Vor Kurzem packte mich und meine Freundin die spontane Reiselust. Den Touristenmassen der Stadt Prag endlich einmal zu entkommen und auf weniger überfüllten Straßen zu wandeln, das war unser Plan. Über einem Glas Bier – natürlich – fiel also die Wahl auf Brünn (Brno), die „second city“ des Landes, in der sich Tradition und Moderne auf ihre eigene Weise vermischen sollten.

Einen Tag und drei Stunden Zugfahrt später fanden wir uns also am Bahnhof Brno-Židenice wieder. Es muss wohl Schicksal gewesen sein, dass wir am falschen Brünner Bahnhof ausstiegen. Sonst hätten wir uns niemals auf diese Spurensuche begeben, sondern nur eine weitere langweilige Städtetour erlebt.

Rauchende Straßenschilder sind eine Brünner Kuriosität - Foto: Isabelle WolfSo aber begegneten wir bereits nach wenigen Schritten in Richtung Altstadt einem Brünner Mysterium – rauchenden Straßenschildern. Von Zeit zu Zeit stießen die Schilder Rauchschwaden aus, die wirkten wie der lange Atem eines riesigen Tieres. In der ganzen Stadt fanden wir diese Rohre, die scheinbar die Unterwelt mit der Oberwelt verbanden. Ob da unten in der Kanalisation wohl jemand oder etwas lebte? Wir beschlossen, diesem Rätsel auf die Spur zu gehen. Die Suche führte uns ans Brünner Rathaus in der Nähe des Kohlmarkts. Mit der Assoziation eines riesigen Tieres lagen wir gar nicht so schlecht, denn tatsächlich gab es in Brünn einst ein Stadtmonster. Genauer gesagt, einen Drachen. Noch genauer, ein Krokodil. Eine lange Geschichte.

Wer sie hören will, hier ist die Kurzfassung einer Version: Die Legende besagt, dass einst in Brünn ein Drache hauste, der die Nutztiere der Einwohner verschlang und letztere in Angst und Schrecken versetzte. Von Seiten der Stadt wurde also eine Belohnung für denjenigen ausgesetzt, der den Drachen aufspürt und tötet. Viele scheiterten an dieser Aufgabe. Ein kluger Ritter aber hatte die zündende Idee: Er wickelte ungelöschten Kalk in eine Kuhhaut und legte das Ganze als Köder aus. Der Drache fraß den Köder, trank Wasser und als der Kalk damit gelöscht wurde, platzte er und war somit erlegt.

Im Brünner Rathaus hängt er nun, der geplatzte und wieder zusammenflickte Drache, der eigentlich ein Krokodil ist, welches 1608 der Stadt Brünn vom ungarischen König Matthias II. geschenkt wurde. Für die Dampfschwaden im Brünn des 21. Jahrhunderts gibt es aber angesichts der Tatsache, dass der Drache seit 400 Jahren tot ist, eine relativ unspektakuläre Erklärung: Die Stadt besitzt noch ein Dampfheizungssystem aus den 1930er Jahren. Mit dem Dampf werden diverse öffentliche Gebäude wie das Janáček-Theater beheizt und an einigen Stellen strömt er eben auch aus kleinen Essen, also Schornsteinen, an die Oberfläche.

Nachdem dieses Rätsel gelöst war und wir uns nicht mehr vor einem Stadtmonster im Untergrund fürchten mussten, trauten wir uns in das unterirdische Labyrinth ausEin männlicher Hintern unter dem Kohlmarkt - Foto: Isabelle Wolf Höhlen und Gängen unter dem Kohlmarkt. Dieser Exkurs in die Geschichte Brünns war zugleich auch einer in die tschechische Sprache, denn wir erfuhren Herkunft des Wortes „ožralý“. Das sagt man, wenn jemand „besoffen“ ist. Abgeleitet wird es von dem Wort „žrát“, was so viel wie „fressen“ bedeutet. Uns wurde erklärt, dass das Bier früher einmal dickflüssiger war und man es daher wie eine Suppe löffelte, man „fraß“ es also und wurde davon „ožralý“.

Außerdem erklärte man uns, dass einst eine schöne, wohlhabende und unter den Männern sehr beliebte junge Frau in Brünn gelebt hatte. Wenn sie aber herausfand, dass einer ihrer Liebhaber sie betrog oder nur ihres Reichtums wegen begehrte, stieß sie diesen in den Brunnen unter dem Brünner Kohlmarkt. Dort sollen die armen Herren bis heute liegen. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Leichen auf dem Grund des Brunnens habe ich jedenfalls nicht entdeckt. Was aber bis heute dort noch existiert, ist der Abdruck eines männlichen Hinterteiles. Zufall? Bestimmt nicht!

Brünner Uhr - Foto: Isabelle WolfZu guter Letzt mussten wir natürlich auch noch die moderne Seite von Brünn kennenlernen. Ein ganz besonderes Beispiel dafür ist die Brünner Uhr. Sie soll eine Patrone darstellen, weil sie an den Dreißigjährigen Krieg und einen schlauen Schachzug der hiesigen Bevölkerung erinnern soll. Die Schweden belagerten damals Brünn. Die Bewohner der Stadt wussten aber, dass die Belagerer um 12 Uhr aufgeben wollten. So ließen sie das Mittagsgeläut bereits um 11 Uhr erschallen, die Strategie ging auf. Was hingegen nicht ganz aufgeht, ist die Gestaltung dieses sogenannten „Brněnský Orloj“, die ist nämlich umstritten und wird häufig anders interpretiert.

Fazit des Tages: In Brünn kann jeder noch etwas lernen, ob über die tschechische Geschichte, die Sprache oder die moderne Kunst. Wenn Sie von letzterer und dem Humor der tschechischen Künstler noch nicht genug haben, stellen Sie sich doch einfach einmal unter die kupferne Reiterskulptur in der Nähe der Sankt-Thomas-Kirche…

Bis bald und ahoj.


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Als ich zum ersten Mal vor drei Jahren für einen Freiwilligendienst nach Tschechien kam, waren das Land und seine Sprache noch sprichwörtliche böhmische Dörfer für mich. Mit der Zeit hat sich das geändert, doch es war ein langer Weg bis an den Punkt, an dem ich heute stehe.

 

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