Felix Häring ist seit seiner Kindheit ein großer Fan des Eurovision Song Contest. In diesem Jahr durfte der Student aus Leipzig, der sich auch im Deutsch-Tschechischen Jugendforum engagiert, zum ersten Mal live dabei sein.
Als im Dezember 2021 die ersten Beiträge für den Eurovision Song Contest ausgewählt wurden, ahnte ich noch nicht, dass es für mich persönlich eine ganz besondere Erfahrung werden würde. Mein erster ESC vor Ort. Nach dem Sieg der italienischen Rockband „Måneskin“ im Vorjahr fand er diesen Mai 2022 in Turin statt. Mitte April stand fest, dass ich live in Turin anwesend sein würde. Zwar hatte ich den Wettbewerb seit Kindheit verfolgt, aber vor Ort zu sein, war eine Premiere für mich.
Hier fand die Eröffnungszeremonie statt: im Palast von Venaria Reale in Turin. Foto: Archiv Felix Häring
Tschechien ist seit 2007 dabei
Der Eurovision Song Contest (ESC) ist ein europaweiter Musikwettbewerb, der seit 1956 von öffentlichen Rundfunkanstalten der Staaten Europas organisiert wird. Jährlich erreicht die Veranstaltung ein Publikum von über 200 Millionen Zuschauern in ganz Europa und darüber hinaus. Deutschland – vertreten durch den Norddeutschen Rundfunk (NDR) – war als Gründungsteilnehmer mit einer Ausnahme in jedem Jahr vertreten und konnte den Wettbewerb bereits zweimal gewinnen, 1982 mit Nicole und „Ein bisschen Frieden“, sowie 2010 mit Lena und „Satellite“.
Im Gegensatz dazu gehört Tschechien zu den Ländern mit der kürzesten Geschichte im Wettbewerb: Das Land debütierte 2007 mit der der Gruppe „Kabát“ und dem Rocksong „Malá dama“. Das war zwar ein Erfolg im eigenen Land, kam im Halbfinale jedoch auf den letzten Platz. Nach Jahren ohne Erfolg und dem Rückzug vom Wettbewerb kam Tschechien 2015 erfolgreicher zurück und konnte sich mehrfach für das Finale qualifizieren. Höhepunkt bisher war 2018 der sechste Platz von Mikoláš Josef mit dem Song „Lie to me“.
Tschechien und Deutschland im Finale
Den tschechischen Vorentscheid im vergangenen Dezember gewann die tschechisch-norwegische Elektroband „We are Domi“ mit dem Elektrotitel „Lights off“, der vom Verarbeiten einer gescheiterten Beziehung handelt. Die drei Bandmitglieder Dominika Hašková, Casper Hatlestad und Benjamin Rekstad lernten sich während ihres Studiums am Leeds College of Music in Großbritannien kennen. Am 12. Mai traten sie als einer von 18 Beiträgen im zweiten Halbfinale auf, von denen sich zehn für das Finale am Samstag qualifizierten. Auch wenn die internationale Presse „We are Domi“ mehrheitlich im Finale sah, war die Anspannung bei der Verkündung der Finalisten spürbar. Umso größer war die Erleichterung, als Tschechien als zweiter Finalist genannt wurde. Nach 2016, 2018 und 2019 war dies der vierte Finaleinzug und definitiv ein großer Erfolg für das Tschechische Fernsehen (Česká televize), das für den tschechischen Beitrag verantwortlich zeichnet.
Deutschland ist als einer der größten Beitragszahler zum Wettbewerb stets direkt für das Finale gesetzt. Den Vorentscheid im März gewann der Sänger Malik Harris aus Landsberg am Lech mit dem Popsong „Rockstars“. Das Lied handelt von der „guten alten Zeit“, in der viele Dinge einfacher gewesen seien. Der in einem musikalischen Haushalt aufgewachsene Sänger beherrscht mehrere Instrumente, die er auf im Rahmen seines Auftritts anspielte.
Das große Finale brachte eine abwechslungsreiche Mischung an Sprachen und Themen. Von moldawischen Zügen, britischen Astronauten bis hin zu tanzenden Bananen aus Norwegen. Die serbische Interpretin Konstrakta, die das Gesundheitssystem in ihrem Land kritisierte, trat mit Waschschale und Seife auf und wusch sich auf der Bühne die Hände. Frankreich präsentierte seinen Beitrag in der Regionalsprache Bretonisch und Finnland sandte mit „The Rasmus“ eine seiner bekanntesten Rockbands.
Noch sind keine Zuschauer da – die Bühne in Turin vor dem großen Finale. Foto: Archiv Felix Häring
12 Punkte für die Ukraine
Die Punktevergabe am Ende der Show verlief aus deutsch-tschechischer Sicht leider wenig erfolgreich, da beide Beiträge jenseits der besten 20 blieben. Trotzdem können „We are Domi“ und Malik stolz auf ihre Auftritte sein, mit denen sie ihre Länder würdig vertraten. Grund zum Jubeln hatten andere: Gewinner wurde zum dritten Mal die Ukraine mit der Gruppe „Kalush Orchestra“ und dem Hip-Hop-Folk-Song „Stefania“, der vor allem im telefonischen Publikumsvotum haushoch gewann und dort in 28 von 39 Ländern – auch in Tschechien und Deutschland – auf dem ersten Platz landete. Die Gewinner bedankten sich für die Unterstützung und widmeten ihren Sieg allen Ukrainern. Auf den nächsten Plätzen folgten Großbritannien und Spanien, die sich über ihre jeweils beste Platzierung seit den 1990ern freuen konnten.
Auch wenn von Turin – vor allem im Vergleich zu Vorjahren – eine eher lockere Auslegung von Organisation und zahlreiche technische Pannen in Erinnerung bleiben, waren es zwei unvergessliche Wochen. Zum Erfolgscharakter trugen maßgeblich die langjährigen und teils in Vereinen organisierten Fans aus aller Welt bei, die sogar ein eigenes Programm mit Veranstaltungen aufgestellt hatten, das auf großen Anklang stieß. Die Fangemeinde brachte nicht nur viel Farbe nach Italien, sondern auch den Geist der Eurovision, der Menschen zwischen Lissabon, Reykjavik und Tiflis nur durch die Macht der Musik zumindest für ein paar Tage im Mai zu einer Gemeinschaft macht. Auch wenn 2022 für Deutschland und Tschechien nicht der erfolgreichste Jahrgang war, ist es dieses Gefühl, das bereits jetzt Vorfreude auf den Mai 2023 weckt.
Über den Autor: Felix Häring studiert European Studies in Leipzig und engagiert sich im Deutsch-Tschechischen Jugendforum. Seitdem er denken kann, ist er großer Fan des Eurovision Song Contest und war bei der Ausgabe 2022 in Turin live vor Ort dabei.