Der „Brünner Todesmarsch“ im Frühsommer 1945 war eines der tragischsten Ereignisse im Rahmen der wilden Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der damaligen Tschechoslowakei. Seit 2015 findet jährlich ein Gedenkmarsch auf derselben Strecke statt – in umgekehrter Richtung. Unsere Autorin war in diesem Jahr dabei und schildert ihre Beobachtungen.
Etwa 27.000 Menschen – das entspricht der Hälfte der damaligen deutschsprachigen Bevölkerung Brünns (Brno) – wurden ab 31. Mai 1945 und in den Folgetagen aus Brünn über Pohrlitz (Pohořelice) über die Grenze ins sowjetisch besetzte Österreich getrieben, mindestens 5.000 Menschen starben auf diesem rund 55 Kilometer langen Marsch an Erschöpfung, Hunger oder Krankheit, einige kamen auch gewaltsam ums Leben. Seit 2015 geht man die Strecke in die umgekehrte Richtung als damals 1945. Coronabedingt musste der „Versöhnungsmarsch“ im Rahmen des Festivals Meeting Brno in diesem Jahr auf den 12. September verschoben werden.
Gedenken an Opfer von Flucht und Vertreibung gestern und heute
Es waren durchaus etwas weniger Gäste als die Jahre davor, nichtsdestotrotz war es eine ganze Menge an Menschen, die sich in der Früh in Pohrlitz am Gedenkplatz einfand. Eine kleine Kapelle stimmte die Besucher auf das Event mit einem interessanten Mix aus tschechischen Volksliedern, Glen Hansard und Beatles-Coverversionen ein. Die Stimmung war trotz der insgesamt schwierigen Situation und des traurigen Anlasses gelöst und angenehm. Für viele Besucher ergaben sich sichtlich fröhliche Wiedersehen mit alten Bekannten, aber auch neue Freundschaften wurden rasch geknüpft. Jaroslav Ostrčilík, der Festivalgründer, hielt die Begrüßungsrede und auch der Bürgermeister von Pohrlitz ließ es sich nicht nehmen, uns eine gute Reise zu wünschen. Zum Abschluss der Eröffnung gab es ein deutsch-tschechisches Gebet, in dem der damaligen Opfer gedacht wurde, in dem aber auch Menschen, die heute Flucht und Vertreibung erleben müssen, ihren Platz fanden.
Geschichten mit Sicherheitsabstand
Begleitet von zahlreichen Polizisten ging es dann recht rasch los für alle Wanderer. Wer nicht so gut zu Fuß war, hatte die Möglichkeit, sich mit dem Bus zur Einweihung der neugebauten Kirche Maria Restituta in Brno-Lesná bringen zu lassen oder auch zurück nach Brünn zu fahren und dort auf die Wanderer zu warten.
In der Früh sah es gar nicht danach aus, aber es wurde ein ungewöhnlich sonniger und heißer Septembertag! Am Ende des Tages hatten die meisten Wanderer – und ich war dabei keine Ausnahme – einen verbrannten Nacken und waren von Kopf bis Fuß durchgeschwitzt. Nicht alle Teile der Strecke waren malerisch, die spannenden Gespräche ließen einen die manchmal triste Umgebung jedoch schnell vergessen. Das Publikum kam trotz allem von weither angereist: aus Deutschland, Österreich und allen Regionen der Tschechischen Republik. Mit dem nötigen Sicherheitsabstand wurden Geschichten und Erinnerungen ausgetauscht. Am Weg erwarteten uns regelmäßige Stärkungen – Brötchen, Parky (Würstchen) und Wasser, aber auch Bier für die besonders Durstigen stand zur Verfügung. Wer nicht den ganzen Weg marschieren wollte, konnte sich an mehreren Stellen mit einem Shuttlebus zurück nach Brünn bringen lassen. Für jene, die mitten auf der Strecke nicht mehr weiter konnten, stand die Polizei als Freund und Helfer zur Seite, der Windhund Marquis machte davon Gebrauch und ließ sich mit dem Polizeitransporter zum Shuttlebus bringen.
„Krieg ist eine dreckige Angelegenheit“
Kurz vor Brünn in Mödritz (Modřice) kehrten wir in ein Gasthaus ein. Diese Gelegenheit nutzte ich, um mit einer Stammtischgesellschaft zu plaudern. Es stellte sich heraus, dass die Mutter von einem der Männer tatsächlich eine verbliebene Deutsche war, er selber aber noch nie vom Versöhnungsmarsch gehört hatte. Die Gesellschaft am Tisch war sehr freundlich und gelassen, negative Einstellungen gegenüber der Veranstaltung hegte keiner. Um einen der Männer zu zitieren: „Der Krieg ist eine dreckige Angelegenheit und am Ende büßen dafür immer die Unschuldigen!“
Das letzte Stück mussten wir alle die Shuttlebusse benutzen, für den Stadtverkehr wäre ein halber Kilometer langer Pilgerzug zu viel. Mit Polizeieskorte und Blaulicht rasten wir durch die Stadt wie ein hochwürdiger Staatsbesuch. Eine kleine Gegendemonstration wartete auf uns dann aber doch noch. Kurz vor dem Mendelplatz versammelten sich ungefähr acht Gegner des Versöhnungsmarsches. Dieses Treffen verlief aber friedlich und auch relativ still.
Kurz vor dem Ziel gab es eine kleine Gegendemonstration mit Anhängern des Clubs der tschechischen Grenzgänger (Klub českého pohraničí). Foto: Jonas Lueth
Endlich angekommen marschierten wir in den Kirchhof des ehemaligen Klosters am Mendelplatz ein und wurden mit Applaus empfangen, unter anderem applaudierten uns Zeitzeugen, die damals selbst den Todesmarsch gehen mussten. Das war ein sehr bewegender Moment!