Besonders optimistisch war ich vor 20 Jahren nicht. Die Deutsch-Tschechische Erklärung kam mir irgendwie nur halb-fertig vor. Prag und damals noch Bonn hatten sich zwar auf halbem Weg getroffen. Doch dort stand man dann so weit voneinander entfernt, dass man sich kaum die Hände reichte, geschweigen denn sich umarmen könnte.
Heute muss ich mich bei den Vätern der Erklärung, den beiden damaligen Chefdiplomaten Klaus Kinkel und Jozef Zielenec entschuldigen. Als wichtigster Teil der Erklärung zeigte sich der Satz, mit dem sich beide Länder dazu verpflichten, die Zukunft nicht mit den Fragen der Vergangenheit zu belasten. Ja, vor 20 Jahren waren wir Tschechen wie Deutsche nicht fähig, uns auf einen Satz zu einigen, der die Vertreibung von drei Millionen deutschsprachiger Mitbürgerinnen und Mitbürgern
aus der Tschechoslowakei verurteilte. Das war nicht die einzige Unstimmigkeit, aus heutiger Sicht aber die wichtigste. Andererseits offerierte die deutsche Seite für dieses, damals sehr große und politisch kaum durchsetzbare, Zugeständnis nicht genug.
Das Unrecht der Vertreibung
Wie sich inzwischen gezeigt hat, hat selbst das Wenige, was die Deutsch-Tschechische Erklärung gebracht hat, gereicht, um die gemeinsamen Beziehungen in solch positive Bahnen zu lenken, wie wir es in den vergangenen zwei Jahrhunderten nicht gekannt haben. Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds, das Diskussionsforum, die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus, aber vor allem die vielen und mannigfaltigen Begegnungen, bei denen Deutsche und Tschechen zusammen sprachen, etwas aufbauten oder zum Besseren änderten, all das hat dazu beigetragen, dass wir Tschechen unseren Blick auf unsere Vergangenheit geändert haben. Ein Blick, der uns nicht von außen aufgezwängt werden konnte, sondern den wir selbst in uns finden mussten. Eine wichtige Rolle in diesem Selbstfindungsprozess spielten tschechische Filmemacher, Schriftsteller, Forscher und Journalisten. Als Beispiel nenne ich nur den Film Habermanns Mühle, die Buchtrilogie von
Jiří Padevět, die mit dem „Blutigen Sommer“ endet, der sich mit der Wilden Vertreibung befasst oder den Dokumentarfilm „Töten auf Tschechisch“ von David Vondráček. All das, zusammen mit Hunderten von Zeitungsartikeln, Interviews und gemeinsamen Begegnungen, spielte dabei eine enorme Rolle.
Natürlich haben auch die Politiker einiges zur Entwicklung der gemeinsamen Beziehungen beigetragen. Manche jedenfalls. An erster Stelle sollte man hier zweifelsohne den ehemaligen tschechischen Ministerpräsidenten Petr Nečas nennen. Dessen Rede bei seinem Besuch im Februar 2013 in Bayern zählt zu dem wohl glorreichsten Moment seiner, wenn auch inzwischen gescheiterten, politischen Karriere. Heute wandeln vor allem die Christdemokraten in seinen Spuren. Erwähnenswert ist hier auch die mutige Haltung Karel Schwarzenbergs, den seine kritischen Worte über die Vertreibung der Deutschen 2013 möglicherweise die Präsidentschaftswahl kosteten.
Nicht vergessen darf man natürlich auch die verbliebenen und vertriebenen Deutschen, die in den letzten Jahren viel für den zivilgesellschaftlichen Dialog mit den Tschechen geleistet haben. Der 20. Geburtstag der Deutsch-Tschechischen Erklärung hätte nicht besser gewürdigt werden können, als durch das jüngst veröffentlichte Ergebnis einer repräsentativen Meinungsforschungsumfrage zum Thema Vertreibung: Als „gerecht“ empfindet die heute nur noch eine Minderheit der Tschechen.
Genauso beharrt auch nur noch eine Minderheit auf der Gültigkeit der Beneš-Dekrete, die in Anwendung des Prinzips der Kollektivschuld und unter einer bizarr definierten Bestimmung deutscher Nationalität drei Millionen Menschen enteignet und aus ihrer Heimat vertreiben haben.
Rettet die Zukunft!
Während sich heute die meisten Tschechen und Deutschen hinsichtlich der Vergangenheit geeinigt haben, hat sich längst ein neuer Graben aufgetan. Tschechien und Deutschland scheinen hinsichtlich der Flüchtlingskrise nicht zueinander zu finden. Zumindest bekommen wir das von unseren Politikern und Teilen der tschechischen Medien so serviert.
Deutschland ist plötzlich wieder zu einer Bedrohung geworden. Tschechische Politiker, allen voran ex-Präsident Václav Klaus, unterstützen offen die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD), die davon träumt Kanzlerin Merkel zu stürzen.
Je nach Ausgang der Wahlen, die im Herbst dieses Jahres in beiden Ländern stattfinden, könnte sich diese neue Kluft zwischen Deutschen und Tschechen noch weiter vertiefen. Die Gefahr hier besteht darin, dass ein Teil der tschechischen Politiker dies nutzen könnte, um sich immer weiter von Deutschland, der EU und dem Westen als solches abzuwenden.
In den deutsch-tschechischen Beziehungen von heute geht es nicht mehr um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft. Wenn wir wollen, dass wir diese gemeinsam, demokratisch und frei erleben, dann werden wir nicht weniger Kraft, Mut und Zeit aufwenden dürfen, als wir in die Bewältigung unserer Vergangenheit gesteckt haben.
Der Autor ist Redakteur der Tageszeitung MF Dnes, dieser Kommentar erschien im LandesEcho 1/2017. Die tschechische Version dieses Artikels finden Sie exklusiv unter dem Titel „Deklarace zafungovala, ale vyhráno není“ auf landesecho.cz