In Prag finden sich zahlreiche Wenzel-Darstellung an Hausfassaden. Foto: Detmar Doering

Der 28. September gilt heute als der Tag des Heiligen Wenzel. Den haben die nicht ganz so religiösen Tschechen als säkularen Tag der Tschechischen Staatlichkeit zum Nationalfeiertag erklärt. Da das der Popularität des heiligen Herrschers von Böhmen keinen Abbruch tat, nutzen wir heute die Gelegenheit, eine der unzähligen Wenzel-Darstellungen zu präsentieren, die man an Prager Häuserfassaden finden kann. Sie stiegen insbesondere Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts geradezu zum Symbol des wachsenden tschechischen Nationalismus im Habsburgerreich auf.

Diese hier an dem großen vierstöckigen Wohn- und Mietshaus in der Dukelských hrdinů 972/20 im Stadtteil Holešovice (Prag 7) ist eine geradezu grandios-romantische Vision zum Thema Wenzel. Die nationalmythologische Dimension der Heiligenverehrung des am 28. September im Jahre 928 oder 935 (das weiß man nicht so genau) von seinem Bruder ermordeten Wenzel (tsch.: Václav) kommt hier voll zum Tragen. Die Pläne des 1907 gebauten Hauses mit seiner hoch-repräsentativ gestalteten Fassade im historistischen Stil der Neorenaissance stammen von dem im 40 Kilometer östlich von Prag gelegenen Ort Kutlíře geborenen Architekten Ladislav Dvořák, der in Prag an der Technischen Universität (wir berichteten hier) studiert hatte und etliche Wohnhäuser in der Stadt realisierte. Die Bauarbeiten selbst wurden von dem örtlichen Bauunternehmer Josef Vaňha durchgeführt.

Optisches Zentrum und „eye catcher“ der Gebäude-Fassade ist auf der Höhe des dritten und vierten Stocks das Gemäldes des Heiligen Wenzel, dessen Maler ich nicht herausfinden konnte. Die Darstellung enthält alles, was eine Wenzel-Darstellung enthalten muss – mit großen Sahnehäubchen! Der fromme Herzog reitet auf einem stolzen – und natürlich weißen! – Pferd ein. Im Hintergrund sieht man den Wenzelsadler, sein Wappentier. Bevor später im Mittelalter der Böhmische Löwe ihn ein wenig verdrängte, war er das eigentliche Wappentier der Böhmen (mehr dazu schilderten wir hier). Geradezu genial hat der Künstler ihn so platziert, dass auf den ersten Blick der Eindruck entsteht, der Nationalheilige trüge Engelsflügel. Das grenzt schon fast, aber natürlich nur fast, an bombastischen Kitsch. Dazu hält er sein Banner in der Hand, das zu seinen ikonographischen Attributen gehört. Über dem Haupt schwebt der Heiligenschein. Um noch einmal zu verdeutlichen, das hier dick aufgetragener tschechischer Patriotismus zur Schau getragen wird, befinden sich neben der Reiterfigur die Wappen der böhmischen Länder – links das von Böhmen (zweischwänziger böhmischer Löwe), rechts das von Mähren (rot-weiß karierter Adler).

Auch sonst lässt das Haus an Pomp nichts zu wünschen übrig. Es wimmelt von Stuckaturen und Ornamenten, von Erkern und Balkonen, die die Fassade trotz ihrer geometrischen Symmetrie sehr lebhaft und abwechslungsreich strukturieren. Ein originelles Highlight sind die beiden aus Holz gebauten Altane über den beiden oberen Erkern neben dem Giebel.

Recht beeindruckend – man kann es anders nicht sagen – ist auch die reiche skulpturale Ausgestaltung der Fassade (mit einem schwertbewaffneten altslawischen Krieger im Zentrum) unmittelbar über dem Eingang. Die kommt gottlob noch voll zu Geltung, was nicht selbstverständlich ist. Denn: In den Jahren 1962 und 1991 gab es einige bauliche Anpassungen im Erdgeschoss, um es für die Nutzung als Laden oder Restaurant geeignet zu machen. So etwas hat auch in Prag nicht selten bedauerliche Resultate gezeitigt. Aber die Eingriffe waren so einfühlsam gestaltet, dass sie den Gesamteindruck des Hauses nicht störten. So blieb uns ein bemerkenswertes Haus mit einer bemerkenswerten Wenzel-Vision als ungetrübter Genuss erhalten.

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