch in höchsten Tönen: „Bei Bělocvětov scheint es so zu sein, als ob er in keine Schublade gehöre… Denn es handelt sich um ein Werk von europäischem Ausmaß, das völlig einheitlich wirkt.“ Damit sind Bělocvětovs scheinbar zerbrechliche surrealistische Bilder gemeint. Von realen Objekten entwickelt er sich hin zu farbenfrohen Abstraktgemälden.
200 Werke in fünf Sälen
Im Unterschied zu früheren Ausstellungen Bělocvětovs in Pilsen (Plzeň) und im Barock-Schloss Teinitz (Týnec), die sich auf sein Schaffen während der 1950er Jahre konzentrierten, verfolgt die Schau im Egon-Schiele-Art-Zentrum alle Schaffensperioden des Künstlers. Seine Bilder werden in fünf Sälen gezeigt, wo rund 200 Werke präsentiert sind, die Bělocvětov von den 1950er bis in die 1990er Jahre malte. Damit handelt es sich in Krummau um die bisher größte Einzelausstellung mit Bildern von Andrej Bělocvětov.
Ergänzt wird die umfangreiche Ausstellung durch Aufnahmen von Josef Sudek. Die Schwarz-Weiß-Fotos stammen aus dem Besitz von Sudek’s Erben, dem Kunstgewerbemuseum in Prag und weiteren Institutionen. Darauf ist Bělocvětov im Atelier in den 1950er und 1960er Jahren abgelichtet, gemeinsam mit einzelnen Objekten wie Brot, Eier oder einer Kanne. In der Ausstellung hängen auch Bělocvětovs Werke, auf denen er wiederum Josef Sudek porträtierte. Mit ihm beschäftigte sich Bělocvětov immer wieder – so wie auf dem Bild „Der Photograph“ mit einer Birne von 1952-53 oder dem expressiven Sudek-Porträt aus den 1960er Jahren bis zum Abstraktbildnis, das er in den 1970er Jahren malte.
Ein Atelier wie eine Galerie. Der Fotograf Josef Sudek hat die Wirkungsstätte Bělocvětovs auf der Prager Kleinseite festgehalten. Foto: ESAC
Überraschend vital
Während der 1970er Jahre verfiel Bělocvětov aufgrund seiner bürgerlichen Herkunft und politischen Haltung in Isolation und Skepsis. Obwohl er sich in seinem Schaffen lebenslang immer wieder mit dem Tod beschäftigte, wirken die Bilder gerade aus seinen letzten Lebensjahren überraschend vital. Sie spielen mit den Farben, sind voll von Poesie und unterschiedlich stilisierten Formen.
Die Retrospektivausstellung von Andrej Bělocvětov ist im Egon-Schiele-Art-Centrum in Bömisch Krummau bis zum 31. Dezember 2022 zu sehen.
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