Einst strömten von hier die Massen zu Großveranstaltungen im Strahov-Stadion. Nachdem das Stadion geschlossen wurde, geriet auch die Straßenbahnschleife Dlabačov zu einem trostlosen Ort. Vor zwei Jahren öffnete dann das Bistro “Točna” und verwandelte die Umgebung wieder in ein Zentrum für Entspannung und Kultur. Das Highlight: eine zum Gastraum umfunktionierte Tatra T3-Straßenbahn. Unsere LandesBloggerin Maja hat sich vor Ort umgeschaut.

Als ich an einem warmen Frühsommertag auf einem Spaziergang in Prag 6 durch eine kleine Lücke in einer Baumreihe ging, entdeckte ich hinter einer weiten Wiese einen kleinen Waggon auf Schienen, die offenbar nicht mehr für den Verkehr genutzt werden. Ich ging näher heran  und sah anstelle der Liniennummer mit Richtungsangaben oben an der Anzeigetafel nur einen kleinen Bierkrug in Form einer Bahn. Wie ich herausfand, handelt es sich um das Logo des Bistros “Točna”, das hier vor etwa zwei Jahren an der ehemaligen Haltestelle – einer  Straßenbahnschleife – eröffnete. Sogar das typische Haltestellenschild mit der Aufschrift “Dlabačov” steht immer noch am Ende der einstigen Station. Gleich neben der zum Gastraum umfunktionierten Straßenbahn befindet sich ein kleiner Stand, der einfache Imbissgerichte und Getränke verkauft. In der Umgebung laden weitere Sitzmöglichkeiten im Freien zum Verweilen ein. Auch auf den mit Lichterketten geschmückten Treppen können Besucher entspannen.

Gemütliche Atmosphäre

Ich zögerte nicht lange und entschloss, hier eine Pause von meinem Spaziergang einzulegen. Bei der angenehmen Stimmung in der liebevoll dekorierten Straßenbahn genoss ich die hausgemachten Palatschinken. Alle Gerichte bereitet der Familienbetrieb selbst zu, wobei das Angebot häufig wechselt. Es fühlte sich ungewohnt an, an einem Ort, der meistens laut und in Bewegung ist, zur Ruhe zu kommen. Normalerweise wäre es verboten, in einer Straßenbahn zu essen, hier wurde aber genau das zum Konzept. Die neuen Inhaber entwickelten zusammen mit der Kladener Brauerei in Kročehlavy sogar die eigene Biermarke “Točená” in verschiedenen Geschmacksrichtungen. 

Die originelle Idee entstand im Sommer 2022, nachdem die Stadtverwaltung den Ort zur Vermietung freigab. 2004 wurde die Straßenbahnschleife stillgelegt und die Umgebung geriet zu einem kleinen Schandfleck mitten in der Stadt. Die Tatra T3-Straßenbahn – Baujahr 1989 – zuckelte noch bis vor einigen Jahren durch die tschechische Hauptstadt, bevor sie die Betreiber des Bistros zum Gastraum umgestalteten.

Die gemütliche Einrichtung des umgebauten Innenraums mit den klassischen Straßenbahn-Sitzen. Foto: Maja Dauser
Die gemütliche Einrichtung des umgebauten Innenraums mit den klassischen Straßenbahn-Sitzen. Foto: Maja Dauser

Alle Knöpfe drücken

Ich nutze jeden Tag die Straßenbahn, um schnell von A nach B zu kommen. Wie die Perspektive des Fahrers aussieht, hatte ich bisher aber noch nicht in Erfahrung bringen können. Nun war es möglich, einmal selbst den Führerstand zu erkunden. Also öffnete ich mit einem Ruck die etwas klemmende Schiebetür und konnte einmal selbst die verschiedenen Regler bedienen und alle möglichen Knöpfe drücken. Ich hatte das Gefühl, gleich losfahren zu können. Die Bahn ist noch vollständig ausgestattet, mit Funkgerät, Gaspedal und Bremse, die jetzt natürlich außer Betrieb sind.

Der Führerstand, in dem früher der Fahrer saß, ist im “Točna Dlabačov” frei zugänglich. Foto: Maja Dauser
Der Führerstand, in dem früher der Fahrer saß, ist im “Točna Dlabačov” frei zugänglich. Foto: Maja Dauser

Gelegentlich spielen Musiker rund um die Straßenbahn Live-Musik oder es finden andere kulturelle Veranstaltungen statt. Mehr aktuelle Informationen dazu kann man auf der offiziellen Website finden. Das Bistro hat jeden Tag von 16 bis 21.30 Uhr geöffnet, an Wochenenden schon ab 11 Uhr morgens. Übrigens: Von hier beginnt die historische Straßenbahnlinie 42 ihre Rundfahrt durch Prag.


Über unsere LandesBloggerin: Ich bin Maja und komme ursprünglich aus Nürnberg in Bayern. Gerade bin ich mitten im Journalismus-Studium an der Hochschule in Magdeburg. Jetzt absolviere ich ein dreimonatiges Praktikum beim LandesEcho, um mit journalistischer Praxis vertrauter zu werden und mehr über die deutsche Minderheit in Tschechien zu lernen. Besonders interessiere ich mich für Politik, gesellschaftliche Themen und dafür, andere Menschen und Kulturen kennenzulernen. An Wochenenden fotografiere und zeichne ich gerne oder lese Romane. Ich freue mich darauf, von relevanten Themen und neuen Erfahrungen berichten zu können. 

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