Wo einst Eisen und Stahl hergestellt wurden, findet ab heute mit „Colours of Ostrava” wieder eines der beliebtesten und größten Musikfestivals in Tschechien statt.
Früher war es das „metallurgische Herz der Tschechoslowakei”. Wer heute nach Mährisch-Ostrau (Ostrava) kommt, das nicht weit von der polnischen Grenze liegt, merkt schnell: Diese Stadt atmet Industriegeschichte. Inmitten der Regionalstadt mit mehr als 280.000 Einwohnern erhebt sich ein industrieller Komplex – schon von Weitem sind dessen Schornsteine zu sehen. Rauch steigt heute von dort aber keiner mehr auf. Im September 1998 kam es zum letzten Abstich am Hochofen der Witkowitzer Eisenwerke. 162 Jahre Industriegeschichte fanden damit an diesem Tag ein Ende. Die Kohleförderung im Stadtgebiet wurde schon vier Jahre zuvor eingestellt. Heute sind die Witkowitzer Eisenwerke ein nationales Kulturdenkmal und Teil des Europäischen Kulturerbes.
Ostrau musste sich ab den späten 1990er Jahren also neu erfinden. Im Gegensatz zu anderen ehemaligen Industriegebieten gelang der Strukturwandel hier besser. Vor allem schaffte es die Stadt, eine Heimat für zahlreiche kulturelle Einrichtungen zu werden, die sich geschickt in die industrielle Kulisse fügen. Insbesondere die Witkowitzer Eisenwerke sind heute Schauplatz für Kultur, Musik, Kunst und Sport. Zuletzt beherbergten sie eine Fanzone während der Eishockey-Weltmeisterschaft, die in Prag und Ostrau ausgetragen wurde. Und das nächste kulturelle Großereignis steht schon vor der Tür.
Bühne für internationale Stars
Einmal im Jahr wird Ostrau zur Bühne für Weltstars, vor allem aus der Rock- und Popmusik. Seit 2012 findet das Musikfestival „Colours of Ostrava” auf dem Gelände der ehemaligen Witkowitzer Eisenhütte statt, laut den European Festival Awards ist es eines der besten europäischen Musikfestivals. Auch dieses Jahr haben sich weltbekannte Interpreten für die diesjährige Ausgabe des Festival vom 17. bis 21. Juli angekündigt. Zu ihnen zählen die amerikanische Rockband aus Kalifornien, Queens of the Stone Age sowie Lenny Kravitz. Der sechzigjährige amerikanische Sänger und Komponist wird zum ersten Mal bei „Colours of Ostrava” auftreten. Ebenso dabei sind der britische Sänger Sam Smith oder die schwedische Sängerin Zara Larsson.
Seit seinem Bestehen sind bei diesem Festival schon zahlreiche internationale Stars aufgetreten, darunter beispielsweise die amerikanischen Bands Imagine Dragons, Twenty One Pilots oder One Republic sowie die amerikanischen Sänger und Rapper Pharrell Williams oder Macklemore. Auch heimische Künstler haben natürlich ihren festen Platz im Programm, etwa Chinaski, Ben Cristovao oder Ewa Farna.
„Wir werden weiterhin weltweit nach Künstlern suchen, die absolute Weltklasse mitbringen und deren Schaffen auf irgendeine Weise außergewöhnlich und originell ist. Ich gebe zu, dass wir immer noch gerne entdecken und es uns Spaß macht, unsere Besucher zu überraschen. Viele Namen, die sich in der Vergangenheit in Ostrava präsentierten, wurden erst nach ihrem Auftritt auf unserem Festival weltbekannt“, bemerkt die Gründerin und Direktorin des Festivals, Zlata Holušová.
Der bisher letzte, 20. Jahrgang, bot über 350 Programmpunkte auf 19 offenen und überdachten Bühnen – Konzerte, Diskussionen, Theater, Filme, Workshops und künstlerische Aktivitäten.
Attraktionen für die Kleinen und Großen
Das ehemalige Industriegelände in Dolní Vítkovice bietet aber noch viel mehr. Neben dem Bergbaumuseum beherbergt das Gelände seit 2014 die „Große Welt der Technik”, die mit interaktiven Ausstellungen Groß und Klein begeistert. Dessen Schöpfer ist der bekannte tschechische Architekt Josef Pleskot. Hinter der von Grün umgebenen Spiegel-Fassade verbergen sich vier ständige interaktive Ausstellungen: „Die Welt der Kinder”, „Die Welt der Wissenschaft und Entdeckungen”, „Die Welt der Zivilisation” und „Die Welt der Natur”.
Einen Besuch wert ist auch der „Bolt Tower”, eine über zwanzig Meter hohe Aufstockung des Hochofens Nr. 1, die sich auf fast 80 Meter erhebt und 2015 fertiggestellt wurde. Neben einer Aussichtsplattform mit Blick auf Ostrau und die Witkowitzer Eisenwerke beherbergt er auch ein Café.
Besonders beeindruckend ist die Gong-Multifunktionshalle, die früher 50 000 Kubikmeter gereinigtes Hochofengas fassen konnte und heute Platz für bis zu 2500 Besucher bietet. Sie wird für Bildungs- und Kulturveranstaltungen sowie internationale Konferenzen und Kongresse, Konzerte oder Ausstellungen genutzt.
Dolní Vítkovice bietet auch Führungen an, die die Besucher in die Geschichte des Industrieareals eintauchen lassen. Es gibt drei kommentierte Touren, darunter den „Hochofen Kreislauf“, der die Geschichte von Witkowitz und die Herstellung von Roheisen erläutert, und den Besichtigungsrundgang KOX, der die Koksproduktion zeigt. Für fremdsprachige Besucher steht ein Audioguide zur Verfügung.
Trotz ihres vielleicht düsteren Äußeren offenbaren die verrosteten Gebäude der Eisenwerke heute viel mehr als auf den ersten Blick ersichtlich. Ein Spaziergang durch das Areal ist bereits ein besonderes Erlebnis.
Mehr Informationen auf www.dolnivitkovice.cz
Dieser beitrag erschien zuerst in der landesecho-ausgabe 7/2024
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