Eine der schönsten Freizeitbeschäftigungen im hügeligen Prag ist die Suche nach geeigneten Orten, um den Sonnenuntergang anzusehen. Unsere LandesBloggerin Valerie hat abseits der Prager „Klassiker“ Riegrovy Sady oder dem Letnapark einen besonderen Aussichtspunkt gefunden: Hoch über den Dächern Prags.
Ein etwas ungewöhnlicher Ort, um den Sonnenuntergang zu erleben, ist die Nuselský most (Nuselský-Brücke). Das massive Bauwerk, das die Bezirke Prag 2 und Prag 4 miteinander verbindet, ist 42,5 m hoch. Es überquert den Botič-Bach, eine große Bahnstrecke und den Folimanka-Park . Neben der in beide Richtungen dreispurigen Straße gibt es auf beiden Seiten der Brücke einen Fußweg.
Besonders auf dem Fußweg entlang der Westseite der Brücke lässt sich an lauen Sommerabenden die untergehende Sonne bestaunen, welche von links durch die Burg Vyšehrad, und von rechts durch die Klosteranlage der Kirche Mariä Himmelfahrt und Karls des Großen (Kostel Nanebevzetí Panny Marie a sv. Karla Velikého) eingerahmt wird. Aber auch auf der Ostseite der Brücke lohnt sich der Blick – auf das am Hang liegende Häusermeer des Bezirks Prag 10.
Mulmiges Gefühl
Allerdings ist der Stand auf der 485 Meter langen und 26,5 Meter breiten Brücke, welche die größte und eine der meist befahrensten Brücke Tschechiens ist, für mich auch gewöhnungsbedürftig: Nur wenige Menschen laufen auf der Brücke, dafür direkt neben mir der laute Verkehr, vor mir das Sicherungsgitter am Geländer und weit unter mir das Tal. Erst später fiel mir auf, dass sich sogar innerhalb der Brücke unter der sechsspurigen Fahrbahn auch noch der Metro-Tunnel der Linie C befindet und täglich mehr als 300.000 Menschen befördert.
Mulmig wird mir auch bei dem Gedanken an den Beinamen, den die Brücke bis Anfang der 2000er Jahre trug: „Suicide Bridge“. Bis die Sicherheitsvorkehrungen, insbesondere am Geländer, erhöht wurden, sollen 200 bis 300 Menschen von der Nuselský most in den Tod gesprungen sein. Seit 2011 erinnert ein umstrittenes Denkmal, im Park unter der Brücke, an die Toten. Es stammt vom Künstler Krištof Kintera, hat die Form einer Straßenlaterne und trägt den Titel „Aus eigenem Willen“.
Gewusel im Folimanka-Park
Es lohnt sich aber nicht nur ein Spaziergang auf der imposanten Brücke, sondern auch der Weg ins Tal unterhalb des massiven Bauwerks. Im Folimanka-Park gibt es viele Spielplätze, Fitness-Parcours, einen Skatepark, Bistros und viel Grün. Dort fühlt man sich wirklich sehr großstädtisch im Schatten der Nuselský most. Auch weil der Park sich großer Beliebtheit bei den Anwohnerinnen und Anwohnern erfreut und immer etwas los ist: Hunde werden ausgeführt, Kinder planschen in der kleinen Fontäne, die neuesten Tricks auf dem Skateboard werden präsentiert und das ein oder andere Feierabendbier getrunken. Von meinem mulmigen Gefühl 40 Meter höher, spüre ich hier nichts mehr.
Ein ambivalenter Brückenbau
Die Spannbetonbrücke wurde in den Jahren 1967 bis 1973 gebaut und war nicht unumstritten: Denn für den Bau mussten einige Gebäude und Flächen weichen. Um den nördlichen Brückenkopf zu errichten, wurde unter anderem das Neorenaissance- Gebäude des Tschechischen Kinderkrankenhauses im Jahr 1971 zerstört. In Erinnerung an den verstorbenen tschechischen kommunistischen Revolutionär und ehemaligen Präsidenten wurde die Brücke am 22. Februar 1973, unter dem Namen Most Klementa Gottwalda (Klement-Gottwald-Brücke) eröffnet. Im Jahr 1974, vor 50 Jahren, fuhr die erste Straßenbahn durch den Tunnel in der Brücke. Und im Jahr 1989 wurde die Brücke schließlich in Nuselský Most umbenannt.
Ein wenig erinnert mich das gigantische Konstrukt an die Hochstraße der Magistrale in meiner Studienstadt Halle (Saale), die dort den Hauptbahnhof mit der Neustadt verbindet. Die Hochstraße wurde im Jahr 1968 eingeweiht und dominiert heute, wenn auch als deutlich kleinere, erhöhte mehrspurige Fahrbahn, die Straßenzüge. Ein Sonnenuntergang lässt sich aber auf der halleschen Hochstraße leider nicht erleben. Es gibt dort im Gegensatz zur Prager Nuselský most keinen Fußweg.
Liebe Leserinnen und Leser, ich bin Valerie und absolviere diesen Sommer ein zweimonatiges Praktikum beim LandesECHO. In dieser Zeit freue ich mich darauf, das journalistische Arbeiten kennenzulernen. Denn das bedeutet für mich, in einen ganz neuen Bereich hineinzuschnuppern. Studiert habe ich nämlich evangelische Theologie und im Anschluss daran einen Master in Medizin-Ethik-Recht in Halle (Saale). Ich hoffe, durch mein Studium und meine Interessen in den Bereichen Kultur, Theologie und Geschichte an Themen anknüpfen zu können, die den deutsch-tschechischen Austausch und die Themen der deutschen Minderheit in Tschechien bewegen. Jetzt bin ich bereit, ins kalte Wasser zu springen und gespannt, viel Neues zu sehen, zu lernen und zu erleben, sowohl beim LandesECHO als auch im sommerlichen Prag.